Donnerstag, 5. Juli 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung 4. Teil


II
Da der Allwissende in alle Herzen blickt, und Jahwes Augen »über die ganze Erde hinlaufen«, [Denn das Ohr des göttlichen Eifers hört alles, Und selbst das leiseste Gemurmel bleibt nicht verborgen.« (Weish. 1, 10.)] so ist es schon viel besser, wenn der Interlocutor (Gesprächspartner) des 89sten Psalms seine leise moralische Überlegenheit über den unbewussteren Gott sich nicht zu schnell bewusst macht, bzw. vor sich selber verbirgt, denn Jahwe liebt keine kritischen Gedanken, welche den von ihm verlangten Anerkennungszufluss irgendwie schmälern könnten. So laut seine Macht durch die kosmischen Räume dröhnt, so schmal ist die Basis ihres Seins, das nämlich einer bewussten Widerspiegelung bedarf, um wirklich zu existieren. Gültig ist das Sein natürlich nur, wo es jemandem bewusst ist. Darum bedarf ja der Schöpfer des bewussten Menschen, obschon er diesen, aus Unbewusstheit, am Bewusstwerden lieber verhindern möchte. Darum bedarf Jahwe der Acclamation einer kleinen Menschengruppe. Man kann sich vorstellen, was geschehen würde, wenn es dieser Versammlung einfallen sollte, mit dem Beifall aufzuhören: es gäbe einen Aufregungszustand mit blinder Zerstörungswut und dann ein Versinken in höllische Einsamkeit und qualvollstes Nichtsein, gefolgt von einer allmählich wiedererwachenden, unaussprechlichen Sehnsucht nach dem Etwas, das Mich Mir Selber fühlbar macht. Darum wohl sind alle ursprünglichen Dinge, selbst der Mensch, bevor er zur Canaille wird, von rührender, ja zauberhafter Schönheit, denn in statu nascendi stellt ein »jegliches in seiner Art« das Kostbare, das innigst Ersehnte, das keimhaft Zarteste dar, ein Abbild der unendlichen Liebe und Güte des Schöpfers. – Gibt es eine bessere Darstellung der anthropomorphen Vorstellung von Gott?--

Angesichts der unzweifelhaften Furchtbarkeit des göttlichen Zornes und in einer Zeit, da man noch wusste, wovon man sprach, wenn man »Gottesfurcht« sagte, ergab sich das Unbewusstbleiben einer in gewisser Hinsicht überlegenen Menschlichkeit natürlicherweise. Die machtvolle Persönlichkeit Jahwes, welche zudem aller biographischen Antezedentien (vom lateinischen antecedens, bedeutet ein Vorausgegangenes, ein Grund, eine Ursache oder Prämisse. In diesem Falle für die Individuation, also die Herausbildung, bzw. Entwicklung zur Individualität ermangelte) - war doch seine Urbeziehung zu den Elohim (Anm.: ursprünglich allgemeiner Begriff für Götter, später der hebräische Gott, Entsprechung zu Allah) längst in der Lethe (in der griech. Mythologie der Strom der Vergessenheit in der Unterwelt, aus dem die Seelen der Verstorbenen tranken, um jede Erinnerung an die Mühsale des Erdenlebens aus ihrem Herzen zu tilgen) versunken -, hatte ihn über alle Numina der Gentiles erhoben und ihn damit gegen den Einfluss des schon seit einigen Jahrhunderten anhaltenden Abbaues der heidnischen Götterautorität immunisiert. Letzteren war gerade das Detail ihrer mythologischen Biographie, deren Unverständlichkeit und Anstößigkeit mit zunehmender Urteilskraft immer deutlicher erkannt wurde, zum Verhängnis geworden. Jahwe aber hatte keine Herkunft und keine Vergangenheit, mit Ausnahme seines Weltschöpfertums, mit dem überhaupt jede Geschichte anhob, und seiner Beziehung zum »erwählten Volke«, dessen Urvater Adam er in einem offenbar speziellen Schöpferakt als den Anthropos, den Urmenschen schlechthin, nach seinem Bilde erschaffen hatte. Die anderen Menschen, die es dazumal auch schon gab, waren, wie man supponieren (Anm.: unterstellen) muss, zuvor mit den »verschiedenen Arten des Wildes und des Viehes« auf der göttlichen Töpferscheibe geformt worden, nämlich die Menschen, unter denen sich Kain und Seth ihre Weiber nahmen. Wenn man unsere Konjektur nicht billigen sollte, so bliebe nur noch die andere, weit anstößigere Möglichkeit offen, dass sie sich mit ihren textlich nicht beglaubigten Schwestern begattet hätten, wie noch der Geschichtsphilosoph Lamprecht um das Ende des XIX. Jahrhunderts vermutete. 

Die providentia specialis (Anm.: besondere Vorsehung), welche den Juden einen besonders erschaffenen, gottebenbildlichen Urvater zugedacht hatte, belastete sie von vornherein mit einer Verpflichtung, die sie begreiflicherweise so viel wie möglich zu umgehen versuchten, wie das ja mit dergleichen Hypotheken in der Regel der Fall ist. Da das Volk jede Gelegenheit zum Ausbrechen benützte, und es Jahwe als lebenswichtig empfand, das ihm unerlässliche Objekt, welches er ja zu diesem Zwecke »gottähnlich« gebildet hatte, definitiv an sich zu binden, so schlug er schon in der Urzeit dem Erzvater Noah einen »Bund« zwischen sich einerseits und Noah, dessen Kindern und den zugehörigen zahmen und wilden Tieren andererseits vor; einen Vertrag, der für beide Teile Vorteile versprach. Um diesen Bund zu bekräftigen und ihn dem Gedächtnis frisch zu erhalten, setzte er den Regenbogen als ein Vertragsmal ein. Wenn er dann Wolken heranführt, welche Blitz und Wasserfluten in sich bergen, erscheint auch der Regenbogen, der ihn und sein Volk an den Vertrag erinnert und erinnern soll. Die Versuchung nämlich, eine Wolkenansammlung zu einem Sintflutexperiment zu benützen, ist nicht gering, und es ist darum gut, ein Merkzeichen damit zu verbinden, welches noch beizeiten vor einer möglichen Katastrophe warnt. 

Trotz solcher Vorsichtsmaßnahmen war der Vertrag mit David in Stücke gegangen, welches Ereignis einen literarischen Niederschlag in den heiligen Schriften hinterließ, zur Betrübnis einiger weniger Frommer, die sich bei ihrer Lektüre etwas dachten. Es konnte ja bei der eifrigen Benützung des Psalters nicht ausbleiben, dass etliche Nachdenkliche doch über den 89sten Psalm stolperten. Wie dem auch immer gewesen sein mag, so wird doch der fatale Eindruck des Vertragsbruches lebendig geblieben sein (PS. 89 wird als ein David zugeschriebenes und im Exil gedichtetes Gemeindelied angesehen). Es ist zeitlich möglich, dass der Verfasser des Buches Hiob von diesem Motiv beeinflusst war. 

Das Buch Hiob stellt den frommen und treuen, aber von Gott geschlagenen Mann auf eine weithin sichtbare Bühne, wo er vor den Augen und Ohren der Welt seine Sache vorbringt. Erstaunlich leicht nämlich und grundlos hatte sich Jahwe von einem seiner Söhne, einem Zweifelsgedanken (Satan ist wohl eines der Gottesaugen, das .auf der Erde herumstreift und hin und her wandert~. In der persischen Tradition ist Ahriman aus einem Zweifelsgedanken Ahuramazda's hervorgegangen), beeinflussen und in Bezug auf Hiobs Treue unsicher machen lassen. Bei seiner Empfindlichkeit und seinem Misstrauen erregte ihn schon die bloße Möglichkeit eines Zweifels und verführte ihn zu jenem eigentümlichen Verhalten, von dem er schon im Paradies eine Probe gegeben hatte, nämlich zu einer zweideutigen Handlungsweise, die aus einem Ja und einem Nein besteht: er machte die ersten Eltern auf den Baum aufmerksam und verbot ihnen zugleich, von ihm zu essen. Damit hat er den nicht beabsichtigten Sündenfall provoziert. Nun soll der treue Knecht Hiob grund- und nutzlos einer moralischen Belastungsprobe unterzogen werden, obschon Jahwe von dessen Treue und Standhaftigkeit überzeugt ist und überdies auf Grund seiner Allwissenheit - wenn er sie zu Rate zöge - in dieser Beziehung unzweifelhafte Sicherheit hätte. Warum soll dann trotzdem der Versuch gemacht und eine Wette ohne Einsatz mit dem gewissenlosen Einflüsterer auf dem Rücken der machtlosen Kreatur ausgetragen werden? Es ist in der Tat kein erhebender Anblick, wenn man sieht, wie rasch Jahwe seinen treuen Knecht dem bösen Geiste preisgibt und wie unbekümmert und mitleidlos er ihn in den Abgrund physischer und moralischer Qualen fallen lässt. Das Verhalten des Gottes ist, vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, dermaßen empörend, dass man sich fragen muss, ob dahinter nicht ein tiefer reichendes Motiv verborgen liegt? Sollte Jahwe einen geheimen Widerstand gegen Hiob haben? Das könnte sein Nachgeben gegenüber Satan erklären. -- Diese Deutung lässt sich nur aus der Zeit erklären, in der Jung sozialisiert wurde. Sonst wäre es unmöglich, eine von Menschen aufgeschriebene Geschichte derart für wahr zu halten.--

Was aber besitzt der Mensch, das der Gott nicht hat? Wegen seiner Kleinheit, Schwäche und Wehrlosigkeit dem Mächtigen gegenüber besitzt er, wie wir schon andeuteten, ein etwas schärferes Bewusstsein auf Grund der Selbstreflexion: Er muss sich, um bestehen zu können, immer seiner Ohnmacht dem allgewaltigen Gotte gegenüber bewusst bleiben. Letzterer bedarf dieser Vorsicht nicht, denn nirgends stößt er auf jenes unüberwindliche Hindernis, das ihn zum Zögern und damit zur Selbstreflexion veranlassen könnte. Sollte Jahwe Verdacht geschöpft haben, dass der Mensch ein zwar unendlich kleines, aber konzentrierteres Licht als er, der Gott, besitzt? Eine Eifersucht solcher Art könnte das Benehmen Jahwes vielleicht erklären. Es wäre begreiflich, wenn eine derartige, nur geahnte und nicht begriffene Abweichung von der Definition eines bloßen Geschöpfes das göttliche Misstrauen erregte. Schon zu oft haben sich ja die Menschen nicht voraussetzungsgemäß benommen. Auch der getreue Hiob könnte schließlich etwas im Schilde führen ….daher die überraschende Bereitschaft, den Einflüsterungen Satans entgegen der eigenen Überzeugung zu folgen! 

Ohne Verzug wird Hiob seiner Herden beraubt; seine Knechte, ja seine Söhne und Töchter werden erschlagen, und er selber wird mit Krankheit heimgesucht bis an den Rand des Grabes. Um ihm auch die Ruhe zu rauben, werden seine Frau und gute Freunde, die das Unrichtige reden, auf ihn losgelassen. Seine berechtigte Klage findet kein Ohr bei dem um seiner Gerechtigkeit willen gepriesenen Richter. Das Recht wird ihm verweigert, damit Satan bei seinem Spiel nicht gestört werde. 

Man muss sich Rechenschaft darüber geben, dass sich hier in kürzester Frist dunkle Taten häufen: Raub, Mord, vorsätzliche Körperverletzung und Rechtsverweigerung. Erschwerend kommt dabei in Betracht, dass Jahwe keinerlei Bedenken, Reue oder Mitgefühl, sondern nur Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit bekundet. Die Einrede der Unbewusstheit kann man insofern nicht gelten lassen, als er mindestens drei von den von ihm selber auf dem Sinai erlassenen Geboten in flagranter Weise verletzt. -- Jung nimmt das Alte Testament wirklich allzu wörtlich. Dabei sind es doch nur Geschichten von Menschen für andere Menschen zur Darstellung ihres Gottes.--

Zu seiner Qual steuern Hiobs Freunde nach Kräften moralische Torturen bei und anstatt ihm, den Gott treulos verlassen, wenigstens mit Herzenswärme beizustehen, moralisieren sie in allzu menschlicher, d. h. stumpfsinniger Weise und nehmen ihm auch noch die letzten Hilfen der Anteilnahme und des menschlichen Verständnisses weg, wobei der Verdacht göttlicher Konnivenz (Anm.: stillschweigende Duldung) nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Warum die Qualen Hiobs und das göttliche Wettespielen plötzlich zu Ende kommen, ist nicht leicht ersichtlich. Solange Hiob nicht stirbt, könnte das zwecklose Leiden noch weiter währen. Wir müssen aber ein Auge auf dem Hintergrund dieses Geschehens behalten: es wäre nicht unmöglich, dass etwas in diesem Hintergrund allmählich deutlicher wurde, nämlich eine Kompensation für das unverschuldete Leiden, welche Jahwe, auch wenn er sie nur von Ferne ahnen sollte, nicht gleichgültig lassen konnte. Der unschuldig Gequälte war nämlich ohne sein Wissen und Wollen in aller Stille zu einer Überlegenheit der Gotteserkenntnis, die Gott selber nicht besaß, emporgehoben worden. Hätte Jahwe seine Allwissenheit befragt, so hätte ihm Hiob nichts vorausgehabt. Dann wäre aber allerdings so viel anderes auch nicht passiert. -- Jung interpretiert das Wechselspiel zwischen Hiob und Jahwe offenbar nicht als Geschichte oder Parabel eines Autors aus der Frühzeit des jüdischen Monotheismus, sondern als zumindest mögliches, reales Ereignis der Vergangenheit und dieses ganz im Sinne seines Eingangs-Statements, dass es auch eine psychische Wahrheit gibt, die unabhängig von physischen Vorgängen ist.
Spätestens ab diesem Punkt trennt sich mein Zugang zu Hiob vollständig von dem Jungs. Denn für mich ist die Geschichte ein Versuch, mit dem offenbaren und schon immer bestehenden Widerspruch zwischen der Annahme eines allwissenden und gerechten Gottes, der Gutes belohnt und Böses bestraft und der Realität, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Moralität und Wohlergehen von Menschen, zumindest im materiellen Sinn gibt, umzugehen. --

Hiob erkennt die innere Antinomie (Anm.: Widersprüchlichkeit) Gottes, und damit erlangt das Licht seiner Erkenntnis selber göttliche Numinosität. Die Möglichkeit einer derartigen Entwicklung beruht, wie zu vermuten, auf der Gottebenbildlichkeit, die man wohl kaum in der Morphologie des Menschen suchen darf. Diesem Irrtum hat Jahwe selber durch das Bilderverbot vorgebeugt. Indem sich Hiob nicht davon abbringen lässt, seinen Fall, auch ohne Hoffnung auf Erhörung, vor Gott darzulegen, hat er sich ihm gestellt und damit jenes Hindernis geschaffen, an dem das Wesen Jahwes offenbar werden muss. Auf diesem dramatischen Höhepunkt bricht dieser das grausame Spiel ab. Wer nun aber erwarten sollte, dass sich sein Zorn gegen den Verleumder richten würde, der wird schwer enttäuscht. Jahwe denkt weder daran, seinen Sohn, von dem er sich überreden ließ, zur Verantwortung zu ziehen, noch fällt es ihm ein, durch eine Erklärung seines Verhaltens Hiob wenigstens eine gewisse moralische Genugtuung zu gewähren. Vielmehr fährt er mit seiner Allmacht im Gewitter daher und donnert den halbzertretenen Menschenwurm mit Vorwürfen an: 


»Wer ist's, der da verdunkelt 'den Ratschluss 
Mit Reden ohne Einsicht?« 


Im Hinblick auf die folgenden Reden Jahwes muss man sich hier wirklich fragen: Wer verdunkelt hier welchen Ratschluss? Das ist ja eben dunkel, wie Gott dazu kam, mit Satan eine Wette abzuschließen. Daran hat Hiob sicher nichts verdunkelt und einen Ratschluss vollends nicht, denn von einem solchen war überhaupt nie die Rede und wird es auch im Folgenden nicht sein. In der Wette liegt, so viel man sehen kann, kein »Ratschluss«; es müsste denn sein, dass Jahwe selber den Satan angestiftet hätte, damit Hiob schließlich erhöht werde. In der Allwissenheit war diese Entwicklung natürlich vorgesehen, und es könnte sein, dass das Wort »Ratschluss« auf dieses ewige und absolute Wissen hindeutet. Sollte dem so sein, so erscheint Jahwes Haltung umso inkonsequenter und unbegreiflicher, denn er hätte dann Hiob hierüber erleuchten können, was in Ansehung des diesem geschehenen Unrechtes nur recht und billig gewesen wäre. Ich muss daher diese Möglichkeit als unwahrscheinlich betrachten. 

Welche Reden sind ohne Einsicht? Jahwe bezieht sich wohl nicht auf die Reden der Freunde, sondern tadelt Hiob. Worin aber besteht dessen Schuld? Das Einzige, das man ihm vorwerfen könnte, ist der Optimismus, mit dem er glaubt, an die göttliche Gerechtigkeit appellieren zu können. Damit hat er in der Tat Unrecht, wie die folgenden Reden Jahwes deutlich zeigen. Gott will gar nicht gerecht sein, sondern pocht auf seine Macht, die vor Recht geht. -- Also ein echter Potentat altorientalen Zuschnitts, wie er zur Zeit Hiobs üblich war und die Menschen damals konnten sich aufgrund ihrer Realitätserfahrung Jahwe gar nicht anders vorstellen. -- Das wollte Hiob nicht in den Kopf, weil er Gott als ein moralisches Wesen ansah. An Gottes Allmacht hat er nie gezweifelt, sondern darüber hinaus noch auf dessen Gerechtigkeit gehofft. Er hat aber diesen Irrtum schon selber zurückgenommen, indem er die göttliche Gegensatznatur erkannte und damit auch der Gerechtigkeit und Güte Gottes ihren Platz anweisen konnte. Von einem Mangel an Einsicht kann man hier wohl nicht reden. 

Die Antwort auf Jahwes Frage lautet darum: Jahwe selber ist's, der seinen eigenen Ratschluss verdunkelt und keine Einsicht hat. Er dreht sozusagen den Spieß um und tadelt Hiob für das, was er selber tut: es soll dem Menschen nicht gestattet sein, eine Meinung über ihn zu haben und besonders keine Einsicht, die er selber nicht hat. Einundsiebzig Verse lang verkündet er die Macht des Weltschöpfers seinem elenden Opfer, das in der Asche sitzt und seine Geschwüre kratzt, längst und zutiefst überzeugt, übermenschlicher Gewalttätigkeit ausgeliefert zu sein. Hiob hat es ganz und gar nicht nötig, nochmals und bis zum Überdruss von dieser Macht beeindruckt zu werden. Jahwe, vermöge seiner Allwissenheit, könnte natürlich ebenso gut wissen, wie unangebracht sein Einschüchterungsversuch in einer derartigen Situation ist. Er hätte ja leicht sehen können, dass Hiob an seine Allmacht nach wie vor glaubt und sie nie in Zweifel gezogen hat, so wenig als er ihm je untreu geworden ist. Er zieht überhaupt Hiobs Wirklichkeit so wenig in Betracht, dass der Verdacht, er habe noch ein anderes, ihm wichtigeres Motiv, gerechtfertigt erscheint: Hiob ist nicht mehr als der äußere Anlass zu einer innergöttlichen Auseinandersetzung. Jahwe redet dermaßen an Hiob vorbei, dass man unschwer sehen kann, wie sehr er mit sich selber beschäftigt ist. Die emphatische Betonung seiner Allmacht und Größe hat vor einem Hiob, der unmöglich noch mehr überzeugt werden kann, keinen Sinn, sondern wird nur verständlich einem Hörer gegenüber, der daran zweifelt. Dieser Zweifelsgedanke ist Satan, der nach Durchführung des Übeln Werkes in den väterlichen Busen zurückkehrte, um dort seine Wühlarbeit fortzusetzen. Jahwe muss ja gesehen haben, dass sich Hiobs Treue nicht erschüttern ließ, und dass Satan seine Wette verloren hatte. Er musste auch verstehen, dass er, indem er sich auf die Wette einließ, alles tat, um seinen treuen Knecht zur Untreue zu veranlassen, wobei er es sogar auf eine ganze Reihe von Verbrechen ankommen ließ. Es ist nun nicht etwa Reue, ganz zu schweigen von moralischem Entsetzen, das ihm zum Bewusstsein kommt, sondern vielmehr eine dunkle Ahnung von etwas, das seine Allmacht in Frage stellt. (In dieser Hinsicht herrscht eine besondere Empfindlichkeit, denn »Macht« ist das große Argument. In der Allwissenheit aber ist gewusst, dass mit Macht nichts entschuldigt ist. Die Ahnung bezieht sich natürlich auf die höchst peinliche Tatsache, dass Jahwe sich von Satan hat beschwatzen lassen. Diese Schwäche kommt ihm aber nicht zu klarem Bewusstsein, denn Satan wird mit merkwürdiger Duldung und Rücksicht behandelt. Offenbar soll über dessen Intrige auf Kosten Hiobs hinweggesehen werden. -- Anthropomorphisierendes Geschwätz. --

Hiob hat zu seinem Glück während der Allocution gemerkt, dass es sich um alles andere, als um sein Recht handelt. Er hat eingesehen: man kann jetzt unmöglich die Rechtsfrage erörtern, denn es ist zu deutlich, dass Jahwe keinerlei Interesse für Hiobs Anliegen hat, sondern mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt ist: Satan muss irgendwie verschwinden, was am besten dadurch geschieht, dass Hiob aufrührerischer Gesinnung verdächtigt wird. Das Problem wird dadurch auf ein anderes Geleise geschoben, und der Zwischenfall mit Satan bleibt unerwähnt und unbewusst. -- Wodurch unterscheidet sich eigentlich dieser Jahwe vom oben erwähnten Zeus? -- Es ist zwar dem Zuschauer nicht ganz klar, warum Hiob die Allmacht mit Blitz und Donner vorgeführt werden soll, aber die Vorführung ist an sich großartig und eindrucksvoll genug, um nicht nur ein weiteres Publikum, sondern in erster Linie Jahwe selber von seiner unantastbaren Macht zu überzeugen. Ob Hiob ahnt, welche Gewalt Jahwe seiner Allwissenheit hiermit antut, wissen wir zwar nicht, aber sein Schweigen und seine Unterwerfung lassen verschiedene Möglichkeiten offen. Hiob kann darum nichts besseres tun, als sofort seinen Rechtsanspruch in aller Form widerrufen, und er antwortet daher mit den Eingangs zitierten Worten: 

»Ich lege die Hand auf meinen Mund.« 

Er verrät auf keinerlei Weise auch nur die Spur einer möglichen reservatio mentalis (lat., Mentalreservation, Mentalrestriktion), ein bei einer Eidesleistung stillschweigend beigefügter Zusatz, durch welchen der Schwörende sein Gewissen wahren will). Seine Antwort lässt keinen Zweifel obwalten darüber, dass er restlos und selbstverständlich dem gewaltigen Eindruck der göttlichen Demonstration erlegen ist. Mit diesem Erfolg hätte sich auch der anspruchsvollste Tyrann zufrieden geben und sicher sein können, dass sein Knecht schon allein aus Angst (ganz abgesehen von seiner unzweifelhaften Loyalität) es auf die längste Zeit hinaus nicht mehr wagen würde, auch nur einen schiefen Gedanken zu hegen. 

Merkwürdigerweise merkt Jahwe von alledem nichts. Er sieht Hiob und dessen Lage überhaupt nicht. Es ist vielmehr, wie wenn er einen Gewaltigen an Stelle von Hiob vor sich hätte, einen, welchen herauszufordern es sich lohnt. Das zeigt sich in der zweimaligen Anrede: 

»Gürte doch wie ein Mann deine Lenden; 
Ich will dich fragen und du lehre mich.« 

Man müsste schon groteske Beispiele wählen, um das Missverhältnis der beiden Wettkämpfer zu illustrieren. Jahwe sieht etwas in Hiob, das wir kaum diesem, wohl aber ersterem zuschreiben würden, nämlich eine ebenbürtige Kraft, welche den Gott veranlasst, seinen ganzen Machtapparat in imposanter Parade dem Gegner vorzuführen. Jahwe projiziert auf Hiob ein Zweiflergesicht, welches er nicht liebt, weil es sein eigenes ist, das ihn mit unheimlich kritischem Blicke betrachtet. Er fürchtet es, denn nur gegen etwas Angsterregendes mobilisiert man laute Hinweise auf Kraft, Können, Mut, Unbezwinglichkeit U. A. Was hat das mit Hiob zu tun? Lohnt es sich für den Starken, eine Maus zu erschrecken? 

Jahwe kann sich mit der ersten siegreichen Runde nicht begnügen. Hiob liegt längst am Boden, aber der große Gegenspieler, dessen Phantom auf den erbarmungswürdigen Dulder projiziert wird, steht immer noch bedrohlich aufrecht. Darum holt Jahwe nochmals aus: 

»Willst du gar mein Recht vernichten, 
Mir Unrecht geben, dass du Recht behaltest? 
Ist denn dein Arm dem Arme Gottes gleich? 
Hast du, wie er, des Donners Stimme?« 
(XL,3)

Der schutz- und rechtlos preisgegebene Mensch, dessen Nichtigkeit ihm bei jeder Gelegenheit vorgehalten wird, erscheint Jahwe offenbar so gefährlich, dass er mit schwerster Artillerie zusammengeschossen werden muss. Was ihn reizt, verrät sich in seiner Herausforderung an den angeblichen Hiob: 

»Mit deinem Blick demütige jeden Hohen 
und zertritt die Gottlosen auf der Stelle! 
Verscharre sie im Staube allzumal, 
banne ihr Angesicht an verborgenen Ort! 
Alsdann will auch ich dich preisen, 
dass deine Rechte dir Sieg verleiht.« 


Hiob wird herausgefordert, wie wenn er selber ein Gott wäre. Es war jedoch in der damaligen Metaphysik kein δεύτερος δεός (Anm.: deuteros deos: anderer Gott) kein Anderer, vorhanden, mit Ausnahme Satans, der Jahwes Ohr besitzt und ihn zu beeinflussen vermag. Er ist der einzige, der ihm den Boden unter den Füßen wegziehen, ihn verblenden und zu einer massiven Versündigung am eigenen Strafgesetz verführen konnte. Ein formidabler Gegenspieler fürwahr und wegen seiner nahen Verwandtschaft dermaßen kompromittierend, dass er mit äußerster Diskretion verheimlicht werden muss! Ja, er muss ihn im eigenen Busen vor seinem eigenen Bewusstsein verstecken und dafür den armseligen Gottesknecht als zu bekämpfenden Popanzen aufrichten, in der Hoffnung, das gefürchtete »Angesicht an verborgenen Ort zu bannen«, um sich selber im Stande der Unbewusstheit zu erhalten. -- Diese Gottesvorstellung ist ein Rückschritt um Jahrhunderte --

Die Veranstaltung des imaginären Zweikampfes, die dabei gehaltenen Reden und die eindrückliche Vorführung der Urmenagerie wären wohl ungenügend erklärt, wenn man sie auf den bloß negativen Faktor einer Scheu / vor dem Bewusstwerden und den damit verbundenen Folgen der Relativierung zurückführen wollte. Der Konflikt wird für Jahwe vielmehr akut infolge einer neuen Tatsache, welche der Allwissenheit allerdings nicht verborgen ist. Aber in diesem Falle ist das vorhandene Wissen von keiner Schlussfolgerung begleitet. Die neue Tatsache, um die es sich handelt, betrifft den in der bisherigen Weltgeschichte unerhörten Fall, dass ein Sterblicher durch sein moralisches Verhalten, ohne es zu wissen und zu wollen, bis über die Sterne erhoben wird, von wo aus er sogar die Rückseite Jahwes, die abgründige Welt der »Schalen«, erblicken kann (Hier wird auf eine Vorstellung der späteren kabbalistischen Philosophie angespielt).

Ob Hiob weiß, was er sieht? Er ist weise oder gewitzigt genug, es nicht zu verraten. Aber aus seinen Worten (XLII, 2 ff) lässt sich allerhand vermuten: 

»Ich habe erkannt, dass du alles vermagst; 
nichts, was du sinnst, ist dir verwehrt.« 

In der Tat, Jahwe vermag alles und erlaubt sich auch schlechthin alles, ohne mit der Wimper zu zucken. Er kann mit eiserner Stirne seine Schattenseite projizieren und auf Kosten des Menschen unbewusst bleiben. Er kann auf seine Übermacht pochen und Gesetze erlassen, die ihm selber weniger als Luft bedeuten. Mord und Totschlag geben ihm nichts zu tun, und wenn ihn die Laune ankommt, so kann er als feudaler Grandseigneur den Leibeigenen auch einmal generös den Schaden ersetzen, den die Hetzjagd in den Getreidefeldern angerichtet hat: »Deine Söhne, Töchter und Knechte sind in Verlust geraten? Kein Schade, ich gebe dir andere und bessere.« -- Was ist hier wirklich der Unterschied zu den von Jung weiter oben erwähnten Eigenschaften des Zeus.
Ich bin überzeugt, dass alle Vorstellungen irgendeines Gottes die Folgen der Unfähigkeit des menschlichen Verstandes sind, Tod, Sterben und Leiden einen annehmbaren Sinn zu geben, ohne zu rationalisieren. Auch Jungs extrem anthropomorphisirende Interpretation von Jahwe schafft dies nicht. --

Hiob fährt fort (wohl mit niedergeschlagenen Augen und leiser Stimme): 
»Wer ist's, der da verhüllt ohne Einsicht den Ratschluss? 
Darum habe ich geredet im Unverstand, 
Dinge, die zu wunderbar für mich, die ich nicht begriff. 
Höre doch, und ich will reden; 
ich will dich fragen, und du lehre mich! 
Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört; 
nun aber hat dich mein Auge gesehen. 
Darum widerrufe ich und bereue 
in Staub und in Asche.« 

Klugerweise nimmt Hiob hier die aggressiven Worte Jahwes auf und legt sich damit unter dessen Füße, wie wenn er tatsächlich der besiegte Gegenspieler wäre. So eindeutig seine Rede klingt, so doppelsinnig kann sie ebenso wohl sein. Ja, wirklich hat er seine Lektion gelernt und »wunderbare Dinge« erlebt, die man nicht allzu leicht zu begreifen vermag. In der Tat, »vom Hörensagen« bloß hat er Jahwe gekannt, jetzt aber hat er dessen Wirklichkeit erfahren, mehr noch wie David; eine wahrhaft eindringliche Lehre, die man besser nicht mehr vergisst. Er war früher naiv gewesen, hatte vielleicht sogar von einem »lieben« Gotte geträumt oder einem wohlwollenden Herrscher und gerechten Richter; hatte sich eingebildet, ein »Bund« sei eine Rechtsfrage, und ein Vertragspartner könne auf einem ihm zugestandenen Rechte bestehen; Gott sei wahrhaft und treu oder zum mindesten gerecht und habe, wie man aus dem Dekalog vermuten dürfe, einige Anerkennung für gewisse ethische Werte oder fühle sich wenigstens seinem eigenen Rechtsstandpunkt verpflichtet. Er hat aber zu seinem Schrecken gesehen, dass Jahwe nicht nur kein Mensch, sondern in gewissem Sinne weniger als ein Mensch ist, nämlich das, was Jahwe vom Krokodil sagt: 

»Alles, was hoch ist, fürchtet sich vor ihm; 
er ist ein König über alle stolzen Tiere.« 
(XLI, 25) 

Unbewusstheit ist tierisch-naturhaft. Wie alle alten Götter hat auch Jahwe seine Tiersymbolik und zwar in unverkennbarer Anlehnung an die viel älteren theriomorphen (Anm.: tiergestaltigen) Göttergestalten Ägyptens, insbesondere die des Horus und seiner vier Söhne. Von den vier animalia Jahwes hat nur eines ein Menschengesicht. Das wird wohl Satan sein, der Pate des geistigen Menschen. Ezechiels Vision attributiert dem animalischen Gott drei Viertel Tierisches und nur ein Viertel Menschliches, während der »obere« Gott, nämlich der über der Saphirplatte, einem Menschen nur ähnlich sieht. Diese Symbolik erklärt das -von einem menschlichen Standpunkt aus betrachtet -unerträgliche Verhalten Jahwes: es ist das Benehmen eines vorzugsweise unbewussten Wesens, das man nicht moralisch beurteilen kann: Jahwe ist ein Phänomen und »kein Mensch« (Die naive Annahme, dass der creator mundi ein bewusstes Wesen sei, ist als ein folgenschweres Präjudiz zu bewerten, indem es später zu den unglaublichsten logischen Verrenkungen Anlass gab. So wäre z. B. der Unsinn der privatio boni nie nötig gewesen, wenn man nicht hätte voraussetzen müssen, dass die Bewusstheit eines guten Gottes unmöglich böse Taten hervorbringen könne. Die göttliche Unbewusstheit und Unreflektiertheit dagegen ermöglicht eine Auffassung, welche das Handeln Gottes dem moralischen Urteil enthebt und zwischen der Güte und der Furchtbarkeit keinen Konflikt aufkommen lässt).

Man könnte ohne ernstliche Schwierigkeit einen derartigen Sinn in Hiobs Rede vermuten. Sei dem, wie ihm wolle, auf alle Fälle hat sich Jahwe endlich beruhigt. Die therapeutische Maßnahme des widerstandslosen Akzeptierens hat sich wieder einmal bewährt. Immerhin ist Jahwe in Bezug auf die Freunde Hiobs noch etwas nervös: sie »könnten am Ende nicht recht von ihm reden«. Die Projektion des Zweiflers erstreckt sich also auch -komischerweise, muss man schon sagen -auf diese biederen und etwas philiströsen Männer, wie wenn, Gott weiß was, davon abhinge, was diese dächten. Aber dass die Menschen denken können und erst noch über ihn, das ist aufreizend unheimlich und soll irgendwie verhindert werden. Es ist denn doch zu ähnlich dem, was sein herumvagierender Sohn oft plötzlich produziert und ihn so unangenehm an der schwachen Stelle trifft. Wie oft hat er schon seine unüberlegten Aufwallungen bereuen müssen! 

Man kann sich kaum dem Eindruck entziehen, dass die Allwissenheit sich allmählich einer Realisierung nähert, und eine Einsicht droht, die von Selbstvernichtungsängsten umwittert zu sein scheint. Die Schlusserklärung Hiobs ist allerdings glücklicherweise so formuliert, dass man mit ziemlicher Sicherheit annehmen kann, der Zwischenfall sei für die Beteiligten endgültig beigelegt. 

Wir, der kommentierende Chor der großen Tragödie, die noch zu keiner Zeit ihre Lebendigkeit verloren hat, fühlen allerdings nicht ganz so. Aus unserem modernen Empfinden heraus will es uns keineswegs scheinen, als ob mit der profunden Verbeugung Hiobs vor der Allmacht göttlicher Präsenz und mit seinem weisen Schweigen eine wirkliche Antwort auf die durch den Satansstreich der göttlichen Wette aufgeworfene Frage gegeben worden wäre. Hiob hat weniger geantwortet, als angepasst reagiert und hat dabei eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung an den Tag gelegt; aber eine unzweideutige Antwort steht noch aus. 

Was ist es - um das Nächste zu nennen - mit dem moralischen Unrecht, das Hiob erlitten? Oder ist der Mensch im Angesichte Jahwes dermaßen nichtswürdig, dass ihm nicht einmal ein »tort moral« (Anm.: Unrecht haben) geschehen kann? Das widerspräche der Tatsache, dass der Mensch von Jahwe begehrt wird, und dass es letzterem offenkundig eine Angelegenheit bedeutet, ob die Menschen »recht« von ihm reden. Er hängt an Hiobs Loyalität, und es kommt ihm so viel darauf an, dass er zugunsten seines Testes vor nichts zurückschreckt. Diese Einstellung verleiht dem Menschen beinahe göttliches Gewicht, denn was anderes gibt es in der weiten Welt, das dem, der alles hat, noch etwas bedeuten könnte? Die zwiespältige Haltung Jahwes, welche einerseits menschliches Glück und Leben achtlos zertritt, andererseits aber den Menschen zum Partner haben muss, versetzt diesen in eine geradezu unmögliche Situation: einerseits benimmt sich Jahwe unvernünftig nach dem Vorbild von Naturkatastrophen und ähnlichen Unabsehbarkeiten, andererseits will er geliebt, geehrt, angebetet und als gerecht gepriesen werden. Er reagiert empfindlich auf jedes Wörtchen, das auch nur im entferntesten Kritik vermuten lässt, während er sich um seinen eigenen Moralcodex nicht kümmert, wenn sein Handeln mit dessen Paragraphen kollidiert. 

Einem derartigen Gotte kann sich der Mensch nur mit Furcht und Zittern unterwerfen und indirekt versuchen, mit massiven Lobpreisungen und ostentativem Gehorsam den absoluten Herrscher zu propitiieren. Ein Vertrauensverhältnis aber erscheint dem modernen Empfinden als völlig ausgeschlossen. Eine moralische Genugtuung gar ist von Seiten eines derart unbewussten Naturwesens nicht zu erwarten, jedoch ist sie Hiob geschehen, allerdings ohne Absicht Jahwes und vielleicht auch ohne Wissen Hiobs, wie es der Dichter jedenfalls möchte erscheinen lassen. Die Reden Jahwes haben den zwar unreflektierten, aber nichtsdestoweniger durchsichtigen Zweck, die brutale Übermacht des Demiurgen dem Menschen vorzuführen: »Das bin Ich, der Schöpfer aller unbezwingbaren, ruchlosen Naturkräfte, die keinen ethischen Gesetzen unterworfen sind, und so bin auch ich selber eine amoralische Naturmacht, eine rein phänomenale Persönlichkeit, die ihren eigenen Rücken nicht sieht.« 

Das ist oder könnte wenigstens eine moralische Genugtuung größten Stiles für Hiob sein, denn durch diese Erklärung wird der Mensch trotz seiner Ohnmacht zum Richter über die Gottheit erhoben. Wir wissen nicht, ob Hiob das gesehen hat. Wir wissen es aber positiv aus so und so vielen Hiobkommentaren, dass alle nachfolgenden Jahrhunderte übersehen haben, wie eine Μοϊρα (Moira, Frustration) oder Δικη (Anm.: Dike: Gerechtigkeit oder Sitte/Brauch) über Jahwe waltet, die ihn veranlasst, sich solchermaßen preiszugeben. Jeder, der es wagt, kann sehen, wie er Hiob unwissentlich erhöht, indem er ihn in den Staub erniedrigt. Damit spricht er sich selber das Urteil und gibt dem Menschen jene Genugtuung, die wir im Buche Hiob immer so schmerzlich vermissten. 

Der Dichter dieses Dramas hat eine Probe meisterhafter Diskretion abgelegt, indem er den Vorhang in jenem Augenblick fallen lässt, in welchem sein Held durch die Prostration vor der göttlichen Majestät die bedingungslose Anerkennung der άπόφασις μεγάλη (Anm.: apophasis megale: wörtlich: große / wichtige Offenbarung) des Demiurgen bekundete. Es darf kein anderer Eindruck übrig bleiben. Zuviel nämlich steht auf dem Spiele: es droht ein ungewöhnlicher Skandal in der Metaphysik mit vermutlich verheerenden Folgen, und niemand ist mit einer rettenden Formel bereit, um den monotheistischen Gottesbegriff vor einer Katastrophe zu bewahren. Leicht hätte schon damals der kritische Verstand eines Griechen (was, allerdings sehr viel später, auch geschehen ist) diese biographische Neuerwerbung zuungunsten Jahwes aufgreifen und auswerten können, um diesem ein Schicksal zu bereiten, wie es damals den griechischen Göttern beschieden war. Eine Relativierung aber zu jener Zeit sowohl wie in den folgenden zwei Jahrtausenden war schlechthin undenkbar. 

Der unbewusste Geist des Menschen sieht richtig, auch wenn der bewusste Verstand geblendet und ohnmächtig ist: das Drama hat sich für alle Ewigkeit vollendet: Jahwes Doppelnatur ist offenbar geworden, und jemand oder etwas hat sie gesehen und registriert. Eine derartige Offenbarung, ob sie nun zum Bewusstsein der Menschen gelangte oder nicht, konnte nicht ohne Folgen bleiben. -- Jahwe hat keine Doppelnatur. Das Problem ist die ständige Bewertung des Naturgeschehens ohne die Einsicht, dass dies menschliche Bewertungskriterien sind, die natürlich für den Menschen richtig sind. Für das Naturgeschehen sind sie irrelevant und auch die Erfindung eines Gottes zur Begründung dieser Bewertung ändert nichts daran. --

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