Montag, 18. Juni 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung - 1. Teil

Alle eigenen Kommentare sind in Schrägbuchstaben in roter Farbe dargestellt.



LECTORI BENEVOLO 
Doleo super te frater mi...
11 Reg. 1, 26
(Anm: lectori benevolo: freundlicher Leser)
Die Angabe der Bibelstelle entspricht der Vulgata, in der deutschen Übersetzung ist es 2, Sam. 1, 26: Lutherübersetzung: Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonatan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir wundersamer gewesen, als Frauenliebe ist. Die King James Bibel übersetzt aus dem Griechischen: I am distressed for thee, my brother Jonathan: very pleasant hast thou been unto me: thy love to me was wonderful, passing the love of women.)

Meine Schrift bedarf, um ihres etwas ungewöhnlichen Inhaltes willen, eines kurzen Vorwortes, welches mein Leser nicht übersehen möge. Es wird nämlich im Folgenden von ehrwürdigen Gegenständen des religiösen Glaubens die Rede sein, und wer immer solche Reden führt, läuft Gefahr, zwischen jenen beiden Parteien, die sich um eben diese Gegenstände streiten, in Stücke gerissen zu werden. Der Streit beruht auf der eigentümlichen Voraussetzung, dass etwas nur dann »wahr« sei, wenn es sich als eine physische Tatsache darbiete oder dargeboten habe. So wird z. B. die Tatsache, dass Christus von einer Jungfrau geboren worden sei, von den einen als physisch wahr geglaubt, von den anderen aber als physisch unmöglich bestritten. Jedermann kann sehen, dass dieser Gegensatz logisch unlösbar ist, und dass man darum besser daran täte, dergleichen unfruchtbare Dispute zu unterlassen. Beide nämlich haben Recht und Unrecht und könnten sich leicht einigen, wenn sie nur auf das Wörtchen »physisch« verzichten wollten. »Physisch« ist nicht das einzige Kriterium einer Wahrheit. Es gibt nämlich auch seelische Wahrheiten, die sich physisch weder erklären noch beweisen oder bestreiten lassen. Wenn z. B. ein allgemeiner Glaube vorhanden wäre, dass der Rhein zu irgend einer Zeit einmal von der Mündung aufwärts in seine eigene Quelle zurückgeflossen sei, so ist dieser Glaube an sich eine Tatsache, obschon dessen Aussage, physisch verstanden, als äußerst unglaubwürdig gelten muss. Ein solcher Glaube bildet eine seelische Tatsache, die nicht zu bestreiten ist und keines Beweises bedarf. Zu dieser Art gehören die religiösen Aussagen. Sie beziehen sich samt und sonders auf Gegenstände, die physisch nicht feststellbar sind. -- C.G. Jung übersieht, dass es sehr viele Christen gibt, die überzeugt sind, dass die Bibel wörtlich zu nehmen ist und sich in ihrem Glauben keinen Deut um Übersetzungsprobleme oder gar physisch und psychisch kümmern.-- Täten sie es nicht, so würden sie unweigerlich in den Bereich der Naturwissenschaft fallen, um von dieser als unerfahrbar kassiert zu werden. Als auf Physisches Bezügliches haben sie überhaupt keinen Sinn. Sie wären bloße Wunder, die an sich schon dem Zweifel ausgesetzt sind, und könnten die Wirklichkeit eines Geistes, d. h. eines Sinnes, doch nicht beweisen, denn der Sinn erweist sich immer aus sich selbst. Der Sinn und Geist Christi ist uns gegenwärtig und vernehmlich auch ohne Wunder. Letztere appellieren nur an den Verstand solcher, die den Sinn nicht erfassen können. Sie sind ein bloßer Ersatz für die nicht verstandene Wirklichkeit des Geistes. Damit soll nicht bestritten werden, dass dessen lebendige Gegenwart nicht etwa gelegentlich von wunderlichen physischen Ereignissen begleitet ist, sondern es soll nur betont sein, dass letztere die allein wesentliche Erkenntnis des Geistes weder ersetzen noch bewerkstelligen können.
Die Grundfrage wird von C.G. Jung nicht in ihrer Schärfe wahrgenommen, weil die Welt nach seinem Verständnis in einen Schubladenkasten mit verschiedenen Fächern passt. Er beansprucht Wirklichkeiten, die als solche nicht existieren, sondern bloße Projektionen sind. Diese Projektionen sind deshalb so erfolgreich, weil große Gruppen von Menschen diese zum einen unhinterfragt akzeptieren und zum anderen diese zu einem geschlossenen (Denk- und Vorstellungs-)System wird, dessen Orientierungskoordinaten ausschließlich innerhalb der Denkmuster und Vorstellungen des Systems liegen. Erfahrung und Wirklichkeit ist immer die Interpretation von Ereignissen. Selbst Naturwissenschaft ist nur eine systematische Interpretation von Ereignissen. Daraus, dass sie so erfolgreich ist, kann keine Wahrheit abgeleitet werden, da es einen verbleibenden Graubereich von nicht eintretenden Prognosen gibt, der bei Wahrheit nicht existieren darf.

Die Tatsache, dass die religiösen Aussagen oft sogar im Gegensatz zu den physisch beglaubigten Erscheinungen stehen, beweist die Selbständigkeit des Geistes gegenüber der physischen Wahrnehmung und eine gewisse Unabhängigkeit der seelischen Erfahrung von den physischen Gegebenheiten.- Was ist Geist und was ist Seele? Wird alles darunter subsummiert, was wir nicht verstehen?- Die Seele ist ein autonomer Faktor, und religiöse Aussagen sind seelische Bekenntnisse, die in letzter Linie auf unbewussten, also transzendentalen Vorgängen fußen -- Was hat Unbewusstes mit Transzendenz zu tun --. Letztere sind der physischen Wahrnehmung unzugänglich, beweisen aber ihr Vorhandensein durch entsprechende Bekenntnisse der Seele. -- Sie beweisen nur, dass Menschen sich die Welt beliebig vorstellen können, ja dass diese Erfahrung der Welt durch unsere je besonderen Vorstellungen bestimmt wird -- Diese Aussagen werden durch das menschliche Bewusstsein vermittelt, bzw. in anschauliche Formen gebracht, welche ihrerseits mannigfachen Einflüssen äußerer und innerer Natur ausgesetzt sind, Daher kommt es, dass, wenn wir von religiösen Inhalten reden, wir uns in einer Welt von Bildern, welche auf ein Ineffabile (Anm.: nicht zu fassen, unbegreiflich) hindeuten, bewegen. Wir wissen nicht, wie deutlich oder wie undeutlich diese Bilder, Gleichnisse und Begriffe hinsichtlich ihres transzendentalen Gegenstandes sind. Sagen wir z. B. »Gott«, so äußern wir ein Bild oder einen Wortbegriff, der im Laufe der Zeit viele Wandlungen erlebt hat. Dabei sind wir außerstande, mit irgendwelcher Sicherheit anzugeben -es sei denn durch den Glauben -, ob diese Veränderungen nur Bilder und Begriffe, oder das Unaussprechliche selber betreffen. Man kann sich ja Gott ebenso wohl als ewig strömendes, lebensvolles Wirken, das sich in unendlichen Gestalten abwandelt, wie als ewig unbewegtes, unveränderliches Sein vorstellen. Unser Verstand ist sich nur des einen gewiss, dass er nämlich Bilder handhabt, Vorstellungen, die von der menschlichen Phantasie und deren zeitlicher und örtlicher Bedingtheit abhängen und sich daher in ihrer Jahrtausende alten Geschichte vielfach gewandelt haben. Unzweifelhaft liegt diesen Bildern ein bewusstseinstranszendentes Etwas zugrunde, welches bewirkt, dass die Aussagen nicht schlechthin grenzenlos und chaotisch variieren, sondern erkennen lassen, dass sie sich auf einige wenige Prinzipien bzw. Archetypen beziehen. Diese sind, wie die Psyche selber, oder wie die Materie, an sich unerkennbar, und es lassen sich davon nur Modelle entwerfen, von denen wir wissen, dass sie unzulänglich sind, was durch die religiösen Aussagen auch immer wieder bestätigt wird.
Wenn ich mich also im Nachfolgenden mit diesen »metaphysischen« Gegenständen beschäftige, so bin ich mir völlig bewusst, dass ich mich dabei in der Bilderwelt bewege, und dass keine einzige meiner Überlegungen an das Unerkennbare rührt. Ich weiß zu gut, wie beschränkt unser Vorstellungsvermögen ist -von der Enge und Armut unserer Sprache schon gar nicht zu reden -, als dass ich mir einbilden könnte, meine Aussagen bedeuteten prinzipiell mehr, als wenn ein Primitiver meint, sein Rettergott sei ein Hase oder eine Schlange. Obschon unsere ganze religiöse Vorstellungswelt aus anthropomorphen Bildern besteht, die als solche einer rationalen Kritik niemals standhalten könnten, so darf man darüber doch nicht vergessen, dass sie auf numinosen Archetypen beruhen, d. h. auf einer emotionalen Grundlage, welche sich für die kritische Vernunft als unangreifbar erweist. Es handelt sich hier um seelische Tatsachen, die man nur übersehen, aber nicht wegbeweisen kann. Darum hat in dieser Hinsicht schon Tertullian mit Recht das Zeugnis der Seele angerufen. In seiner Schrift »De Testimonio Animaea, Cap. V, sagt er:
»Haec testimonia animae quanto vera, tanto simplicia: quanto simplicia, tanto vulgaria: quanto vulgaria, tanto communia: quanto communia, tanto naturalia: quanto naturalia, tanto divina, non putem cuiquam frivolum et frigidum videri Posse, si recogitet naturae maiestatem, ex qua censetur auctoritas animae. Quantum dederis magistrae, tantum adiudicabis discipulae. Magistra natura, anima discipula. Quicquid aut illa edocuit, aut ista perdidicit, a Deo traditum est, magistro scilicet ipsius magistrae. Quid anima possit de principali institutore praesumere, in te est aestimare de ea quae in te est. Senti illam, quae ut sentias efficit: recogita in praesagiis vatem, in omnibus augurem, in eventibus prospicem. Mirum si a Deo data homini novit divinare. Tam mirum, si eum a quo data est, novit.« -- Das ist pure Präpotenz, diesen Schriftteil ohne Übersetzung anzugeben. Wie viele Menschen hätten Interesse an Jungs Schriften, werden aber immer wieder vor den Kopf gestoßen, weil sie nicht ausreichend Latein können, um den Absatz übersetzen zu können.--
Übersetzung (Aus Bibliothek der Kirschenväter, http://www.unifr.ch/bkv/index.htm): Diese Zeugnisse der Seele sind ebenso wahr als einfach, ebenso einfach als alltäglich, ebenso alltäglich als allgemein, ebenso allgemein als natürlich, ebenso natürlich als göttlich. Ich möchte nicht glauben, daß es jemandem wertlos und frostig vorkommen wird, wenn er die Erhabenheit der Natur erwägt, wonach ja die Autorität der Seele abzuschätzen ist. Gerade soviel als du der Lehrerin gibst, wirst du der Schülerin zuerkennen; Lehrerin ist die Natur, Schülerin die Seele. Alles, was jene gelehrt und diese gelernt hat, ist von Gott gekommen als dem Lehrmeister auch der Lehrerin. Was die Seele in betreff ihres höchsten Lehrers zu ahnen imstande sei, das zu beurteilen ist an dir nach Maßgabe derjenigen, die in dir ist. Lerne sie wahrnehmen, sie, die bewirkt, daß du wahrnimmst; beobachte sie, die in Vorempfindungen eine Seherin, bei Vorzeichen eine Prophetin ist und bei Ereignissen eine Vorahnung hat. Ist es ein Wunder, wenn sie, von Gott dem Menschen gegeben, göttlicher Ahnungen fähig ist? Ist es wirklich ein so großes Wunder, wenn sie den, von welchem sie gegeben ist, kennt? Sogar vom Widersacher betrogen, [S. 212] bewahrt sie ja noch die Erinnerung an ihren Urheber, seine Güte, seinen Ratschluß, ihren Ausgang und ihren Widersacher, So wenig wunderbar ist es, wenn sie, von Gott gegeben, das kundtut, was Gott den Seinigen zu wissen gegeben hat!
Ich gehe einen Schritt weiter und betrachte auch die Aussagen der Hl. Schrift als Äußerungen der Seele, auf die Gefahr hin, des Psychologismus verdächtigt zu werden. Wenn schon die Aussagen des Bewusstseins Täuschungen, Lügen und sonstige Willkürlichkeiten sein können, so ist dies mit den Aussagen der Seele keineswegs der Fall: sie gehen zunächst immer über unseren Kopf hinweg, indem sie auf bewusstseinstranszendente Wirklichkeiten verweisen. Diese entia sind die Archetypen des kollektiven Unbewussten, welche Vorstellungskomplexe in der Art mythologischer Motive verursachen. Vorstellungen dieser Art werden nicht erfunden, sondern treten z. B. in Träumen als fertige Gebilde in die innere Wahrnehmung. Es sind spontane Phänomene, die unserer Willkür entzogen sind, und man ist daher berechtigt, ihnen eine gewisse Autonomie zuzuschreiben. Sie sind deshalb nicht nur als Objekte zu betrachten, sondern auch als eigengesetzliche Subjekte. Man kann sie natürlich vom Standpunkt des Bewusstseins aus als Objekte beschreiben und bis zu einem Grade auch erklären, wie man einen lebenden Menschen in demselben Maße beschreiben und erklären kann. Man muss dabei allerdings von ihrer Autonomie absehen. Zieht man letztere aber in Betracht, so müssen sie notgedrungenerweise als Subjekte gehandhabt werden, d. h. es muss ihnen Spontaneität und Absichtlichkeit, bzw. eine Art von Bewusstsein und von liberum arbitrium (Anm.: Willensfreiheit) zuerkannt werden. -- Schmarrn. Auch das Unbewusste ist Teil dessen, was wir Persönlichkeit nennen und kann nicht außerhalb dieser agieren. -- Man beobachtet ihr Verhalten und berücksichtigt ihre Aussagen. Dieser doppelte Standpunkt, den man je dem relativ selbständigen Organismus gegenüber einnehmen muss, ergibt natürlich ein doppeltes Resultat, einesteils einen Bericht darüber, was ich mit dem Objekt tue, andererseits darüber, was es (eventuell auch mit mir) tut. Es ist klar, dass diese nicht zu umgehende Doppelheit im Kopfe meines Lesers zunächst einige Verwirrung stiften wird und dies in besonderem Maße, als wir es im Folgenden mit dem Archetypus der Gottheit zu tun haben werden.
Sollte sich jemand versucht fühlen, zu den Gottesbildern unserer Anschauung ein »Nur« zu setzen, so käme er in Widerstreit mit der Erfahrung, welche die außerordentliche Numinosität dieser Bilder über allen Zweifel hinaus dartut. Die außerordentliche Wirksamkeit (= Mana) derselben ist sogar derart, dass man nicht bloß das Gefühl hat, damit auf das Ens realissimum hinzudeuten, sondern vielmehr überzeugt ist, dasselbe auch auszusprechen und sozusagen zu setzen. Dadurch wird die Diskussion ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich. Man kann sich ja in der Tat die Wirklichkeit Gottes nicht anders vor Augen führen, als unter Benützung meist spontan entstandener oder durch Tradition geheiligter Bilder, deren psychische Natur und Wirkung der naive Verstand noch nie von deren unerkennbarer metaphysischer Grundlage getrennt hat. --Schmarrn. Alles ist uns Bild, was wir für wirklich halten, auch wir selbst. Anscheinend hat sich Jung niemals von der Vorstellung lösen können, dass nur die Wirklichkeit der sogenannten geistig Gesunden Realität ist. Auch für einen Geisteskranken sind seine Wahnideen wirklich und wenn er darunter leidet, so leidet er an einer von ihm wahrgenommenen Wirklichkeit, sonst würde er nicht leiden. -- Er setzt ohne weiteres das wirkungskräftige Bild in eines mit dem transzendentalen X, auf welches es hinweist. Die scheinbare Berechtigung dieses Vorgehens leuchtet unmittelbar ein und kommt als Problem nicht in Betracht, solange keine ernstlichen Einwände gegen die Aussage erhoben werden. Liegt aber ein Anlass zur Kritik vor, dann muss man sich daran erinnern, dass Bild und Aussage psychische Vorgänge und von ihrem transzendentalen Gegenstand verschieden sind; sie setzen ihn nicht, sondern deuten ihn bloß an. Im Bereiche psychischer Vorgänge ist aber Kritik und Auseinandersetzung nicht nur gestattet, sondern sogar unumgänglich.
Was ich im Folgenden versuchen werde, stellt eine Auseinandersetzung mit gewissen überlieferten religiösen Vorstellungen dar. Da ich es mit numinosen Faktoren zu tun habe, so ist nicht nur mein Intellekt, sondern auch mein Gefühl in die Schranken gefordert. Ich kann mich daher nicht kühler Objektivität bedienen, sondern muss meine emotionale Subjektivität zum Worte kommen lassen, um jenes darzustellen, das ich empfinde, wenn ich gewisse Bücher der Hl. Schrift lese oder wenn ich mich an die Eindrücke erinnere, die ich von unserer Glaubenslehre empfangen habe. Ich schreibe nicht als Schriftgelehrter (der ich nicht bin), sondern als Laie und als Arzt, dem es vergönnt war, tiefe Einblicke in das Seelenleben vieler Menschen zu tun. Was ich ausspreche ist zwar zunächst meine persönliche Auffassung, aber ich weiß, dass ich zugleich auch im Namen Vieler spreche, denen es ähnlich ergangen ist wie mir. 


2 Kommentare:

  1. Lieber Michael,

    aus privatem Anlass habe ich mich neulich mit Hiob befasst. Es geht kurz um die Frage, wie weit sich jemand langfristig in der Opferrolle aufhalten muss, kann oder soll. Zum Beispiel bei Holocaustopfern (Mein „Anlass“ hat mit dem Holocaust nichts zu tun, betrifft auch nicht meine eigene Person) gibt es welche, die lebenslang so gut wie lebensuntüchtig blieben, andere fielen bald wieder auf ihre Füsse und führten ein (wenigstens von aussen betrachtet) durchaus normales Leben.
    Jungs „Antwort auf Hiob“ habe ich vor 50(!) Jahren gelesen, war fasziniert, hatte ihn in jenen jungen Jahren noch zweimal nachgelesen. Und heute, mit 68 Jahren, suchte ich das Buch vergeblich im Gestell. Ihre interessanten Kommentare fand ich beim surfen und komme zu folgender Antwort auf Ihre Anwort (Achtung, sie ist nur skizziert, da ich darüber kein Buch schreiben will, und zudem ist meine Auffassung recht radikal!):
    Die Lektion oder Botschaft der causa Hiob ist doch ganz einfach, aber revolutionär und vor dem Bild des Zeitgeists immer noch sehr modern! Daher wurde sie so erfolgreich verdrängt – oder wie Jung a.a.O. durchaus andeutet: Die Seele ist noch gar nicht so weit entwickelt...
    Die Theodizee-Frage hat eine einzige und brutale Antwort, die für im Sinne Nietzsches „schwache Menschen“ eben schlicht unerträglich ist: Wir sind allein. Damit sind wir immerhin auch frei - um den so schmerzhaften Preis der bedingungslosen Verantwortlichkeit. Also können wir die Verantwortung nirgendhin delegieren; den Scheiss den wir anrichten, müssen wir schon selber ausbaden. Dieses Skandalon hat die Römisch-Katholische Kirche natürlich geleugnet, es unterläuft ja deren Geschäftsmodell...
    Jung ĥat diese Tatsache nicht so explizit ausgedrückt. Doch sage ich: Dem Schicksal so gut wie dem Schöpfer ist es wurstegal ob wir leiden, elendiglich krepieren, die Insel der Glückseligkeit gefunden haben oder in elysischen Gefilden wandeln. Gott ist weder der Grosse Uhrmacher noch überhaupt der Schöpfer. Den braucht das moderne naturwissenschaftliche Weltbild nicht – Noch so eine Kränkung.
    Gott der Archetyp ist damit keineswegs eliminiert! Er existiert ja als seelische Tatsache, was
    nebenbei den Horizont so mancher platten Atheisten übersteigt. Zwar können wir den strafenden Gott ad acta legen: Das war doch schon ein grosser Entwicklungsschritt (der Seele oder des Gottesbildes, egal) , eben jenen vom AT zum NT mit der scheinbaren Regression im Falle Hiob. Was bleibt: Gott, vielleicht als summum bonum. Der Einteilung in Gut und Böse, wie sie im summum anklingt ziehe ich vor, was bereits die kluge Hildegard von Bingen schon vor-gedacht hatte: Gott ist die Weisheit.
    Ich verstehe Gott so: Er wohnt im Unbewussten. Im Keller wohnen die in der Evolution erlernten Reflexe, auf deren Schultern dann die Instinkte und schliesslich im Vorbewussten die Muster des „guten“ Handelns, die Archetypen. „Gutes Handeln“ ist wertfrfei, darwinistisch zu verstehen, nämlich als das erfolgreiche, bewährte Überlebensmuster, was die „fitness“ ausmacht. All diese in der Evolution erworbene Weisheit macht den Chef-Archetypen „Gott“ aus. Er spricht mit Gefühlen und Träumen mit unserem Bewusstsein, lenkt.
    N.B. : Diese Auffassung ist lustigerweise wenn nicht mit den Dogmen, so doch mit deren Inhalten ebenso gut wie mit dem modernen Verständnis der Persönlichkeit verträglich.

    Sie sehen, ich orientiere mich als Naturwissenschaftler an der Natur, also jetzt an der Biologie. Spirituelles Denken liegt mir recht fern, was mich aber keineswegs hindert, die spirituelle Musik des MA und der Renaissance zu sehr mögen. Musik ist ja eine der starken Sprachen des Unbewussten.
    Ich grüsse Sie freundlich,
    vagant

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  2. Lieber Vagant!

    Zunächst Danke für den Kommentar zu meinem in letzter Zeit von mir etwas vernachlässigten Blog.Mein letzter Eintrag ist schon viele Monate her, weil mir beim Lesen von Antwort auf Hiob irgendwann Jungs maßlose Präpotenz, die ich auch aus anderen Werken kenne, derart gegen den Strich ging, dass ich das Kommentieren einstellte. Ich habe aber fertig gelesen.
    Ich wollte ursprünglich auf Ihrem Account antworten, konnte es aber nicht, da dieser noch nicht aktiviert worden ist. Ich weiß also nicht ob diese Antwort Sie erreicht.
    Doch zu Ihrem Kommentar.:Ich finde Ihre Ansichten überhaupt nicht radikal, weil ich aus der persönlichen Geschichte meiner 63 Jahre in einem Punkt jedenfalls Ihre Ansicht vollkommen teile: Was immer wir in unserem Leben tun, denken oder fühlen hat keinen irgendwie gearteten Richter irgendwo. Es ist der Stoff aus dem wir uns nach der Erziehung durch unsere Eltern selbst "weiterbilden" und es gibt nichts in unserem Tun, Denken oder Fühlen, das nicht auf uns wirkt.
    Natürlich kommt auch von Außen manches auf uns zu, dem wir Wirkmacht über uns zulassen, aber nach meiner persönlichen Erfahrung beginnt echtes Erwachsensein erst in dem Moment, da wir NICHTS und NIEMANDEN mehr für unser Sosein verantwortlich machen, sondern im Annehmen unseres Lebens, SO WIE ES IST in die Lage versetzt werden, vielleicht das eine oder andere in unserem Leben zu verändern und damit unsere Gegenwart und somit auch Zukunft zu gestalten.
    Aus diesem von mir Gesagten folgt unmittelbar, dass ich dem Konzept des Unbewussten als eine von uns unabhängige "Macht", wie es Freud und Jung mit unterschiedlichen Betonungen entworfen habe bestenfalls als krankhafte Verbildung des Menschen verstehen kann. Im reifen Erwachsenen ist Bewusstsein nicht nur das, was aktuell gedanklich oder gefühlsmäßig mit all seinen Mischformen präsent ist, sondern auch all das was unterhalb einer momentan vorhandenen und sich ständig ändernden Bewusstseinssituation vorhanden ist. Jeder, der sich erlaubt auch aufmerksam mit sich selbst umzugehen und sich nicht ständig mit Wichtigkeiten von Außen vermüllen lässt, kennt diesen Strom von Gedanken und Gefühlen die auftreten, wenn äußere und innere Stille zugelassen wird. Es ist nicht notwendig auf diese Gedanken und Gefühle zu warten, sie festzuhalten oder für wichtig zu nehmen, sprich sie zu bewerten. Es ist nur notwendig sie zuzulassen und auch wieder gehen zu lassen. Dass dies auch zeitweise zu einem so empfundenen Ritt durch die "Hölle" ausarten kann versteht sich von selbst und ist darum auch keinem angstvollen Menschen zu empfehlen.
    Aus dem von mir gesagten leite ich keinerlei Wertung von Menschen ab, die es nicht schaffen, sich auf ihre eigenen Füße zu stellen und von allen möglichen äußeren Einflüssen hin- und her geworfen werden oder Menschen, die irgendeiner Religionsgemeinschaft angehören. Das oben Gesagte ist kein theoretisches Konstrukt, sondern Wirklichkeit, wie ich sie wahrnehme. Es ist nichts so wirklich wie das, das ein Mensch dafür hält. Die einzig mögliche Verbindung zwischen diesen oft sehr verschiedenen Wirklichkeiten ist das offene und nicht verletzende Gespräch.

    Sollten Sie aus dem Gesagten vermuten, dass ich sowas wie ein Esoteriker bin, so sind Sie auf dem Holzweg. Ich bin Chemiker, stehe mit beiden Füßen auf dem Boden und war vor meiner Pension Leiter eines großen Labors mit vielen Mitarbeitern und ebenso vielen Wirklichkeiten, mich eingeschlossen.

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