Mittwoch, 20. Juni 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung 3. Teil


Auf Jahwes Rede antwortet Hiob (XXXIX, 34):
Siehe, ich bin zu gering, was soll ich dir antworten?
Ich lege die Hand auf meinen Mund.
Einmal habe ich geredet und wiederhole es nicht,
Zweimal, und tue es nicht wieder.«

In der Tat, im unmittelbaren Anblick unendlicher Schöpferkraft ist dies für einen Zeugen, dem der Schreck beinahe völliger Vernichtung noch in allen Gliedern liegt, die einzig mögliche Antwort. Wie könnte ein im Staub kriechender, halbzertretener Menschenwurm unter den obwaltenden Umständen überhaupt vernünftigerweise anders antworten? Trotz seiner erbärmlichen Kleinheit und Schwäche weiß dieser Mensch, dass er einem übermenschlichen Wesen, das persönlich äußerst empfindlich ist, gegenübersteht und darum auf alle Fälle besser daran tut, sich aller kritischen Überlegungen zu enthalten, nicht zu sprechen von gewissen moralischen Ansprüchen, die man auch einem Gotte gegenüber glaubt haben zu dürfen.-- Jung geht von der Erfahrung Hiobs mit einem ihm tatsächlich gegenüberstehenden Gott aus. Tatsächlich spiegelt sich in dieser Geschichte die Entwicklung des Monotheismus wieder. Natürlich konnten die damaligen Gottesvorstellung noch nicht die heutige Ausformung gehabt haben, da die Menschen noch nicht allzulange Zeit vorher einen doch sehr anthropomorphen Polytheismus verlassen hatten. Das bedeutet nichts anderes, als dass Gott alle Züge eines übermächtigen Tyrannen hatte und damit sein Verhalten die damals wohl vorherrschende Form des Umgangs von Fürsten mit einfachen Untertanen war.--
Jahwes Gerechtigkeit wird gepriesen. Vor ihn, als dem gerechten Richter, könnte Hiob seine Klage und die Beteuerung seiner Unschuld wohl vorbringen. Aber er zweifelt an dieser Möglichkeit: »Wie kann ein Mensch Recht haben vor Gott?« »Wollte ich ihn vor Gericht ziehen, er stünde nicht Rede. « »Gibt es das Recht; wer will ihn vorladen?« Ohne Grund schlägt er ihm »viele Wunden«. »Schuldlose wie Unschuldige vernichtet er! Wenn seine Geißel plötzlich tötet, so lacht er der Verzweiflung der Unschuldigen.« »Ich weiß«, spricht Hiob zu Jahwe, »dass du mich nicht ledig sprichst. Ich soll ja (nun einmal) schuldig sein.« Wenn er sich schon reinigte, so würde Jahwe ihn »in Unrat tauchen«. »Er ist nicht ein Mensch, wie ich, dass ich ihm erwiderte, dass wir zusammen vor Gericht gingen.« Hiob will aber seinen Standpunkt vor Jahwe erklären, seine Klage erheben und sagt ihm, er wisse ja, dass er, Hiob, unschuldig sei, und dass ihn »niemand aus seiner Hand errettete«. Es »gelüstet« ihn, »mit Gott zu rechten«. Er will ihm »seine Wege ins Angesicht dartun«. Er weiß, dass er »im Rechte“ ist. Jahwe sollte ihn vorladen und ihm Rede stehen oder ihn wenigstens seine Klage vorbringen lassen. In richtiger Einschätzung des Missverhältnisses zwischen Gott und Mensch stellt er ihm die Frage: »Willst du ein verwehtes Blatt erschrecken und einen dürren Halm verfolgen?« Gott hat sein »Recht gebeugt«. Er hat ihm sein »Recht genommen«. Er »achtet nicht des Unrechtes«. »Bis ich verscheide, beharre ich auf meiner Unschuld, an meiner Gerechtigkeit halte ich fest und lasse sie nicht.« Sein Freund Elihu glaubt nicht an die Ungerechtigkeit Jahwes: »Gott tut nicht Unrecht und nicht verdreht der Allmächtige das Recht«, und begründet diese Ansicht unlogischerweise mit dem Hinweise auf die Macht: man wird zum König auch nicht sagen: »Du Nichtswürdiger« und »Du Gottloser« zu den Edlen. Man müsse »die Person der Fürsten ansehen« und »des Hohen mehr achten als des Niederen«. Aber Hiob lässt sich nicht erschüttern und spricht ein bedeutendes Wort: »Schon jetzt, siehe, lebt im Himmel mir ein Zeuge, mir ein Mitwisser in der Höhe ...zu Gott blickt tränend auf mein Auge, dass er Recht schaffe dem Manne gegen Gott«, und an anderer Stelle: »Ich aber weiß: mein Anwalt lebt, und ein Vertreter ersteht (mir) über dem Staube.« Aus den Worten Hiobs geht deutlich hervor, dass er, trotz seinem Zweifel, ob ein Mensch vor Gott Recht haben könne, nur schwer von dem Gedanken lasse; kann, auf dem Boden des Rechtes, und damit der Moral, Gott gegenüberzutreten. Das Wissen, dass göttliche Willkür das Recht beugt, fällt ihm nicht leicht, denn er kann trotz allem seinen Glauben an die göttliche Gerechtigkeit nicht aufgeben. -- Das Buch Hiob wirft in vergleichbarer Form die Frage der Gerechtigkeit Gottes auf wie mehr als 2000 Jahre später das Erdbeben von Lissabon. Die Annahme einer Gerechtigkeit Gottes, der gute Taten belohnt und schlechte Taten bestraft ist eine menschliche Vorstellung. Hinzu kommt die wohl übliche Erfahrung jener Zeit, dass Herrscher absolute Herrscher waren und die Interpretation des Rechts ausschließlich von der jeweiligen Verfasstheit des Herrschers abhingen. -- Aber andererseits muss er sich gestehen, dass niemand anders ihm Unrecht und Gewalt antut, als eben Jahwe selber. Er kann nicht leugnen, dass er sich einem Gotte gegenüber befindet, der sich um kein moralisches Urteil kümmert, bzw. keine für sich verbindliche Ethik anerkennt. Das ist wohl das Größte in Hiob, dass er angesichts dieser Schwierigkeit nicht an der Einheit Gottes irre wird, sondern klar sieht, dass Gott sich in Widerspruch mit sich selber befindet und zwar dermaßen total, dass er, Hiob, gewiss ist, in Gott einen Helfer und Anwalt gegen Gott zu finden. So gewiss ihm das Böse, so gewiss ist ihm auch das Gute in Jahwe. In einem Menschen, der uns Böses antut, können wir nicht zugleich den Helfer erwarten. Jahwe aber ist kein Mensch; Er ist beides, Verfolger und Helfer in Einem, wobei der eine Aspekt so wirklich ist wie der andere. Jahwe ist nicht gespalten, sondern eine Antinomie, eine totale innere Gegensätzlichkeit, die unerlässliche Voraussetzung seiner ungeheueren Dynamik, seiner Allmacht und Allwissenheit. Aus dieser Erkenntnis heraus hält Hiob daran fest, ihm »seine Wege darzutun«, d. h. ihm seinen Standpunkt klar zu machen, denn ungeachtet seines Zornes ist er sich selber gegenüber auch der Anwalt des Menschen, der eine Klage vorzubringen hat.
-- In vorangehenden Absatz spiegelt sich das Grundproblem aller großen monotheistischen Religionen, die eine Allmacht ihres Gottes und dessen Gerechtigkeit annehmen: Die Wirklichkeit der Erfahrung widerspricht dem nicht nur im Fall Hiob sondern auch im Überleben des Freudenhauses beim Beben von Lissabon bei gleichzeitiger Zerstörung der Kathedrale und auch bei zahllosen viel weniger dramatischen Ereignissen, die Menschen widerfahren. Der Autor (oder die Autoren) des Buches Hiob mussten an der Beständigkeit von Hiobs Glauben und der ihm letztlich widerfahrenen Gerechtigkeit festhalten, da sie sich in der Anfangszeit ihres Monotheismus befanden, der einer Umwelt mit beliebigen Göttern gegenüberstand, die wie die Menschen beliebig gegeneinander kämpften und die Frage nach einer allgemeinen Gerechtigkeit nie stellten. Alles unterlag nur der Beliebigkeit von Interessen, etwas, das ja nach wie vor die gesamte Menschheit prägt, völlig unabhängig von religiösen Bekenntnissen.
Das eigentliche Problem dieser Widersprüchlichkeit sind die menschlichen Vorstellungen. Die Menschen nehmen in Anspruch, etwas besonderes zu sein bis dahin, außerhalb der Naturgesetze zu stehen. Naturgesetze kennen weder gut noch schlecht. Sie sind so, wie sie sind. Alles was wir Wohlergehen oder Katastrophe nennen, sind menschliche Kategorien und Wertungen. Die zugrunde liegenden Ereignisse sind einfach so, wie sie sind und waren auch schon so, bevor es Menschen gab. So schwer es auch bei persönlicher Betroffenheit (auch mir) fällt, diese Ereignisse einfach anzunehmen, sie sind nicht wegen mir oder eines anderen so, wie sie sind. Ich bin nur zufällig da bei diesen Ereignissen und darum ist Wohlergehen niemals ein Verdienst und Leiden niemals eine Strafe. Der Buddhismus sagt, das alles Festhalten-Wollen Leiden erzeugt und da ist, auch völlig ohne Religion was dran. Den Vorstellungen und Bewertungen sind sehr oft eine Form des Festhaltens, denn durchaus verständlicherweise wollen Menschen nur, dass es ihnen wohl ergeht, da dies ja der angenehmere Zustand ist. --
Man könnte über die Gotteserkenntnis Hiobs noch mehr erstaunt sein, wenn man von der Amoralität Jahwes hier zum ersten Male vernähme. Die unberechenbaren Launen und verheerenden Zornanfälle Jahwes waren aber seit alters bekannt. -- Weil Jahwe im Buch Hiob, so wie alle Religionen der damaligen Zeit sehr genau die Verfasstheit eben dieser Zeit widerspiegelt, d.h. Er kann gar nicht anders sein als alle anderen Vorstellungen seiner Zeit. -- Er erwies sich als eifersüchtiger Hüter der Moral; insbesondere war er empfindlich in Bezug auf Gerechtigkeit. Er musste daher stets als »gerecht« gepriesen werden, woran, wie es scheint, ihm nicht wenig lag. Dank diesem Umstand, bzw. dieser Eigenart, hatte er distinkte Persönlichkeit, die sich von der eines mehr oder weniger archaischen Königs nur durch den Umfang unterschied. Sein eifersüchtiges und empfindliches Wesen, das misstrauisch die treulosen Herzen der Menschen und ihre heimlichen Gedanken durchforschte, erzwang ein persönliches Verhältnis zwischen ihm und dem Menschen, der nicht anders konnte, als sich persönlich von ihm angerufen zu fühlen. Das unterschied Jahwe wesentlich vom allwaltenden Vater Zeus, der wohlwollend und etwas detachiert die Ökonomie der Welt auf altgeheiligten Bahnen abrollen ließ und nur das Unordentliche bestrafte. Er moralisierte nicht, sondern waltete instinkthaft. Von den Menschen wollte er nichts, als die ihm gebührenden Opfer; mit ihnen wollte er schon gar nichts, denn er hatte keine Pläne mit ihnen. Vater Zeus ist zwar eine Gestalt, aber keine Persönlichkeit. Jahwe dagegen lag es an den Menschen. Sie waren ihm sogar ein Anliegen erster Ordnung. Er brauchte sie, wie sie ihn brauchten, dringlich und persönlich. Zeus konnte zwar auch Donnerkeile schmettern, aber nur auf einzelne unordentliche Frevler. Gegen die Menschheit im Ganzen hatte er nichts einzuwenden. Sie interessierte ihn auch nicht besonders. Jahwe dagegen konnte sich maßlos über die Menschen als Genus und als Individuum aufregen, wenn sie sich nicht so benahmen, wie er wünschte und erwartete, ohne sich dabei allerdings je Rechenschaft darüber zu geben, dass es ja in seiner Allmacht gelegen hätte, etwas besseres zu erschaffen, als diese »irden schlechten Töpfe«.
Bei dieser intensiven persönlichen Bezogenheit auf sein Volk konnte es nicht ausbleiben, dass sich daraus ein eigentlicher Bund entwickelte, der sich auch auf einzelne Personen bezog, so z. B. auf David. Wie der 89ste Psalm berichtet, sagte Jahwe zu David:
»....Meine Treue will ich nicht brechen. Ich will meinen Bund nicht entweihen, Und was meine Lippen gesprochen, nicht ändern. Das eine habe ich bei meiner Heiligkeit geschworen - Nie werde ich David belügen......«
Und dann ist es doch geschehen, dass er, der so eifersüchtig über Gesetzes- und Vertragserfüllung wachte, seinen Schwur brach. Dem empfindsamen modernen Menschen wäre der schwarze Abgrund der Welt aufgerissen, der Boden wäre unter seinen Füßen gewichen, denn das, was er von seinem Gott zumindest erwarten würde, wäre, dass er dem Sterblichen in jeglicher Hinsicht überlegen sei, und zwar im Sinne des Besseren, Höheren, Edleren, aber nicht in der Hinsicht moralischer Beweglichkeit und Unzuverlässigkeit, die selbst einen Meineid in Kauf nimmt.
Man darf natürlich einen archaischen Gott nicht mit den Bedürfnissen moderner Ethik konfrontieren. -- Man darf die archaische Vorstellungswelt von Jahwe nicht mit der Vorstellungswelt moderner Ethik konfrontieren. Auch wenn Jung in einem Interview sagte, es wisse, das es Gott gibt, so ist es doch so, dass er nur weiß, dass es sein Bild von Gott gibt. -- Für den Menschen des frühen Altertums lag die Sache etwas anders: an seinen Göttern blühte und strotzte schlechthin alles, Tugenden und Laster. Man konnte sie daher auch bestrafen, anbinden, betrügen, sie aufeinander hetzen, ohne dass sie an Prestige einbüßten - wenigstens nicht auf lange Sicht hinaus. Der Mensch jener Aeone war an die göttlichen Inkonsequenzen so gewöhnt, dass, wenn sie passierten, sie ihn nicht über Gebühr erschütterten. Bei Jahwe lag der Fall allerdings insofern etwas anders, als in der religiösen Beziehung schon sehr früh der Faktor der persönlich-moralischen Bindung eine bedeutende Rolle spielte. Unter diesen Umständen musste ein Vertragsbruch nicht nur persönlich, sondern auch moralisch verletzend wirken. Ersteres ersieht man aus der Art und Weise, wie David antwortet. Er sagt (89, 47):
»Wie lange, o Herr, willst du dich noch verbergen,
Deinen Grimm lodern lassen wie Feuer?
Bedenke, o Herr: Was ist doch das Leben!
Wie nichtig alle Menschenkinder, die du geschaffen!
-
Wo sind deine früheren Gnadenbeweise, o Herr,
Wie du sie David geschworen bei deiner Treue?«
Wäre dies zu einem Menschen gesprochen, so würde es etwa lauten: »So nimm dich doch endlich zusammen, und höre auf mit deiner sinnlosen Wüterei. Es ist doch wirklich zu grotesk, wenn jemand wie du über die Pflänzchen, die nicht ohne deine Schuld nicht recht gedeihen wollen, sich in solchem Maße aufregt. Du konntest doch früher auch vernünftig sein und das Gärtlein, das du gepflanzt, richtig besorgen, statt es zu zertrampeln.«
Der Interlocutor kann es allerdings nicht wagen, mit dem allmächtigen Partner wegen des Vertragsbruches zu rechten. Er weiß, was er zu hören bekäme, wenn er der bedauernswerte Rechtsbrecher wäre. Er muss sich, weil es sonst lebensgefährlich für ihn würde, auf das höhere Niveau der Vernunft zurückziehen und erweist sich damit, ohne es zu wissen und zu wollen, als dem göttlichen Partner in intellektueller sowohl als moralischer Hinsicht leise überlegen. Jahwe merkt es nicht, dass er »behandelt« wird, so wenig wie er versteht, warum er anhaltend als gerecht gepriesen werden muss. Er hat einen dringlichen Anspruch an sein Volk, in allen möglichen Formen "gepriesen"(oder gar "gesegnet" zu werden, was erst recht verfänglich ist) und propitiiert zu werden, mit dem offensichtlichen Zweck, ihn um jeden Preis bei Laune zu erhalten.
Der hieraus sichtbar werdende Charakter passt zu einer Persönlichkeit, die nur vermöge eines Objektes sich ein Gefühl eigener Existenz verschaffen kann. Die Abhängigkeit vom Objekt ist absolut, wenn das Subjekt keinerlei Selbst-Reflexion und damit auch keine Einsicht in sich selbst besitzt. Es hat den Anschein, als ob es nur vermöge des Umstandes existiere, dass es ein Objekt hat, welches dem Subjekt versichert, es sei vorhanden. Wenn Jahwe, wie man wenigstens von einem einsichtigen Menschen erwarten dürfte, wirklich seiner selbst bewusst wäre, so hätte er, in Anbetracht der wirklichen Sachlage, den Lobpreisungen seiner Gerechtigkeit wenigstens Einhalt tun müssen. Er ist aber zu unbewusst, um »moralisch« zu sein. Moralität setzt Bewusstsein voraus. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass Jahwe etwa unvollkommen oder böse sei wie ein gnostischer Demiurg. Er ist jede Eigenschaft in ihrer Totalität, also u. a. die Gerechtigkeit schlechthin, aber auch das Gegenteil, und dies ebenso vollständig. So wenigstens muss er gedacht werden, wenn man sich ein einheitliches Bild seines Wesens machen will. -- Hier verwendet Jung zum ersten Mal den Ausdruck des Bildes von Jahwe. Ich habe den Eindruck, dass er bezueglich Jahwe in einem Ausmaß anthropomorphisiert, das sein sonstiges Bilder-Denken noch weit übersteigt. Aber offenbar bewertete Jung (wie Freud auch) von einer sehr elitären Position aus die Welt und ihre Vorgänge. -- Wir müssen uns dabei nur bewusst bleiben, dass wir damit nicht mehr als ein anthropomorphes Bild entworfen haben, welches nicht einmal besonders anschaulich ist. Die Äußerungsweise des göttlichen Wesens lässt erkennen, dass die einzelnen Eigenschaften ungenügend aufeinander bezogen sind, so dass sie ineinander widersprechende Akte zerfallen. So z. B. reut es Jahwe, Menschen gemacht zu haben, wo doch seine Allwissenheit von Anfang an genau im Bilde darüber war, was mit solchen Menschen geschehen wird.
Hier an dieser Stelle ist mir natürlich klar, das Jung diesen Jahwe für wirklich hält und natürlich ist er für ihn wirklich, weil diese Wirklichkeit von ihm so erfahren wird. Dies ist darum auch so stehen zu lassen. Doch für mich gibt es eine andere Erfahrung von Wirklichkeit, von der ich nur weiß, dass sie sehr viele Randbedingungen hat, die ich nicht verändern kann. Ich nehme diese Randbedingungen an, so wie dies ganz offenbar auch Jung getan hat. Ich weiß nur, dass dies eine mir zugekommene Wirklichkeit ist und dass die anderer Menschen anders ist. Ich bin nur nicht bereit, den Anspruch, den Jung auch bei vielen anderen Gelegenheiten gestellt hat zu akzeptieren, nämlich dass dies alles wahr ist im allgemeinen Sinne und dass er der Garant dafür sei. Auch wenn es viele Menschen gegeben hat, die diesen Anspruch akzeptierten, so tue ich dies nicht. Dies alles ist ausschließlich seine Wahrheit, völlig ungeachtet der Tatsache, dass er natürlich außerordentlich intelligent und auch außerordentlich belesen war. Er hat nur meines Erachtens einen ganz wesentlichen Aspekt des Wissens nie realisieren können, nämlich das jede Zunahme an Wissen auch gleichbedeutend ist mit einer ungleich größeren Zunahme auch des Wissens um die Lücken in diesem Wissen und der Unmöglichkeit, diese schließen zu können. Vielleicht ist das die in allen Religionen vorkommende Verblendung: Ein rationalisiertes Gebäude von Wirklichkeit, das einzig nur dazu dient, der für die Ratio bedrückenden Ohnmacht des Nichtwissens zu entkommen. Es gibt natürlich auch die andere Möglichkeit, die eigene Begrenztheit anzunehmen und ganz schlichtweg bescheiden zu werden. Das ist aber überhaupt nichts besonderes und führt auch nicht zu Ruhm und Ansehen.
Eigentlich müsste ich an dieser Stelle meine Kommentare aufhören. Ich meine aber, dass es diese Schrift verdient, sich weiter mit ihr auseinanderzusetzen.

Dienstag, 19. Juni 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung 2. Teil


ANTWORT AUF HIOB
Das Buch Hiob ist ein Markstein auf dem langen Entwicklungswege eines göttlichen Dramas. Als das Buch entstand, lagen schon vielerlei Zeugnisse vor, welche ein widerspruchsvolles Bild Jahwes entworfen hatten, nämlich das Bild eines Gottes, der maßlos war in seinen Emotionen und an eben dieser Maßlosigkeit litt. Er gab es sich selber zu, dass ihn Zorn und Eifersucht verzehrten und dass ihm dieses Wissen leidvoll war. Einsicht bestand neben Einsichtslosigkeit, wie Güte neben Grausamkeit und wie Schöpferkraft neben Zerstörungswillen. Es war alles da, und keines hinderte das andere. Ein derartiger Zustand ist uns nur denkbar, wenn entweder kein reflektierendes Bewusstsein vorhanden ist, oder wenn die Reflexion ein bloß ohnmächtig Gegebenes und Mitvorkommendes darstellt. Ein Zustand, der solchermaßen beschaffen ist, kann nur als amoralisch bezeichnet werden. – Warum akzeptiert Jung das nicht als Entwicklungsstadium der Menschen in jener geographischen Gegend, mit dem natürlich auch der Entwicklungsstand des oder der Gottesbilder korrespondiert? 
Wie die Menschen des Alten Testamentes ihren Gott empfanden, davon wissen wir durch die Zeugnisse der Hl. Schrift. Doch nicht darum soll es sich hier handeln, sondern vielmehr um die Art und Weise, wie ein christlich erzogener und gebildeter Mensch unserer Tage sich mit den göttlichen Finsternissen, die sich im Hiobbuch enthüllen, auseinandersetzt, bzw. wie diese auf ihn wirken. Es soll keine kühl abwägende, jeder Einzelheit gerecht werdende Exegese gegeben, sondern eine subjektive Reaktion dargestellt werden. Damit soll eine Stimme laut werden, die für Viele, welche Ähnliches empfinden, spricht, und es soll eine Erschütterung zum Worte kommen, welche von dem durch nichts verschleierten Anblick göttlicher Wildheit und Ruchlosigkeit ausgelöst wird. Auch wenn wir um den Zwiespalt und das Leiden in der Gottheit wissen, so sind sie doch dermaßen unreflektiert und daher moralisch unwirksam, dass sie kein verständnisvolles Mitgefühl, sondern einen ebenso unreflektierten wie nachhaltigen Affekt erregen, welcher einer Wunde gleichkommt, die nur langsam heilt. Wie die Wunde der verletzenden Waffe entspricht, so der Affekt der verursachenden Gewalttat. -- Wieder: warum Gottheit? Jung kennt selbst als erwachsener und reifer Mensch die Zeit des 2. Weltkrieges sowie die Nazizeit und all der damit verbundenen Gräuel aus eigener Anschauung. Und er war zumindest eine kurze Zeitspanne selbst ein Verführter. Gerade er als Psychiater in seiner Kenntnis der möglichen Verwirrungen der menschlichen Seele müsste ungeachtet aller Betroffenheit durch die Geschichte von Hiob sich dessen bewusst sein, dass Hiob versucht, einem Gottesbild und nicht einer real existierenden Gottheit gerecht zu werden. Und dieses Gottesbild reflektiert sehr genau den für Hiob und seinesgleichen bestehenden Entwicklungszustand. Zugleich weist Hiob selbst in dieser Geschichte darüber hinaus und ermöglicht durch seine Haltung eine Weiterentwicklung sowohl dieses Gottesbildes als auch der dieses verehrenden Menschen, was letztlich im modernen Monotheismus heutiger Tage mündet. Ungeachtet dessen haben christliche Priester unseres Kulturkreises vor noch nicht allzu langer Zeit Waffen gesegnet und sind muslimische wie jüdische Fundamentalisten auch heute noch überzeugt, den jeweils anderen aus religiösen Gründen vernichten zu müssen. Das hat überhaupt nichts mit einer Entwicklung von Jahwe zu tun.--
Das Buch Hiob spielt nur die Rolle eines Paradigmas für die Art und Weise eines Gotteserlebnisses, das für unsere Zeit eine ganz besondere Bedeutung besitzt. Derartige Erfahrungen befallen den Menschen sowohl von innen wie von außen, und es hat keinen Zweck, sie rational umzudeuten und damit apotropaeisch (Anmerk,: magische Eigenschaft von Gesten, Dingen oder speziellen Zeichen zur Abwehr von Schaden) abzuschwächen. Man gibt sich besser den Affekt zu und unterwirft sich seiner Gewalt, als dass man sich seiner durch allerhand intellektuelle Operationen oder durch gefühlsmäßige Fluchtbewegungen entledigt. Obschon man durch den Affekt alle schlechten Eigenschaften der Gewalttat nachahmt und sich dadurch desselben Fehlers schuldig macht, so ist dies doch eben gerade der Zweck solchen Geschehens: es soll in den Menschen eindringen, und er soll dieser Wirkung unterliegen. Er muss daher affiziert sein, denn sonst hat die Wirkung ihn nicht erreicht. Er soll aber wissen oder vielmehr kennenlernen, was ihn affiziert hat, denn damit wandelt er die Blindheit der Gewalt einerseits und des Affektes andererseits in Erkenntnis. -- Dies klingt nach Erkenntnismöglichkeit ausschließlich auf Basis eines Gottesbildes und ist zu verneinen. Und ich rede nicht von rationalem Abwägen, sondern tatsächlich von Erkennen im Sinne von Wahrnehmen, das letztlich den ganzen Menschen verändert. Solches Erkennen ist nur möglich unter Hintanstellung aller Gottesbilder und ist doch eine zutiefst persönliche Erfahrung, die niemals Allgemeincharakter beanspruchen kann und schon gar kein Beweis für irgend einen Gott ist. Sie wurde aber von allen Menschen zu allen Zeiten mit der je eigenen Gottesvorstellung in Verbindung gebracht und ist darum in allen Religionen präsent.
Aus diesem Grunde werde ich im Folgenden ungescheut und rücksichtslos dem Affekte das Wort lassen und auf Ungerechtigkeit Ungerechtes antworten, damit ich verstehen lerne, warum oder wozu Hiob verwundet wurde, und welche Folgen aus diesem Geschehnis für Jahwe sowohl wie für den Menschen erwachsen sind. 

Montag, 18. Juni 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung - 1. Teil

Alle eigenen Kommentare sind in Schrägbuchstaben in roter Farbe dargestellt.



LECTORI BENEVOLO 
Doleo super te frater mi...
11 Reg. 1, 26
(Anm: lectori benevolo: freundlicher Leser)
Die Angabe der Bibelstelle entspricht der Vulgata, in der deutschen Übersetzung ist es 2, Sam. 1, 26: Lutherübersetzung: Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonatan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir wundersamer gewesen, als Frauenliebe ist. Die King James Bibel übersetzt aus dem Griechischen: I am distressed for thee, my brother Jonathan: very pleasant hast thou been unto me: thy love to me was wonderful, passing the love of women.)

Meine Schrift bedarf, um ihres etwas ungewöhnlichen Inhaltes willen, eines kurzen Vorwortes, welches mein Leser nicht übersehen möge. Es wird nämlich im Folgenden von ehrwürdigen Gegenständen des religiösen Glaubens die Rede sein, und wer immer solche Reden führt, läuft Gefahr, zwischen jenen beiden Parteien, die sich um eben diese Gegenstände streiten, in Stücke gerissen zu werden. Der Streit beruht auf der eigentümlichen Voraussetzung, dass etwas nur dann »wahr« sei, wenn es sich als eine physische Tatsache darbiete oder dargeboten habe. So wird z. B. die Tatsache, dass Christus von einer Jungfrau geboren worden sei, von den einen als physisch wahr geglaubt, von den anderen aber als physisch unmöglich bestritten. Jedermann kann sehen, dass dieser Gegensatz logisch unlösbar ist, und dass man darum besser daran täte, dergleichen unfruchtbare Dispute zu unterlassen. Beide nämlich haben Recht und Unrecht und könnten sich leicht einigen, wenn sie nur auf das Wörtchen »physisch« verzichten wollten. »Physisch« ist nicht das einzige Kriterium einer Wahrheit. Es gibt nämlich auch seelische Wahrheiten, die sich physisch weder erklären noch beweisen oder bestreiten lassen. Wenn z. B. ein allgemeiner Glaube vorhanden wäre, dass der Rhein zu irgend einer Zeit einmal von der Mündung aufwärts in seine eigene Quelle zurückgeflossen sei, so ist dieser Glaube an sich eine Tatsache, obschon dessen Aussage, physisch verstanden, als äußerst unglaubwürdig gelten muss. Ein solcher Glaube bildet eine seelische Tatsache, die nicht zu bestreiten ist und keines Beweises bedarf. Zu dieser Art gehören die religiösen Aussagen. Sie beziehen sich samt und sonders auf Gegenstände, die physisch nicht feststellbar sind. -- C.G. Jung übersieht, dass es sehr viele Christen gibt, die überzeugt sind, dass die Bibel wörtlich zu nehmen ist und sich in ihrem Glauben keinen Deut um Übersetzungsprobleme oder gar physisch und psychisch kümmern.-- Täten sie es nicht, so würden sie unweigerlich in den Bereich der Naturwissenschaft fallen, um von dieser als unerfahrbar kassiert zu werden. Als auf Physisches Bezügliches haben sie überhaupt keinen Sinn. Sie wären bloße Wunder, die an sich schon dem Zweifel ausgesetzt sind, und könnten die Wirklichkeit eines Geistes, d. h. eines Sinnes, doch nicht beweisen, denn der Sinn erweist sich immer aus sich selbst. Der Sinn und Geist Christi ist uns gegenwärtig und vernehmlich auch ohne Wunder. Letztere appellieren nur an den Verstand solcher, die den Sinn nicht erfassen können. Sie sind ein bloßer Ersatz für die nicht verstandene Wirklichkeit des Geistes. Damit soll nicht bestritten werden, dass dessen lebendige Gegenwart nicht etwa gelegentlich von wunderlichen physischen Ereignissen begleitet ist, sondern es soll nur betont sein, dass letztere die allein wesentliche Erkenntnis des Geistes weder ersetzen noch bewerkstelligen können.
Die Grundfrage wird von C.G. Jung nicht in ihrer Schärfe wahrgenommen, weil die Welt nach seinem Verständnis in einen Schubladenkasten mit verschiedenen Fächern passt. Er beansprucht Wirklichkeiten, die als solche nicht existieren, sondern bloße Projektionen sind. Diese Projektionen sind deshalb so erfolgreich, weil große Gruppen von Menschen diese zum einen unhinterfragt akzeptieren und zum anderen diese zu einem geschlossenen (Denk- und Vorstellungs-)System wird, dessen Orientierungskoordinaten ausschließlich innerhalb der Denkmuster und Vorstellungen des Systems liegen. Erfahrung und Wirklichkeit ist immer die Interpretation von Ereignissen. Selbst Naturwissenschaft ist nur eine systematische Interpretation von Ereignissen. Daraus, dass sie so erfolgreich ist, kann keine Wahrheit abgeleitet werden, da es einen verbleibenden Graubereich von nicht eintretenden Prognosen gibt, der bei Wahrheit nicht existieren darf.

Die Tatsache, dass die religiösen Aussagen oft sogar im Gegensatz zu den physisch beglaubigten Erscheinungen stehen, beweist die Selbständigkeit des Geistes gegenüber der physischen Wahrnehmung und eine gewisse Unabhängigkeit der seelischen Erfahrung von den physischen Gegebenheiten.- Was ist Geist und was ist Seele? Wird alles darunter subsummiert, was wir nicht verstehen?- Die Seele ist ein autonomer Faktor, und religiöse Aussagen sind seelische Bekenntnisse, die in letzter Linie auf unbewussten, also transzendentalen Vorgängen fußen -- Was hat Unbewusstes mit Transzendenz zu tun --. Letztere sind der physischen Wahrnehmung unzugänglich, beweisen aber ihr Vorhandensein durch entsprechende Bekenntnisse der Seele. -- Sie beweisen nur, dass Menschen sich die Welt beliebig vorstellen können, ja dass diese Erfahrung der Welt durch unsere je besonderen Vorstellungen bestimmt wird -- Diese Aussagen werden durch das menschliche Bewusstsein vermittelt, bzw. in anschauliche Formen gebracht, welche ihrerseits mannigfachen Einflüssen äußerer und innerer Natur ausgesetzt sind, Daher kommt es, dass, wenn wir von religiösen Inhalten reden, wir uns in einer Welt von Bildern, welche auf ein Ineffabile (Anm.: nicht zu fassen, unbegreiflich) hindeuten, bewegen. Wir wissen nicht, wie deutlich oder wie undeutlich diese Bilder, Gleichnisse und Begriffe hinsichtlich ihres transzendentalen Gegenstandes sind. Sagen wir z. B. »Gott«, so äußern wir ein Bild oder einen Wortbegriff, der im Laufe der Zeit viele Wandlungen erlebt hat. Dabei sind wir außerstande, mit irgendwelcher Sicherheit anzugeben -es sei denn durch den Glauben -, ob diese Veränderungen nur Bilder und Begriffe, oder das Unaussprechliche selber betreffen. Man kann sich ja Gott ebenso wohl als ewig strömendes, lebensvolles Wirken, das sich in unendlichen Gestalten abwandelt, wie als ewig unbewegtes, unveränderliches Sein vorstellen. Unser Verstand ist sich nur des einen gewiss, dass er nämlich Bilder handhabt, Vorstellungen, die von der menschlichen Phantasie und deren zeitlicher und örtlicher Bedingtheit abhängen und sich daher in ihrer Jahrtausende alten Geschichte vielfach gewandelt haben. Unzweifelhaft liegt diesen Bildern ein bewusstseinstranszendentes Etwas zugrunde, welches bewirkt, dass die Aussagen nicht schlechthin grenzenlos und chaotisch variieren, sondern erkennen lassen, dass sie sich auf einige wenige Prinzipien bzw. Archetypen beziehen. Diese sind, wie die Psyche selber, oder wie die Materie, an sich unerkennbar, und es lassen sich davon nur Modelle entwerfen, von denen wir wissen, dass sie unzulänglich sind, was durch die religiösen Aussagen auch immer wieder bestätigt wird.
Wenn ich mich also im Nachfolgenden mit diesen »metaphysischen« Gegenständen beschäftige, so bin ich mir völlig bewusst, dass ich mich dabei in der Bilderwelt bewege, und dass keine einzige meiner Überlegungen an das Unerkennbare rührt. Ich weiß zu gut, wie beschränkt unser Vorstellungsvermögen ist -von der Enge und Armut unserer Sprache schon gar nicht zu reden -, als dass ich mir einbilden könnte, meine Aussagen bedeuteten prinzipiell mehr, als wenn ein Primitiver meint, sein Rettergott sei ein Hase oder eine Schlange. Obschon unsere ganze religiöse Vorstellungswelt aus anthropomorphen Bildern besteht, die als solche einer rationalen Kritik niemals standhalten könnten, so darf man darüber doch nicht vergessen, dass sie auf numinosen Archetypen beruhen, d. h. auf einer emotionalen Grundlage, welche sich für die kritische Vernunft als unangreifbar erweist. Es handelt sich hier um seelische Tatsachen, die man nur übersehen, aber nicht wegbeweisen kann. Darum hat in dieser Hinsicht schon Tertullian mit Recht das Zeugnis der Seele angerufen. In seiner Schrift »De Testimonio Animaea, Cap. V, sagt er:
»Haec testimonia animae quanto vera, tanto simplicia: quanto simplicia, tanto vulgaria: quanto vulgaria, tanto communia: quanto communia, tanto naturalia: quanto naturalia, tanto divina, non putem cuiquam frivolum et frigidum videri Posse, si recogitet naturae maiestatem, ex qua censetur auctoritas animae. Quantum dederis magistrae, tantum adiudicabis discipulae. Magistra natura, anima discipula. Quicquid aut illa edocuit, aut ista perdidicit, a Deo traditum est, magistro scilicet ipsius magistrae. Quid anima possit de principali institutore praesumere, in te est aestimare de ea quae in te est. Senti illam, quae ut sentias efficit: recogita in praesagiis vatem, in omnibus augurem, in eventibus prospicem. Mirum si a Deo data homini novit divinare. Tam mirum, si eum a quo data est, novit.« -- Das ist pure Präpotenz, diesen Schriftteil ohne Übersetzung anzugeben. Wie viele Menschen hätten Interesse an Jungs Schriften, werden aber immer wieder vor den Kopf gestoßen, weil sie nicht ausreichend Latein können, um den Absatz übersetzen zu können.--
Übersetzung (Aus Bibliothek der Kirschenväter, http://www.unifr.ch/bkv/index.htm): Diese Zeugnisse der Seele sind ebenso wahr als einfach, ebenso einfach als alltäglich, ebenso alltäglich als allgemein, ebenso allgemein als natürlich, ebenso natürlich als göttlich. Ich möchte nicht glauben, daß es jemandem wertlos und frostig vorkommen wird, wenn er die Erhabenheit der Natur erwägt, wonach ja die Autorität der Seele abzuschätzen ist. Gerade soviel als du der Lehrerin gibst, wirst du der Schülerin zuerkennen; Lehrerin ist die Natur, Schülerin die Seele. Alles, was jene gelehrt und diese gelernt hat, ist von Gott gekommen als dem Lehrmeister auch der Lehrerin. Was die Seele in betreff ihres höchsten Lehrers zu ahnen imstande sei, das zu beurteilen ist an dir nach Maßgabe derjenigen, die in dir ist. Lerne sie wahrnehmen, sie, die bewirkt, daß du wahrnimmst; beobachte sie, die in Vorempfindungen eine Seherin, bei Vorzeichen eine Prophetin ist und bei Ereignissen eine Vorahnung hat. Ist es ein Wunder, wenn sie, von Gott dem Menschen gegeben, göttlicher Ahnungen fähig ist? Ist es wirklich ein so großes Wunder, wenn sie den, von welchem sie gegeben ist, kennt? Sogar vom Widersacher betrogen, [S. 212] bewahrt sie ja noch die Erinnerung an ihren Urheber, seine Güte, seinen Ratschluß, ihren Ausgang und ihren Widersacher, So wenig wunderbar ist es, wenn sie, von Gott gegeben, das kundtut, was Gott den Seinigen zu wissen gegeben hat!
Ich gehe einen Schritt weiter und betrachte auch die Aussagen der Hl. Schrift als Äußerungen der Seele, auf die Gefahr hin, des Psychologismus verdächtigt zu werden. Wenn schon die Aussagen des Bewusstseins Täuschungen, Lügen und sonstige Willkürlichkeiten sein können, so ist dies mit den Aussagen der Seele keineswegs der Fall: sie gehen zunächst immer über unseren Kopf hinweg, indem sie auf bewusstseinstranszendente Wirklichkeiten verweisen. Diese entia sind die Archetypen des kollektiven Unbewussten, welche Vorstellungskomplexe in der Art mythologischer Motive verursachen. Vorstellungen dieser Art werden nicht erfunden, sondern treten z. B. in Träumen als fertige Gebilde in die innere Wahrnehmung. Es sind spontane Phänomene, die unserer Willkür entzogen sind, und man ist daher berechtigt, ihnen eine gewisse Autonomie zuzuschreiben. Sie sind deshalb nicht nur als Objekte zu betrachten, sondern auch als eigengesetzliche Subjekte. Man kann sie natürlich vom Standpunkt des Bewusstseins aus als Objekte beschreiben und bis zu einem Grade auch erklären, wie man einen lebenden Menschen in demselben Maße beschreiben und erklären kann. Man muss dabei allerdings von ihrer Autonomie absehen. Zieht man letztere aber in Betracht, so müssen sie notgedrungenerweise als Subjekte gehandhabt werden, d. h. es muss ihnen Spontaneität und Absichtlichkeit, bzw. eine Art von Bewusstsein und von liberum arbitrium (Anm.: Willensfreiheit) zuerkannt werden. -- Schmarrn. Auch das Unbewusste ist Teil dessen, was wir Persönlichkeit nennen und kann nicht außerhalb dieser agieren. -- Man beobachtet ihr Verhalten und berücksichtigt ihre Aussagen. Dieser doppelte Standpunkt, den man je dem relativ selbständigen Organismus gegenüber einnehmen muss, ergibt natürlich ein doppeltes Resultat, einesteils einen Bericht darüber, was ich mit dem Objekt tue, andererseits darüber, was es (eventuell auch mit mir) tut. Es ist klar, dass diese nicht zu umgehende Doppelheit im Kopfe meines Lesers zunächst einige Verwirrung stiften wird und dies in besonderem Maße, als wir es im Folgenden mit dem Archetypus der Gottheit zu tun haben werden.
Sollte sich jemand versucht fühlen, zu den Gottesbildern unserer Anschauung ein »Nur« zu setzen, so käme er in Widerstreit mit der Erfahrung, welche die außerordentliche Numinosität dieser Bilder über allen Zweifel hinaus dartut. Die außerordentliche Wirksamkeit (= Mana) derselben ist sogar derart, dass man nicht bloß das Gefühl hat, damit auf das Ens realissimum hinzudeuten, sondern vielmehr überzeugt ist, dasselbe auch auszusprechen und sozusagen zu setzen. Dadurch wird die Diskussion ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich. Man kann sich ja in der Tat die Wirklichkeit Gottes nicht anders vor Augen führen, als unter Benützung meist spontan entstandener oder durch Tradition geheiligter Bilder, deren psychische Natur und Wirkung der naive Verstand noch nie von deren unerkennbarer metaphysischer Grundlage getrennt hat. --Schmarrn. Alles ist uns Bild, was wir für wirklich halten, auch wir selbst. Anscheinend hat sich Jung niemals von der Vorstellung lösen können, dass nur die Wirklichkeit der sogenannten geistig Gesunden Realität ist. Auch für einen Geisteskranken sind seine Wahnideen wirklich und wenn er darunter leidet, so leidet er an einer von ihm wahrgenommenen Wirklichkeit, sonst würde er nicht leiden. -- Er setzt ohne weiteres das wirkungskräftige Bild in eines mit dem transzendentalen X, auf welches es hinweist. Die scheinbare Berechtigung dieses Vorgehens leuchtet unmittelbar ein und kommt als Problem nicht in Betracht, solange keine ernstlichen Einwände gegen die Aussage erhoben werden. Liegt aber ein Anlass zur Kritik vor, dann muss man sich daran erinnern, dass Bild und Aussage psychische Vorgänge und von ihrem transzendentalen Gegenstand verschieden sind; sie setzen ihn nicht, sondern deuten ihn bloß an. Im Bereiche psychischer Vorgänge ist aber Kritik und Auseinandersetzung nicht nur gestattet, sondern sogar unumgänglich.
Was ich im Folgenden versuchen werde, stellt eine Auseinandersetzung mit gewissen überlieferten religiösen Vorstellungen dar. Da ich es mit numinosen Faktoren zu tun habe, so ist nicht nur mein Intellekt, sondern auch mein Gefühl in die Schranken gefordert. Ich kann mich daher nicht kühler Objektivität bedienen, sondern muss meine emotionale Subjektivität zum Worte kommen lassen, um jenes darzustellen, das ich empfinde, wenn ich gewisse Bücher der Hl. Schrift lese oder wenn ich mich an die Eindrücke erinnere, die ich von unserer Glaubenslehre empfangen habe. Ich schreibe nicht als Schriftgelehrter (der ich nicht bin), sondern als Laie und als Arzt, dem es vergönnt war, tiefe Einblicke in das Seelenleben vieler Menschen zu tun. Was ich ausspreche ist zwar zunächst meine persönliche Auffassung, aber ich weiß, dass ich zugleich auch im Namen Vieler spreche, denen es ähnlich ergangen ist wie mir. 


Donnerstag, 14. Juni 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob"


Ich habe vor einigen Jahren zum ersten Mal das von Jungs Anhängern als reife Altersschrift gepriesene „Antwort auf Hiob“ gelesen. Dies war ziemlich unmittelbar nach dem Lesen seiner Biographie (Erinnerungen, Träume Gedanken). Diese Lektüre ließ sehr zwiespältige Eindrücke zurück und ich begann mich intensiver mit Jung zu beschäftigen und las auch das Rote Buch in seiner deutschen Ausgabe sowie andere Schriften aus Jungs Gesamtwerk und eine Reihe von sekundärer Literatur. Der Eindruck den ich von diesem Mann bekam, war der eines hoch intelligenten, sehr selbstbewussten und willensstarken Mannes, der keine Zweifel an seiner Autorität duldete und zu seiner „Anhängergemeinde“ ein Meister-Schüler Verhältnis entwickelte. Dies ist mein Eindruck von C.G. Jung und ich beanspruche für mich nur, dass dies der Gesamteindruck auf mich ist und nicht eine objektive Wahrheit.

Nachdem vor nicht allzulanger Zeit meine Tochter mir die Frage nach meinem Glauben stellt, begann ich mich wieder intensiver nicht nur aber auch mit Jung zu beschäftigen und die Schrift Antwort auf Hiob war der erste Punkt der Auseinandersetzung und ich entschloss mich, sie kommentierend in diesem Blog darzustellen.

Bevor ich dies tue, ist es mir wichtig, festzuhalten, dass es bei dieser Auseinandersetzung nicht um Recht-Haben geht, sondern um das Gegeneinander-Setzen von Bilderwelten, der meinen und der von C.G. Jung und das Neugierigsein auf das Ergebnis. Ein in diesem Zusammenhang sehr wesentlicher Aspekt ist, dass ich in dieser Auseinandersetzung keinerlei Autorität akzeptiere, weder die C.G. Jungs noch die eines sonstigen „Berufenen“, da es gerade in der Auseinandersetzung mit Religiösem, ja auch seelischen Erfahrungen keine Autoritäten geben kann, weil es keine Wahrheit im allgemeinen Sinne geben kann; weil alle „Wahrnehmung“ letztlich durch die je eigenen Vorstellungswelt determiniert wird. Die einzige Möglichkeit, die wir als Menschen haben, um mit anderen Menschen „zusammenzutreffen“ ist die Begegnung in der gegenseitigen Wertschätzung des Anders-Sein, so schwer dies auch manchmal fallen mag. Das kann dann eine wunderbare Erfahrung und Bereicherung sein. Im anderen Fall bleibt nur die Möglichkeit das Gegenüber nie zu „treffen“ oder in der schlimmsten der Möglichkeiten es zu Vernichten. Leider wird diese Möglichkeit allzu oft noch gewählt, doch darüber habe ich mich schon ausgelassen.

Bevor ich aber zu „Antwort auf Hiob“ komme, möchte ich auf das Buch Hiob kommen, das im Nachfolgenden angeführt ist. Dieses zu Lesen ist, denke ich, unumgänglich um die Erschütterung zu verstehen, die nicht nur Jung beim Lesen erfährt, sondern wahrscheinlich jeder gläubige Christ oder Jude heute noch erfährt. Für diese muss dass Geschehen mit Hiob ungeheuerlich sein und ich denke, dass dies auch für den (die) Autor(en) von Hiob der Beweggrund war, diese Geschichte zu erzählen. Ein Gerechter vor allen Menschen und auch vor Jahwe wird durch einen eifersüchtigen Jahwe auf Veranlassung des Missratensten seiner Söhne (!) einer Prüfung unterzogen, die allem Anspruch eines allmächtigen und allwissenden Jahwe widerspricht.
Aus meiner Sicht spiegelt sich in dieser Geschichte die Gründerzeit des alttestamentarischen Monotheismus wider. Gott war auch hier so wie bei den verschiedenen Vielgötterreligionen ein getreues Abbild menschlicher Schwächen, ergänzt durch Allmacht und Allwissenheit und der Forderung nach Unterwerfung des Menschen unter seinen Willen, der als gerecht angesehen wird, d.h. Jahwe belohnt die Gerechten und bestraft die Sündigen und erhebt diesen Anspruch jedem Menschen gegenüber. Diese Gerechtigkeit wird im Buch Hiob auf den Kopf gestellt, so wie das Erdbeben von Lissabon im 18. Jahrhundert den Anspruch des Christentums auf einen gerechten und liebenden Gott zerstört hat und vielerlei Veränderungen im Gottesbild initiiert hat. Obwohl fast alle Kirchen Lissabons zerstört wurden, blieb das Rotlichtviertel der Stadt praktisch unversehrt.

Dies klingt nun alles danach, als wollte ich beweisen, dass Gott nur eine Fiktion ist. Doch das kann und will ich nicht, da ich ungeachtet aller im Zeitenverlauf auch bei den verschiedenen Religionen auftretenden Missstände auch deren aus meiner Sicht sehr wertvollen Beitrag zur Entwicklung der Menschen sehe und überzeugt bin, dass gerade die Religionen hier eine Katalysatorfunktion hatten. Trotzdem sind dies aus meiner Sichtweise aber Vorstellungen. Aber dies ist eben meine Vorstellung.

Aus meiner Warte akzeptiert Hiob Gott deshalb, weil er sich als Schwächerer empfindet. Ebenso wie Prometheus, wenn auch auf ein wenig andere Weise, erhebt er den Anspruch auf Gerechtigkeit, den Jahwe aber nicht erfüllen kann, da er eine Vorstellung von Hiob ist. Für mich ist aber persönliches Wohlergehen keine Frage der Gerechtigkeit irgendeines allmächtigen Gottes, sondern Ergebnis sehr vielfältiger, nicht steuerbarer und auch nicht überschaubarer Randbedingungen unseres Dasein. Allzu vieles können wir nicht wissen und auch nicht steuern, ein Gedanke, der in unserer insbesondere im reichen Westen so von Ihrer Leistungsfähigkeit so überzeugten Gesellschaft sehr schwer fällt zu akzeptieren. Mittlerweile glauben sehr viele Menschen, sogar, das Klima durch ihr persönliches Verhalten beeinflussen zu können, was mich der Höhepunkt menschlicher Allmachtsphantasien ist. Die Zeit wird vieles klären und auch diese Vorstellungen werden verschwinden.

Nun aber nach all diesem Quaseln zu Hiob.
Auf Anregung meiner Frau mit einem Link zu
http://www.die-bibel.de/online-bibeln
An diesem Link können die verschiedensten Übersetzungen gefunden werden.

Dienstag, 5. Juni 2012

Jetzt muss ich noch mehr quaseln. 5. Juni 2012


Kurz nach dem Interview mit Prof. Williams hatte ich spät nachts noch ein Gespräch mit meiner älteren Tochter, dessen Anstoß dieses Interview und auch ihre eigene Arbeit in einer katholischen Pfarre war (sie ist Theologin). Irgendwann während des Gesprächs fragte sie mich, woran ich eigentlich glaube. Ich bin eigentlich über eine derartige Frage nicht verlegen, da ich im christlichen Sinne ein Ungläubiger bin. Trotz des nachfolgenden für mich sehr offenen und sehr positiven Gesprächs hat mich die Frage noch weiter beschäftigt, da ich sie mir in dieser Direktheit niemals gestellt habe.


Woran glaube ich eigentlich?

Ich muss bekennen, dass ich diese Frage im direkten Sinn und in einem religiösen Kontext nicht beantworten kann und auch zutiefst überzeugt bin, dass dies für mein Leben nicht notwendig ist. Wozu soll ich mir Bilder eines christlichen Gottes machen oder von mir aus auch Bilder von Buddha oder Allah oder sonst irgend etwas? Was sollte dies an meinem Leben oder auch an meinem sicheren Sterben, von dem ich nur nicht weiß, wann es stattfinden wird, verändern?

Und dennoch nehme ich für mich in Anspruch, ein religiöser Mensch zu sein!
Denn Religiosität hat aus meiner Warte überhaupt nichts mit überwältigenden Gottheiten oder Kräften außerhalb meiner selbst und dieser von mir erfahrbaren Welt zu tun. Dass meine Unwissenheit über diese Welt und deren Zusammenhänge stets unendlich größer sein wird als mein Wissen darüber, macht mich zwar (hoffentlich) bescheiden, ja auch demütig und dankbar für das von mir erfahrene Gute und den mir unendlich geschenkten Reichtum, wie ich es empfinde. Aber ist es denn notwendig, dies einer höheren und gerechteren Macht zuzuschreiben? Macht es mich besser oder schlechter oder genauer, benötige ich es, um besser oder schlechter zu sein? Ich möchte es noch schärfer formulieren: Kann ich nur gut oder schlecht sein, wenn es dafür Belohnung oder Strafe gibt?

Ich möchte diese Worte aber nicht als Missachtung der Religionen verstanden wissen. Ich habe schon sehr viele Texte der verschiedensten Religionen gelesen und darin sehr viel Anregendes und aus meiner Warte auch sehr viel Wichtiges gefunden. Und ich möchte das so Gelesene und auch Erfahrene nicht missen. Ich habe aber in solchen Texten auch sehr viel Nutzloses, ja Schädliches gefunden und zwar vor allem dann, wenn es um den alleinigen Wahrheitsanspruch geht, der immer ein Wahrheitsanspruch von Menschen war und ist, der allzu oft, ich würde sogar sagen immer, aus einem Macht- oder Hoheitsanspruch von Menschen über Menschen resultierte. 

Worin besteht nun diese meine Religiosität? Sie besteht darin, dass ich unendlich dankbar für all das mir zugekommene Gute bin, da ich weiß, dass nur wenig davon aus meinem Verdienst resultiert. Diese Dankbarkeit ist für mich kein Abstraktum. Ich erlebe sie bei den ganz gewöhnlichen Dingen und Ereignissen meines Lebens und sie macht mich frei. Und ich bin auch für diese Dankbarkeit dankbar. Meine Leben ist dadurch rund und ganz. Dafür brauche ich keine Bilder von höheren Wesen und steuernden Allwissern.
Ich möchte aber auch dazu sagen, dass mein Leben nicht nur aus purem Wohlgefühl und "himmelhoch jauchzendem Schweben" über dem Boden besteht. Wie in diesem Blog angedeutet, enthält es auch Leiden und Verzweiflung. Auch dies ist Teil nicht nur meines Lebens. Auch dafür bin ich dankbar. Es bewahrt mich vor dem Anspruch auf uneingeschränkte Machbarkeit und Steuerbarkeit aller Dinge meines Leben und der Selbstlüge uneingeschränkter Tüchtigkeit.