Doleo super te
frater mi...
11 Reg. 1, 26
(Anm: lectori
benevolo: freundlicher Leser)
Die
Angabe der Bibelstelle entspricht der Vulgata, in der deutschen
Übersetzung ist es 2, Sam. 1, 26: Lutherübersetzung: Es ist mir
leid um dich, mein Bruder Jonatan, ich habe große Freude und Wonne
an dir gehabt; deine Liebe ist mir wundersamer gewesen, als
Frauenliebe ist. Die King James Bibel übersetzt aus dem
Griechischen: I am distressed for thee, my brother Jonathan: very
pleasant hast thou been unto me: thy love to me was wonderful,
passing the love of women.)
Meine Schrift bedarf, um
ihres etwas ungewöhnlichen Inhaltes willen, eines kurzen Vorwortes,
welches mein Leser nicht übersehen möge. Es wird nämlich im
Folgenden von ehrwürdigen Gegenständen des religiösen Glaubens die
Rede sein, und wer immer solche Reden führt, läuft Gefahr, zwischen
jenen beiden Parteien, die sich um eben diese Gegenstände streiten,
in Stücke gerissen zu werden. Der Streit beruht auf der
eigentümlichen Voraussetzung, dass etwas nur dann »wahr« sei, wenn
es sich als eine physische Tatsache darbiete oder dargeboten
habe. So wird z. B. die Tatsache, dass Christus von einer Jungfrau
geboren worden sei, von den einen als physisch wahr geglaubt, von den
anderen aber als physisch unmöglich bestritten. Jedermann kann
sehen, dass dieser Gegensatz logisch unlösbar ist, und dass man
darum besser daran täte, dergleichen unfruchtbare Dispute zu
unterlassen. Beide nämlich haben Recht und Unrecht und könnten sich
leicht einigen, wenn sie nur auf das Wörtchen »physisch«
verzichten wollten. »Physisch« ist nicht das einzige Kriterium
einer Wahrheit. Es gibt nämlich auch seelische Wahrheiten,
die sich physisch weder erklären noch beweisen oder bestreiten
lassen. Wenn z. B. ein allgemeiner Glaube vorhanden wäre, dass der
Rhein zu irgend einer Zeit einmal von der Mündung aufwärts in seine
eigene Quelle zurückgeflossen sei, so ist dieser Glaube an sich eine
Tatsache, obschon dessen Aussage, physisch verstanden, als äußerst
unglaubwürdig gelten muss. Ein solcher Glaube bildet eine seelische
Tatsache, die nicht zu bestreiten ist und keines Beweises bedarf. Zu
dieser Art gehören die religiösen Aussagen. Sie beziehen sich samt
und sonders auf Gegenstände, die physisch nicht feststellbar sind.
-- C.G. Jung übersieht, dass es sehr viele
Christen gibt, die überzeugt sind, dass die Bibel wörtlich zu
nehmen ist und sich in ihrem Glauben keinen Deut um
Übersetzungsprobleme oder gar physisch und psychisch kümmern.--
Täten sie es nicht, so würden sie unweigerlich in den Bereich
der Naturwissenschaft fallen, um von dieser als unerfahrbar kassiert
zu werden. Als auf Physisches Bezügliches haben sie überhaupt
keinen Sinn. Sie wären bloße Wunder, die an sich schon dem Zweifel
ausgesetzt sind, und könnten die Wirklichkeit eines Geistes, d. h.
eines Sinnes, doch nicht beweisen, denn der Sinn erweist sich
immer aus sich selbst. Der Sinn und Geist Christi ist uns gegenwärtig
und vernehmlich auch ohne Wunder. Letztere appellieren nur an den
Verstand solcher, die den Sinn nicht erfassen können. Sie sind ein
bloßer Ersatz für die nicht verstandene Wirklichkeit des Geistes.
Damit soll nicht bestritten werden, dass dessen lebendige Gegenwart
nicht etwa gelegentlich von wunderlichen physischen Ereignissen
begleitet ist, sondern es soll nur betont sein, dass letztere die
allein wesentliche Erkenntnis des Geistes weder ersetzen noch
bewerkstelligen können.
Die
Grundfrage wird von C.G. Jung nicht in ihrer Schärfe wahrgenommen,
weil die Welt nach seinem Verständnis in einen Schubladenkasten mit
verschiedenen Fächern passt. Er beansprucht Wirklichkeiten, die als
solche nicht existieren, sondern bloße Projektionen sind. Diese
Projektionen sind deshalb so erfolgreich, weil große Gruppen von
Menschen diese zum einen unhinterfragt akzeptieren und zum anderen
diese zu einem geschlossenen (Denk- und Vorstellungs-)System wird,
dessen Orientierungskoordinaten ausschließlich innerhalb der
Denkmuster und Vorstellungen des Systems liegen. Erfahrung und
Wirklichkeit ist immer die Interpretation von Ereignissen. Selbst
Naturwissenschaft ist nur eine systematische Interpretation von
Ereignissen. Daraus, dass sie so erfolgreich ist, kann keine Wahrheit
abgeleitet werden, da es einen verbleibenden Graubereich von nicht
eintretenden Prognosen gibt, der bei Wahrheit nicht existieren darf.
Die Tatsache, dass die
religiösen Aussagen oft sogar im Gegensatz zu den physisch
beglaubigten Erscheinungen stehen, beweist die Selbständigkeit des
Geistes gegenüber der physischen Wahrnehmung und eine gewisse
Unabhängigkeit der seelischen Erfahrung von den physischen
Gegebenheiten.- Was ist Geist und was ist Seele? Wird alles
darunter subsummiert, was wir nicht verstehen?- Die Seele ist
ein autonomer Faktor, und religiöse Aussagen sind seelische
Bekenntnisse, die in letzter Linie auf unbewussten, also
transzendentalen Vorgängen fußen -- Was
hat Unbewusstes mit Transzendenz zu tun --. Letztere sind
der physischen Wahrnehmung unzugänglich, beweisen aber ihr
Vorhandensein durch entsprechende Bekenntnisse der Seele. --
Sie beweisen nur, dass Menschen sich die Welt beliebig vorstellen
können, ja dass diese Erfahrung der Welt durch unsere je besonderen
Vorstellungen bestimmt wird -- Diese Aussagen werden durch
das menschliche Bewusstsein vermittelt, bzw. in anschauliche Formen
gebracht, welche ihrerseits mannigfachen Einflüssen äußerer und
innerer Natur ausgesetzt sind, Daher kommt es, dass, wenn wir von
religiösen Inhalten reden, wir uns in einer Welt von Bildern, welche
auf ein Ineffabile (Anm.: nicht zu fassen, unbegreiflich) hindeuten,
bewegen. Wir wissen nicht, wie deutlich oder wie undeutlich diese
Bilder, Gleichnisse und Begriffe hinsichtlich ihres transzendentalen
Gegenstandes sind. Sagen wir z. B. »Gott«, so äußern wir ein Bild
oder einen Wortbegriff, der im Laufe der Zeit viele Wandlungen erlebt
hat. Dabei sind wir außerstande, mit irgendwelcher Sicherheit
anzugeben -es sei denn durch den Glauben -, ob diese Veränderungen
nur Bilder und Begriffe, oder das Unaussprechliche selber betreffen.
Man kann sich ja Gott ebenso wohl als ewig strömendes, lebensvolles
Wirken, das sich in unendlichen Gestalten abwandelt, wie als ewig
unbewegtes, unveränderliches Sein vorstellen. Unser Verstand ist
sich nur des einen gewiss, dass er nämlich Bilder handhabt,
Vorstellungen, die von der menschlichen Phantasie und deren
zeitlicher und örtlicher Bedingtheit abhängen und sich daher in
ihrer Jahrtausende alten Geschichte vielfach gewandelt haben.
Unzweifelhaft liegt diesen Bildern ein bewusstseinstranszendentes
Etwas zugrunde, welches bewirkt, dass die Aussagen nicht schlechthin
grenzenlos und chaotisch variieren, sondern erkennen lassen, dass sie
sich auf einige wenige Prinzipien bzw. Archetypen beziehen. Diese
sind, wie die Psyche selber, oder wie die Materie, an sich
unerkennbar, und es lassen sich davon nur Modelle entwerfen, von
denen wir wissen, dass sie unzulänglich sind, was durch die
religiösen Aussagen auch immer wieder bestätigt wird.
Wenn ich mich also im
Nachfolgenden mit diesen »metaphysischen« Gegenständen
beschäftige, so bin ich mir völlig bewusst, dass ich mich dabei in
der Bilderwelt bewege, und dass keine einzige meiner Überlegungen an
das Unerkennbare rührt. Ich weiß zu gut, wie beschränkt unser
Vorstellungsvermögen ist -von der Enge und Armut unserer Sprache
schon gar nicht zu reden -, als dass ich mir einbilden könnte, meine
Aussagen bedeuteten prinzipiell mehr, als wenn ein Primitiver meint,
sein Rettergott sei ein Hase oder eine Schlange. Obschon unsere ganze
religiöse Vorstellungswelt aus anthropomorphen Bildern besteht, die
als solche einer rationalen Kritik niemals standhalten könnten, so
darf man darüber doch nicht vergessen, dass sie auf numinosen
Archetypen beruhen, d. h. auf einer emotionalen Grundlage, welche
sich für die kritische Vernunft als unangreifbar erweist. Es handelt
sich hier um seelische Tatsachen, die man nur übersehen, aber nicht
wegbeweisen kann. Darum hat in dieser Hinsicht schon Tertullian mit
Recht das Zeugnis der Seele angerufen. In seiner Schrift »De
Testimonio Animaea, Cap. V, sagt er:
»Haec
testimonia animae quanto vera, tanto simplicia: quanto simplicia,
tanto vulgaria: quanto vulgaria, tanto communia: quanto communia,
tanto naturalia: quanto naturalia, tanto divina, non putem cuiquam
frivolum et frigidum videri Posse, si recogitet naturae maiestatem,
ex qua censetur auctoritas animae. Quantum dederis magistrae, tantum
adiudicabis discipulae. Magistra natura, anima discipula. Quicquid
aut illa edocuit, aut ista perdidicit, a Deo traditum est, magistro
scilicet ipsius magistrae. Quid anima possit de principali
institutore praesumere, in te est aestimare de ea quae in te est.
Senti illam, quae ut sentias efficit: recogita in praesagiis vatem,
in omnibus augurem, in eventibus prospicem. Mirum si a Deo data
homini novit divinare. Tam mirum, si eum a quo data est,
novit.« -- Das ist pure Präpotenz, diesen
Schriftteil ohne Übersetzung anzugeben. Wie viele Menschen hätten
Interesse an Jungs Schriften, werden aber immer wieder vor den Kopf
gestoßen, weil sie nicht ausreichend Latein können, um den Absatz
übersetzen zu können.--
Übersetzung (Aus
Bibliothek der Kirschenväter, http://www.unifr.ch/bkv/index.htm):
Diese Zeugnisse der Seele sind ebenso wahr als einfach, ebenso
einfach als alltäglich, ebenso alltäglich als allgemein, ebenso
allgemein als natürlich, ebenso natürlich als göttlich. Ich möchte
nicht glauben, daß es jemandem wertlos und frostig vorkommen wird,
wenn er die Erhabenheit der Natur erwägt, wonach ja die Autorität
der Seele abzuschätzen ist. Gerade soviel als du der Lehrerin gibst,
wirst du der Schülerin zuerkennen; Lehrerin ist die Natur, Schülerin
die Seele. Alles, was jene gelehrt und diese gelernt hat, ist von
Gott gekommen als dem Lehrmeister auch der Lehrerin. Was die Seele in
betreff ihres höchsten Lehrers zu ahnen imstande sei, das zu
beurteilen ist an dir nach Maßgabe derjenigen, die in dir ist. Lerne
sie wahrnehmen, sie, die bewirkt, daß du wahrnimmst; beobachte sie,
die in Vorempfindungen eine Seherin, bei Vorzeichen eine Prophetin
ist und bei Ereignissen eine Vorahnung hat. Ist es ein Wunder, wenn
sie, von Gott dem Menschen gegeben, göttlicher Ahnungen fähig ist?
Ist es wirklich ein so großes Wunder, wenn sie den, von welchem sie
gegeben ist, kennt? Sogar vom Widersacher betrogen, [S. 212] bewahrt
sie ja noch die Erinnerung an ihren Urheber, seine Güte, seinen
Ratschluß, ihren Ausgang und ihren Widersacher, So wenig wunderbar
ist es, wenn sie, von Gott gegeben, das kundtut, was Gott den
Seinigen zu wissen gegeben hat!
Ich gehe einen Schritt
weiter und betrachte auch die Aussagen der Hl. Schrift als Äußerungen
der Seele, auf die Gefahr hin, des Psychologismus verdächtigt zu
werden. Wenn schon die Aussagen des Bewusstseins Täuschungen,
Lügen und sonstige Willkürlichkeiten sein können, so ist dies mit
den Aussagen der Seele keineswegs der Fall: sie gehen zunächst
immer über unseren Kopf hinweg, indem sie auf
bewusstseinstranszendente Wirklichkeiten verweisen. Diese entia sind
die Archetypen des kollektiven Unbewussten, welche
Vorstellungskomplexe in der Art mythologischer Motive verursachen.
Vorstellungen dieser Art werden nicht erfunden, sondern treten z. B.
in Träumen als fertige Gebilde in die innere Wahrnehmung. Es sind
spontane Phänomene, die unserer Willkür entzogen sind, und man ist
daher berechtigt, ihnen eine gewisse Autonomie zuzuschreiben. Sie
sind deshalb nicht nur als Objekte zu betrachten, sondern auch als
eigengesetzliche Subjekte. Man kann sie natürlich vom Standpunkt des
Bewusstseins aus als Objekte beschreiben und bis zu einem Grade auch
erklären, wie man einen lebenden Menschen in demselben Maße
beschreiben und erklären kann. Man muss dabei allerdings von ihrer
Autonomie absehen. Zieht man letztere aber in Betracht, so müssen
sie notgedrungenerweise als Subjekte gehandhabt werden, d. h. es muss
ihnen Spontaneität und Absichtlichkeit, bzw. eine Art von
Bewusstsein und von liberum arbitrium (Anm.: Willensfreiheit)
zuerkannt werden. -- Schmarrn. Auch das
Unbewusste ist Teil dessen, was wir Persönlichkeit nennen und kann
nicht außerhalb dieser agieren. -- Man beobachtet ihr
Verhalten und berücksichtigt ihre Aussagen. Dieser doppelte
Standpunkt, den man je dem relativ selbständigen Organismus
gegenüber einnehmen muss, ergibt natürlich ein doppeltes Resultat,
einesteils einen Bericht darüber, was ich mit dem Objekt tue,
andererseits darüber, was es (eventuell auch mit mir) tut. Es ist
klar, dass diese nicht zu umgehende Doppelheit im Kopfe meines Lesers
zunächst einige Verwirrung stiften wird und dies in besonderem Maße,
als wir es im Folgenden mit dem Archetypus der Gottheit zu tun haben
werden.
Sollte sich jemand
versucht fühlen, zu den Gottesbildern unserer Anschauung ein »Nur«
zu setzen, so käme er in Widerstreit mit der Erfahrung, welche die
außerordentliche Numinosität dieser Bilder über allen Zweifel
hinaus dartut. Die außerordentliche Wirksamkeit (= Mana) derselben
ist sogar derart, dass man nicht bloß das Gefühl hat, damit auf das
Ens realissimum hinzudeuten, sondern vielmehr überzeugt ist,
dasselbe auch auszusprechen und sozusagen zu setzen. Dadurch wird die
Diskussion ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich. Man kann sich
ja in der Tat die Wirklichkeit Gottes nicht anders vor Augen führen,
als unter Benützung meist spontan entstandener oder durch Tradition
geheiligter Bilder, deren psychische Natur und Wirkung der naive
Verstand noch nie von deren unerkennbarer metaphysischer Grundlage
getrennt hat. --Schmarrn. Alles ist uns
Bild, was wir für wirklich halten, auch wir selbst. Anscheinend hat
sich Jung niemals von der Vorstellung lösen können, dass nur die
Wirklichkeit der sogenannten geistig Gesunden Realität ist. Auch für
einen Geisteskranken sind seine Wahnideen wirklich und wenn er
darunter leidet, so leidet er an einer von ihm wahrgenommenen
Wirklichkeit, sonst würde er nicht leiden. -- Er setzt
ohne weiteres das wirkungskräftige Bild in eines mit dem
transzendentalen X, auf welches es hinweist. Die scheinbare
Berechtigung dieses Vorgehens leuchtet unmittelbar ein und kommt als
Problem nicht in Betracht, solange keine ernstlichen Einwände gegen
die Aussage erhoben werden. Liegt aber ein Anlass zur Kritik vor,
dann muss man sich daran erinnern, dass Bild und Aussage psychische
Vorgänge und von ihrem transzendentalen Gegenstand verschieden sind;
sie setzen ihn nicht, sondern deuten ihn bloß an. Im Bereiche
psychischer Vorgänge ist aber Kritik und Auseinandersetzung nicht
nur gestattet, sondern sogar unumgänglich.
Was ich im Folgenden
versuchen werde, stellt eine Auseinandersetzung mit gewissen
überlieferten religiösen Vorstellungen dar. Da ich es mit numinosen
Faktoren zu tun habe, so ist nicht nur mein Intellekt, sondern auch
mein Gefühl in die Schranken gefordert. Ich kann mich daher nicht
kühler Objektivität bedienen, sondern muss meine emotionale
Subjektivität zum Worte kommen lassen, um jenes darzustellen, das
ich empfinde, wenn ich gewisse Bücher der Hl. Schrift lese oder wenn
ich mich an die Eindrücke erinnere, die ich von unserer
Glaubenslehre empfangen habe. Ich schreibe nicht als Schriftgelehrter
(der ich nicht bin), sondern als Laie und als Arzt, dem es vergönnt
war, tiefe Einblicke in das Seelenleben vieler Menschen zu tun. Was
ich ausspreche ist zwar zunächst meine persönliche Auffassung, aber
ich weiß, dass ich zugleich auch im Namen Vieler spreche, denen es
ähnlich ergangen ist wie mir.
Lieber Michael,
AntwortenLöschenaus privatem Anlass habe ich mich neulich mit Hiob befasst. Es geht kurz um die Frage, wie weit sich jemand langfristig in der Opferrolle aufhalten muss, kann oder soll. Zum Beispiel bei Holocaustopfern (Mein „Anlass“ hat mit dem Holocaust nichts zu tun, betrifft auch nicht meine eigene Person) gibt es welche, die lebenslang so gut wie lebensuntüchtig blieben, andere fielen bald wieder auf ihre Füsse und führten ein (wenigstens von aussen betrachtet) durchaus normales Leben.
Jungs „Antwort auf Hiob“ habe ich vor 50(!) Jahren gelesen, war fasziniert, hatte ihn in jenen jungen Jahren noch zweimal nachgelesen. Und heute, mit 68 Jahren, suchte ich das Buch vergeblich im Gestell. Ihre interessanten Kommentare fand ich beim surfen und komme zu folgender Antwort auf Ihre Anwort (Achtung, sie ist nur skizziert, da ich darüber kein Buch schreiben will, und zudem ist meine Auffassung recht radikal!):
Die Lektion oder Botschaft der causa Hiob ist doch ganz einfach, aber revolutionär und vor dem Bild des Zeitgeists immer noch sehr modern! Daher wurde sie so erfolgreich verdrängt – oder wie Jung a.a.O. durchaus andeutet: Die Seele ist noch gar nicht so weit entwickelt...
Die Theodizee-Frage hat eine einzige und brutale Antwort, die für im Sinne Nietzsches „schwache Menschen“ eben schlicht unerträglich ist: Wir sind allein. Damit sind wir immerhin auch frei - um den so schmerzhaften Preis der bedingungslosen Verantwortlichkeit. Also können wir die Verantwortung nirgendhin delegieren; den Scheiss den wir anrichten, müssen wir schon selber ausbaden. Dieses Skandalon hat die Römisch-Katholische Kirche natürlich geleugnet, es unterläuft ja deren Geschäftsmodell...
Jung ĥat diese Tatsache nicht so explizit ausgedrückt. Doch sage ich: Dem Schicksal so gut wie dem Schöpfer ist es wurstegal ob wir leiden, elendiglich krepieren, die Insel der Glückseligkeit gefunden haben oder in elysischen Gefilden wandeln. Gott ist weder der Grosse Uhrmacher noch überhaupt der Schöpfer. Den braucht das moderne naturwissenschaftliche Weltbild nicht – Noch so eine Kränkung.
Gott der Archetyp ist damit keineswegs eliminiert! Er existiert ja als seelische Tatsache, was
nebenbei den Horizont so mancher platten Atheisten übersteigt. Zwar können wir den strafenden Gott ad acta legen: Das war doch schon ein grosser Entwicklungsschritt (der Seele oder des Gottesbildes, egal) , eben jenen vom AT zum NT mit der scheinbaren Regression im Falle Hiob. Was bleibt: Gott, vielleicht als summum bonum. Der Einteilung in Gut und Böse, wie sie im summum anklingt ziehe ich vor, was bereits die kluge Hildegard von Bingen schon vor-gedacht hatte: Gott ist die Weisheit.
Ich verstehe Gott so: Er wohnt im Unbewussten. Im Keller wohnen die in der Evolution erlernten Reflexe, auf deren Schultern dann die Instinkte und schliesslich im Vorbewussten die Muster des „guten“ Handelns, die Archetypen. „Gutes Handeln“ ist wertfrfei, darwinistisch zu verstehen, nämlich als das erfolgreiche, bewährte Überlebensmuster, was die „fitness“ ausmacht. All diese in der Evolution erworbene Weisheit macht den Chef-Archetypen „Gott“ aus. Er spricht mit Gefühlen und Träumen mit unserem Bewusstsein, lenkt.
N.B. : Diese Auffassung ist lustigerweise wenn nicht mit den Dogmen, so doch mit deren Inhalten ebenso gut wie mit dem modernen Verständnis der Persönlichkeit verträglich.
Sie sehen, ich orientiere mich als Naturwissenschaftler an der Natur, also jetzt an der Biologie. Spirituelles Denken liegt mir recht fern, was mich aber keineswegs hindert, die spirituelle Musik des MA und der Renaissance zu sehr mögen. Musik ist ja eine der starken Sprachen des Unbewussten.
Ich grüsse Sie freundlich,
vagant
Lieber Vagant!
AntwortenLöschenZunächst Danke für den Kommentar zu meinem in letzter Zeit von mir etwas vernachlässigten Blog.Mein letzter Eintrag ist schon viele Monate her, weil mir beim Lesen von Antwort auf Hiob irgendwann Jungs maßlose Präpotenz, die ich auch aus anderen Werken kenne, derart gegen den Strich ging, dass ich das Kommentieren einstellte. Ich habe aber fertig gelesen.
Ich wollte ursprünglich auf Ihrem Account antworten, konnte es aber nicht, da dieser noch nicht aktiviert worden ist. Ich weiß also nicht ob diese Antwort Sie erreicht.
Doch zu Ihrem Kommentar.:Ich finde Ihre Ansichten überhaupt nicht radikal, weil ich aus der persönlichen Geschichte meiner 63 Jahre in einem Punkt jedenfalls Ihre Ansicht vollkommen teile: Was immer wir in unserem Leben tun, denken oder fühlen hat keinen irgendwie gearteten Richter irgendwo. Es ist der Stoff aus dem wir uns nach der Erziehung durch unsere Eltern selbst "weiterbilden" und es gibt nichts in unserem Tun, Denken oder Fühlen, das nicht auf uns wirkt.
Natürlich kommt auch von Außen manches auf uns zu, dem wir Wirkmacht über uns zulassen, aber nach meiner persönlichen Erfahrung beginnt echtes Erwachsensein erst in dem Moment, da wir NICHTS und NIEMANDEN mehr für unser Sosein verantwortlich machen, sondern im Annehmen unseres Lebens, SO WIE ES IST in die Lage versetzt werden, vielleicht das eine oder andere in unserem Leben zu verändern und damit unsere Gegenwart und somit auch Zukunft zu gestalten.
Aus diesem von mir Gesagten folgt unmittelbar, dass ich dem Konzept des Unbewussten als eine von uns unabhängige "Macht", wie es Freud und Jung mit unterschiedlichen Betonungen entworfen habe bestenfalls als krankhafte Verbildung des Menschen verstehen kann. Im reifen Erwachsenen ist Bewusstsein nicht nur das, was aktuell gedanklich oder gefühlsmäßig mit all seinen Mischformen präsent ist, sondern auch all das was unterhalb einer momentan vorhandenen und sich ständig ändernden Bewusstseinssituation vorhanden ist. Jeder, der sich erlaubt auch aufmerksam mit sich selbst umzugehen und sich nicht ständig mit Wichtigkeiten von Außen vermüllen lässt, kennt diesen Strom von Gedanken und Gefühlen die auftreten, wenn äußere und innere Stille zugelassen wird. Es ist nicht notwendig auf diese Gedanken und Gefühle zu warten, sie festzuhalten oder für wichtig zu nehmen, sprich sie zu bewerten. Es ist nur notwendig sie zuzulassen und auch wieder gehen zu lassen. Dass dies auch zeitweise zu einem so empfundenen Ritt durch die "Hölle" ausarten kann versteht sich von selbst und ist darum auch keinem angstvollen Menschen zu empfehlen.
Aus dem von mir gesagten leite ich keinerlei Wertung von Menschen ab, die es nicht schaffen, sich auf ihre eigenen Füße zu stellen und von allen möglichen äußeren Einflüssen hin- und her geworfen werden oder Menschen, die irgendeiner Religionsgemeinschaft angehören. Das oben Gesagte ist kein theoretisches Konstrukt, sondern Wirklichkeit, wie ich sie wahrnehme. Es ist nichts so wirklich wie das, das ein Mensch dafür hält. Die einzig mögliche Verbindung zwischen diesen oft sehr verschiedenen Wirklichkeiten ist das offene und nicht verletzende Gespräch.
Sollten Sie aus dem Gesagten vermuten, dass ich sowas wie ein Esoteriker bin, so sind Sie auf dem Holzweg. Ich bin Chemiker, stehe mit beiden Füßen auf dem Boden und war vor meiner Pension Leiter eines großen Labors mit vielen Mitarbeitern und ebenso vielen Wirklichkeiten, mich eingeschlossen.