Donnerstag, 5. Juli 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung 4. Teil


II
Da der Allwissende in alle Herzen blickt, und Jahwes Augen »über die ganze Erde hinlaufen«, [Denn das Ohr des göttlichen Eifers hört alles, Und selbst das leiseste Gemurmel bleibt nicht verborgen.« (Weish. 1, 10.)] so ist es schon viel besser, wenn der Interlocutor (Gesprächspartner) des 89sten Psalms seine leise moralische Überlegenheit über den unbewussteren Gott sich nicht zu schnell bewusst macht, bzw. vor sich selber verbirgt, denn Jahwe liebt keine kritischen Gedanken, welche den von ihm verlangten Anerkennungszufluss irgendwie schmälern könnten. So laut seine Macht durch die kosmischen Räume dröhnt, so schmal ist die Basis ihres Seins, das nämlich einer bewussten Widerspiegelung bedarf, um wirklich zu existieren. Gültig ist das Sein natürlich nur, wo es jemandem bewusst ist. Darum bedarf ja der Schöpfer des bewussten Menschen, obschon er diesen, aus Unbewusstheit, am Bewusstwerden lieber verhindern möchte. Darum bedarf Jahwe der Acclamation einer kleinen Menschengruppe. Man kann sich vorstellen, was geschehen würde, wenn es dieser Versammlung einfallen sollte, mit dem Beifall aufzuhören: es gäbe einen Aufregungszustand mit blinder Zerstörungswut und dann ein Versinken in höllische Einsamkeit und qualvollstes Nichtsein, gefolgt von einer allmählich wiedererwachenden, unaussprechlichen Sehnsucht nach dem Etwas, das Mich Mir Selber fühlbar macht. Darum wohl sind alle ursprünglichen Dinge, selbst der Mensch, bevor er zur Canaille wird, von rührender, ja zauberhafter Schönheit, denn in statu nascendi stellt ein »jegliches in seiner Art« das Kostbare, das innigst Ersehnte, das keimhaft Zarteste dar, ein Abbild der unendlichen Liebe und Güte des Schöpfers. – Gibt es eine bessere Darstellung der anthropomorphen Vorstellung von Gott?--

Angesichts der unzweifelhaften Furchtbarkeit des göttlichen Zornes und in einer Zeit, da man noch wusste, wovon man sprach, wenn man »Gottesfurcht« sagte, ergab sich das Unbewusstbleiben einer in gewisser Hinsicht überlegenen Menschlichkeit natürlicherweise. Die machtvolle Persönlichkeit Jahwes, welche zudem aller biographischen Antezedentien (vom lateinischen antecedens, bedeutet ein Vorausgegangenes, ein Grund, eine Ursache oder Prämisse. In diesem Falle für die Individuation, also die Herausbildung, bzw. Entwicklung zur Individualität ermangelte) - war doch seine Urbeziehung zu den Elohim (Anm.: ursprünglich allgemeiner Begriff für Götter, später der hebräische Gott, Entsprechung zu Allah) längst in der Lethe (in der griech. Mythologie der Strom der Vergessenheit in der Unterwelt, aus dem die Seelen der Verstorbenen tranken, um jede Erinnerung an die Mühsale des Erdenlebens aus ihrem Herzen zu tilgen) versunken -, hatte ihn über alle Numina der Gentiles erhoben und ihn damit gegen den Einfluss des schon seit einigen Jahrhunderten anhaltenden Abbaues der heidnischen Götterautorität immunisiert. Letzteren war gerade das Detail ihrer mythologischen Biographie, deren Unverständlichkeit und Anstößigkeit mit zunehmender Urteilskraft immer deutlicher erkannt wurde, zum Verhängnis geworden. Jahwe aber hatte keine Herkunft und keine Vergangenheit, mit Ausnahme seines Weltschöpfertums, mit dem überhaupt jede Geschichte anhob, und seiner Beziehung zum »erwählten Volke«, dessen Urvater Adam er in einem offenbar speziellen Schöpferakt als den Anthropos, den Urmenschen schlechthin, nach seinem Bilde erschaffen hatte. Die anderen Menschen, die es dazumal auch schon gab, waren, wie man supponieren (Anm.: unterstellen) muss, zuvor mit den »verschiedenen Arten des Wildes und des Viehes« auf der göttlichen Töpferscheibe geformt worden, nämlich die Menschen, unter denen sich Kain und Seth ihre Weiber nahmen. Wenn man unsere Konjektur nicht billigen sollte, so bliebe nur noch die andere, weit anstößigere Möglichkeit offen, dass sie sich mit ihren textlich nicht beglaubigten Schwestern begattet hätten, wie noch der Geschichtsphilosoph Lamprecht um das Ende des XIX. Jahrhunderts vermutete. 

Die providentia specialis (Anm.: besondere Vorsehung), welche den Juden einen besonders erschaffenen, gottebenbildlichen Urvater zugedacht hatte, belastete sie von vornherein mit einer Verpflichtung, die sie begreiflicherweise so viel wie möglich zu umgehen versuchten, wie das ja mit dergleichen Hypotheken in der Regel der Fall ist. Da das Volk jede Gelegenheit zum Ausbrechen benützte, und es Jahwe als lebenswichtig empfand, das ihm unerlässliche Objekt, welches er ja zu diesem Zwecke »gottähnlich« gebildet hatte, definitiv an sich zu binden, so schlug er schon in der Urzeit dem Erzvater Noah einen »Bund« zwischen sich einerseits und Noah, dessen Kindern und den zugehörigen zahmen und wilden Tieren andererseits vor; einen Vertrag, der für beide Teile Vorteile versprach. Um diesen Bund zu bekräftigen und ihn dem Gedächtnis frisch zu erhalten, setzte er den Regenbogen als ein Vertragsmal ein. Wenn er dann Wolken heranführt, welche Blitz und Wasserfluten in sich bergen, erscheint auch der Regenbogen, der ihn und sein Volk an den Vertrag erinnert und erinnern soll. Die Versuchung nämlich, eine Wolkenansammlung zu einem Sintflutexperiment zu benützen, ist nicht gering, und es ist darum gut, ein Merkzeichen damit zu verbinden, welches noch beizeiten vor einer möglichen Katastrophe warnt. 

Trotz solcher Vorsichtsmaßnahmen war der Vertrag mit David in Stücke gegangen, welches Ereignis einen literarischen Niederschlag in den heiligen Schriften hinterließ, zur Betrübnis einiger weniger Frommer, die sich bei ihrer Lektüre etwas dachten. Es konnte ja bei der eifrigen Benützung des Psalters nicht ausbleiben, dass etliche Nachdenkliche doch über den 89sten Psalm stolperten. Wie dem auch immer gewesen sein mag, so wird doch der fatale Eindruck des Vertragsbruches lebendig geblieben sein (PS. 89 wird als ein David zugeschriebenes und im Exil gedichtetes Gemeindelied angesehen). Es ist zeitlich möglich, dass der Verfasser des Buches Hiob von diesem Motiv beeinflusst war. 

Das Buch Hiob stellt den frommen und treuen, aber von Gott geschlagenen Mann auf eine weithin sichtbare Bühne, wo er vor den Augen und Ohren der Welt seine Sache vorbringt. Erstaunlich leicht nämlich und grundlos hatte sich Jahwe von einem seiner Söhne, einem Zweifelsgedanken (Satan ist wohl eines der Gottesaugen, das .auf der Erde herumstreift und hin und her wandert~. In der persischen Tradition ist Ahriman aus einem Zweifelsgedanken Ahuramazda's hervorgegangen), beeinflussen und in Bezug auf Hiobs Treue unsicher machen lassen. Bei seiner Empfindlichkeit und seinem Misstrauen erregte ihn schon die bloße Möglichkeit eines Zweifels und verführte ihn zu jenem eigentümlichen Verhalten, von dem er schon im Paradies eine Probe gegeben hatte, nämlich zu einer zweideutigen Handlungsweise, die aus einem Ja und einem Nein besteht: er machte die ersten Eltern auf den Baum aufmerksam und verbot ihnen zugleich, von ihm zu essen. Damit hat er den nicht beabsichtigten Sündenfall provoziert. Nun soll der treue Knecht Hiob grund- und nutzlos einer moralischen Belastungsprobe unterzogen werden, obschon Jahwe von dessen Treue und Standhaftigkeit überzeugt ist und überdies auf Grund seiner Allwissenheit - wenn er sie zu Rate zöge - in dieser Beziehung unzweifelhafte Sicherheit hätte. Warum soll dann trotzdem der Versuch gemacht und eine Wette ohne Einsatz mit dem gewissenlosen Einflüsterer auf dem Rücken der machtlosen Kreatur ausgetragen werden? Es ist in der Tat kein erhebender Anblick, wenn man sieht, wie rasch Jahwe seinen treuen Knecht dem bösen Geiste preisgibt und wie unbekümmert und mitleidlos er ihn in den Abgrund physischer und moralischer Qualen fallen lässt. Das Verhalten des Gottes ist, vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, dermaßen empörend, dass man sich fragen muss, ob dahinter nicht ein tiefer reichendes Motiv verborgen liegt? Sollte Jahwe einen geheimen Widerstand gegen Hiob haben? Das könnte sein Nachgeben gegenüber Satan erklären. -- Diese Deutung lässt sich nur aus der Zeit erklären, in der Jung sozialisiert wurde. Sonst wäre es unmöglich, eine von Menschen aufgeschriebene Geschichte derart für wahr zu halten.--

Was aber besitzt der Mensch, das der Gott nicht hat? Wegen seiner Kleinheit, Schwäche und Wehrlosigkeit dem Mächtigen gegenüber besitzt er, wie wir schon andeuteten, ein etwas schärferes Bewusstsein auf Grund der Selbstreflexion: Er muss sich, um bestehen zu können, immer seiner Ohnmacht dem allgewaltigen Gotte gegenüber bewusst bleiben. Letzterer bedarf dieser Vorsicht nicht, denn nirgends stößt er auf jenes unüberwindliche Hindernis, das ihn zum Zögern und damit zur Selbstreflexion veranlassen könnte. Sollte Jahwe Verdacht geschöpft haben, dass der Mensch ein zwar unendlich kleines, aber konzentrierteres Licht als er, der Gott, besitzt? Eine Eifersucht solcher Art könnte das Benehmen Jahwes vielleicht erklären. Es wäre begreiflich, wenn eine derartige, nur geahnte und nicht begriffene Abweichung von der Definition eines bloßen Geschöpfes das göttliche Misstrauen erregte. Schon zu oft haben sich ja die Menschen nicht voraussetzungsgemäß benommen. Auch der getreue Hiob könnte schließlich etwas im Schilde führen ….daher die überraschende Bereitschaft, den Einflüsterungen Satans entgegen der eigenen Überzeugung zu folgen! 

Ohne Verzug wird Hiob seiner Herden beraubt; seine Knechte, ja seine Söhne und Töchter werden erschlagen, und er selber wird mit Krankheit heimgesucht bis an den Rand des Grabes. Um ihm auch die Ruhe zu rauben, werden seine Frau und gute Freunde, die das Unrichtige reden, auf ihn losgelassen. Seine berechtigte Klage findet kein Ohr bei dem um seiner Gerechtigkeit willen gepriesenen Richter. Das Recht wird ihm verweigert, damit Satan bei seinem Spiel nicht gestört werde. 

Man muss sich Rechenschaft darüber geben, dass sich hier in kürzester Frist dunkle Taten häufen: Raub, Mord, vorsätzliche Körperverletzung und Rechtsverweigerung. Erschwerend kommt dabei in Betracht, dass Jahwe keinerlei Bedenken, Reue oder Mitgefühl, sondern nur Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit bekundet. Die Einrede der Unbewusstheit kann man insofern nicht gelten lassen, als er mindestens drei von den von ihm selber auf dem Sinai erlassenen Geboten in flagranter Weise verletzt. -- Jung nimmt das Alte Testament wirklich allzu wörtlich. Dabei sind es doch nur Geschichten von Menschen für andere Menschen zur Darstellung ihres Gottes.--

Zu seiner Qual steuern Hiobs Freunde nach Kräften moralische Torturen bei und anstatt ihm, den Gott treulos verlassen, wenigstens mit Herzenswärme beizustehen, moralisieren sie in allzu menschlicher, d. h. stumpfsinniger Weise und nehmen ihm auch noch die letzten Hilfen der Anteilnahme und des menschlichen Verständnisses weg, wobei der Verdacht göttlicher Konnivenz (Anm.: stillschweigende Duldung) nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Warum die Qualen Hiobs und das göttliche Wettespielen plötzlich zu Ende kommen, ist nicht leicht ersichtlich. Solange Hiob nicht stirbt, könnte das zwecklose Leiden noch weiter währen. Wir müssen aber ein Auge auf dem Hintergrund dieses Geschehens behalten: es wäre nicht unmöglich, dass etwas in diesem Hintergrund allmählich deutlicher wurde, nämlich eine Kompensation für das unverschuldete Leiden, welche Jahwe, auch wenn er sie nur von Ferne ahnen sollte, nicht gleichgültig lassen konnte. Der unschuldig Gequälte war nämlich ohne sein Wissen und Wollen in aller Stille zu einer Überlegenheit der Gotteserkenntnis, die Gott selber nicht besaß, emporgehoben worden. Hätte Jahwe seine Allwissenheit befragt, so hätte ihm Hiob nichts vorausgehabt. Dann wäre aber allerdings so viel anderes auch nicht passiert. -- Jung interpretiert das Wechselspiel zwischen Hiob und Jahwe offenbar nicht als Geschichte oder Parabel eines Autors aus der Frühzeit des jüdischen Monotheismus, sondern als zumindest mögliches, reales Ereignis der Vergangenheit und dieses ganz im Sinne seines Eingangs-Statements, dass es auch eine psychische Wahrheit gibt, die unabhängig von physischen Vorgängen ist.
Spätestens ab diesem Punkt trennt sich mein Zugang zu Hiob vollständig von dem Jungs. Denn für mich ist die Geschichte ein Versuch, mit dem offenbaren und schon immer bestehenden Widerspruch zwischen der Annahme eines allwissenden und gerechten Gottes, der Gutes belohnt und Böses bestraft und der Realität, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Moralität und Wohlergehen von Menschen, zumindest im materiellen Sinn gibt, umzugehen. --

Hiob erkennt die innere Antinomie (Anm.: Widersprüchlichkeit) Gottes, und damit erlangt das Licht seiner Erkenntnis selber göttliche Numinosität. Die Möglichkeit einer derartigen Entwicklung beruht, wie zu vermuten, auf der Gottebenbildlichkeit, die man wohl kaum in der Morphologie des Menschen suchen darf. Diesem Irrtum hat Jahwe selber durch das Bilderverbot vorgebeugt. Indem sich Hiob nicht davon abbringen lässt, seinen Fall, auch ohne Hoffnung auf Erhörung, vor Gott darzulegen, hat er sich ihm gestellt und damit jenes Hindernis geschaffen, an dem das Wesen Jahwes offenbar werden muss. Auf diesem dramatischen Höhepunkt bricht dieser das grausame Spiel ab. Wer nun aber erwarten sollte, dass sich sein Zorn gegen den Verleumder richten würde, der wird schwer enttäuscht. Jahwe denkt weder daran, seinen Sohn, von dem er sich überreden ließ, zur Verantwortung zu ziehen, noch fällt es ihm ein, durch eine Erklärung seines Verhaltens Hiob wenigstens eine gewisse moralische Genugtuung zu gewähren. Vielmehr fährt er mit seiner Allmacht im Gewitter daher und donnert den halbzertretenen Menschenwurm mit Vorwürfen an: 


»Wer ist's, der da verdunkelt 'den Ratschluss 
Mit Reden ohne Einsicht?« 


Im Hinblick auf die folgenden Reden Jahwes muss man sich hier wirklich fragen: Wer verdunkelt hier welchen Ratschluss? Das ist ja eben dunkel, wie Gott dazu kam, mit Satan eine Wette abzuschließen. Daran hat Hiob sicher nichts verdunkelt und einen Ratschluss vollends nicht, denn von einem solchen war überhaupt nie die Rede und wird es auch im Folgenden nicht sein. In der Wette liegt, so viel man sehen kann, kein »Ratschluss«; es müsste denn sein, dass Jahwe selber den Satan angestiftet hätte, damit Hiob schließlich erhöht werde. In der Allwissenheit war diese Entwicklung natürlich vorgesehen, und es könnte sein, dass das Wort »Ratschluss« auf dieses ewige und absolute Wissen hindeutet. Sollte dem so sein, so erscheint Jahwes Haltung umso inkonsequenter und unbegreiflicher, denn er hätte dann Hiob hierüber erleuchten können, was in Ansehung des diesem geschehenen Unrechtes nur recht und billig gewesen wäre. Ich muss daher diese Möglichkeit als unwahrscheinlich betrachten. 

Welche Reden sind ohne Einsicht? Jahwe bezieht sich wohl nicht auf die Reden der Freunde, sondern tadelt Hiob. Worin aber besteht dessen Schuld? Das Einzige, das man ihm vorwerfen könnte, ist der Optimismus, mit dem er glaubt, an die göttliche Gerechtigkeit appellieren zu können. Damit hat er in der Tat Unrecht, wie die folgenden Reden Jahwes deutlich zeigen. Gott will gar nicht gerecht sein, sondern pocht auf seine Macht, die vor Recht geht. -- Also ein echter Potentat altorientalen Zuschnitts, wie er zur Zeit Hiobs üblich war und die Menschen damals konnten sich aufgrund ihrer Realitätserfahrung Jahwe gar nicht anders vorstellen. -- Das wollte Hiob nicht in den Kopf, weil er Gott als ein moralisches Wesen ansah. An Gottes Allmacht hat er nie gezweifelt, sondern darüber hinaus noch auf dessen Gerechtigkeit gehofft. Er hat aber diesen Irrtum schon selber zurückgenommen, indem er die göttliche Gegensatznatur erkannte und damit auch der Gerechtigkeit und Güte Gottes ihren Platz anweisen konnte. Von einem Mangel an Einsicht kann man hier wohl nicht reden. 

Die Antwort auf Jahwes Frage lautet darum: Jahwe selber ist's, der seinen eigenen Ratschluss verdunkelt und keine Einsicht hat. Er dreht sozusagen den Spieß um und tadelt Hiob für das, was er selber tut: es soll dem Menschen nicht gestattet sein, eine Meinung über ihn zu haben und besonders keine Einsicht, die er selber nicht hat. Einundsiebzig Verse lang verkündet er die Macht des Weltschöpfers seinem elenden Opfer, das in der Asche sitzt und seine Geschwüre kratzt, längst und zutiefst überzeugt, übermenschlicher Gewalttätigkeit ausgeliefert zu sein. Hiob hat es ganz und gar nicht nötig, nochmals und bis zum Überdruss von dieser Macht beeindruckt zu werden. Jahwe, vermöge seiner Allwissenheit, könnte natürlich ebenso gut wissen, wie unangebracht sein Einschüchterungsversuch in einer derartigen Situation ist. Er hätte ja leicht sehen können, dass Hiob an seine Allmacht nach wie vor glaubt und sie nie in Zweifel gezogen hat, so wenig als er ihm je untreu geworden ist. Er zieht überhaupt Hiobs Wirklichkeit so wenig in Betracht, dass der Verdacht, er habe noch ein anderes, ihm wichtigeres Motiv, gerechtfertigt erscheint: Hiob ist nicht mehr als der äußere Anlass zu einer innergöttlichen Auseinandersetzung. Jahwe redet dermaßen an Hiob vorbei, dass man unschwer sehen kann, wie sehr er mit sich selber beschäftigt ist. Die emphatische Betonung seiner Allmacht und Größe hat vor einem Hiob, der unmöglich noch mehr überzeugt werden kann, keinen Sinn, sondern wird nur verständlich einem Hörer gegenüber, der daran zweifelt. Dieser Zweifelsgedanke ist Satan, der nach Durchführung des Übeln Werkes in den väterlichen Busen zurückkehrte, um dort seine Wühlarbeit fortzusetzen. Jahwe muss ja gesehen haben, dass sich Hiobs Treue nicht erschüttern ließ, und dass Satan seine Wette verloren hatte. Er musste auch verstehen, dass er, indem er sich auf die Wette einließ, alles tat, um seinen treuen Knecht zur Untreue zu veranlassen, wobei er es sogar auf eine ganze Reihe von Verbrechen ankommen ließ. Es ist nun nicht etwa Reue, ganz zu schweigen von moralischem Entsetzen, das ihm zum Bewusstsein kommt, sondern vielmehr eine dunkle Ahnung von etwas, das seine Allmacht in Frage stellt. (In dieser Hinsicht herrscht eine besondere Empfindlichkeit, denn »Macht« ist das große Argument. In der Allwissenheit aber ist gewusst, dass mit Macht nichts entschuldigt ist. Die Ahnung bezieht sich natürlich auf die höchst peinliche Tatsache, dass Jahwe sich von Satan hat beschwatzen lassen. Diese Schwäche kommt ihm aber nicht zu klarem Bewusstsein, denn Satan wird mit merkwürdiger Duldung und Rücksicht behandelt. Offenbar soll über dessen Intrige auf Kosten Hiobs hinweggesehen werden. -- Anthropomorphisierendes Geschwätz. --

Hiob hat zu seinem Glück während der Allocution gemerkt, dass es sich um alles andere, als um sein Recht handelt. Er hat eingesehen: man kann jetzt unmöglich die Rechtsfrage erörtern, denn es ist zu deutlich, dass Jahwe keinerlei Interesse für Hiobs Anliegen hat, sondern mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt ist: Satan muss irgendwie verschwinden, was am besten dadurch geschieht, dass Hiob aufrührerischer Gesinnung verdächtigt wird. Das Problem wird dadurch auf ein anderes Geleise geschoben, und der Zwischenfall mit Satan bleibt unerwähnt und unbewusst. -- Wodurch unterscheidet sich eigentlich dieser Jahwe vom oben erwähnten Zeus? -- Es ist zwar dem Zuschauer nicht ganz klar, warum Hiob die Allmacht mit Blitz und Donner vorgeführt werden soll, aber die Vorführung ist an sich großartig und eindrucksvoll genug, um nicht nur ein weiteres Publikum, sondern in erster Linie Jahwe selber von seiner unantastbaren Macht zu überzeugen. Ob Hiob ahnt, welche Gewalt Jahwe seiner Allwissenheit hiermit antut, wissen wir zwar nicht, aber sein Schweigen und seine Unterwerfung lassen verschiedene Möglichkeiten offen. Hiob kann darum nichts besseres tun, als sofort seinen Rechtsanspruch in aller Form widerrufen, und er antwortet daher mit den Eingangs zitierten Worten: 

»Ich lege die Hand auf meinen Mund.« 

Er verrät auf keinerlei Weise auch nur die Spur einer möglichen reservatio mentalis (lat., Mentalreservation, Mentalrestriktion), ein bei einer Eidesleistung stillschweigend beigefügter Zusatz, durch welchen der Schwörende sein Gewissen wahren will). Seine Antwort lässt keinen Zweifel obwalten darüber, dass er restlos und selbstverständlich dem gewaltigen Eindruck der göttlichen Demonstration erlegen ist. Mit diesem Erfolg hätte sich auch der anspruchsvollste Tyrann zufrieden geben und sicher sein können, dass sein Knecht schon allein aus Angst (ganz abgesehen von seiner unzweifelhaften Loyalität) es auf die längste Zeit hinaus nicht mehr wagen würde, auch nur einen schiefen Gedanken zu hegen. 

Merkwürdigerweise merkt Jahwe von alledem nichts. Er sieht Hiob und dessen Lage überhaupt nicht. Es ist vielmehr, wie wenn er einen Gewaltigen an Stelle von Hiob vor sich hätte, einen, welchen herauszufordern es sich lohnt. Das zeigt sich in der zweimaligen Anrede: 

»Gürte doch wie ein Mann deine Lenden; 
Ich will dich fragen und du lehre mich.« 

Man müsste schon groteske Beispiele wählen, um das Missverhältnis der beiden Wettkämpfer zu illustrieren. Jahwe sieht etwas in Hiob, das wir kaum diesem, wohl aber ersterem zuschreiben würden, nämlich eine ebenbürtige Kraft, welche den Gott veranlasst, seinen ganzen Machtapparat in imposanter Parade dem Gegner vorzuführen. Jahwe projiziert auf Hiob ein Zweiflergesicht, welches er nicht liebt, weil es sein eigenes ist, das ihn mit unheimlich kritischem Blicke betrachtet. Er fürchtet es, denn nur gegen etwas Angsterregendes mobilisiert man laute Hinweise auf Kraft, Können, Mut, Unbezwinglichkeit U. A. Was hat das mit Hiob zu tun? Lohnt es sich für den Starken, eine Maus zu erschrecken? 

Jahwe kann sich mit der ersten siegreichen Runde nicht begnügen. Hiob liegt längst am Boden, aber der große Gegenspieler, dessen Phantom auf den erbarmungswürdigen Dulder projiziert wird, steht immer noch bedrohlich aufrecht. Darum holt Jahwe nochmals aus: 

»Willst du gar mein Recht vernichten, 
Mir Unrecht geben, dass du Recht behaltest? 
Ist denn dein Arm dem Arme Gottes gleich? 
Hast du, wie er, des Donners Stimme?« 
(XL,3)

Der schutz- und rechtlos preisgegebene Mensch, dessen Nichtigkeit ihm bei jeder Gelegenheit vorgehalten wird, erscheint Jahwe offenbar so gefährlich, dass er mit schwerster Artillerie zusammengeschossen werden muss. Was ihn reizt, verrät sich in seiner Herausforderung an den angeblichen Hiob: 

»Mit deinem Blick demütige jeden Hohen 
und zertritt die Gottlosen auf der Stelle! 
Verscharre sie im Staube allzumal, 
banne ihr Angesicht an verborgenen Ort! 
Alsdann will auch ich dich preisen, 
dass deine Rechte dir Sieg verleiht.« 


Hiob wird herausgefordert, wie wenn er selber ein Gott wäre. Es war jedoch in der damaligen Metaphysik kein δεύτερος δεός (Anm.: deuteros deos: anderer Gott) kein Anderer, vorhanden, mit Ausnahme Satans, der Jahwes Ohr besitzt und ihn zu beeinflussen vermag. Er ist der einzige, der ihm den Boden unter den Füßen wegziehen, ihn verblenden und zu einer massiven Versündigung am eigenen Strafgesetz verführen konnte. Ein formidabler Gegenspieler fürwahr und wegen seiner nahen Verwandtschaft dermaßen kompromittierend, dass er mit äußerster Diskretion verheimlicht werden muss! Ja, er muss ihn im eigenen Busen vor seinem eigenen Bewusstsein verstecken und dafür den armseligen Gottesknecht als zu bekämpfenden Popanzen aufrichten, in der Hoffnung, das gefürchtete »Angesicht an verborgenen Ort zu bannen«, um sich selber im Stande der Unbewusstheit zu erhalten. -- Diese Gottesvorstellung ist ein Rückschritt um Jahrhunderte --

Die Veranstaltung des imaginären Zweikampfes, die dabei gehaltenen Reden und die eindrückliche Vorführung der Urmenagerie wären wohl ungenügend erklärt, wenn man sie auf den bloß negativen Faktor einer Scheu / vor dem Bewusstwerden und den damit verbundenen Folgen der Relativierung zurückführen wollte. Der Konflikt wird für Jahwe vielmehr akut infolge einer neuen Tatsache, welche der Allwissenheit allerdings nicht verborgen ist. Aber in diesem Falle ist das vorhandene Wissen von keiner Schlussfolgerung begleitet. Die neue Tatsache, um die es sich handelt, betrifft den in der bisherigen Weltgeschichte unerhörten Fall, dass ein Sterblicher durch sein moralisches Verhalten, ohne es zu wissen und zu wollen, bis über die Sterne erhoben wird, von wo aus er sogar die Rückseite Jahwes, die abgründige Welt der »Schalen«, erblicken kann (Hier wird auf eine Vorstellung der späteren kabbalistischen Philosophie angespielt).

Ob Hiob weiß, was er sieht? Er ist weise oder gewitzigt genug, es nicht zu verraten. Aber aus seinen Worten (XLII, 2 ff) lässt sich allerhand vermuten: 

»Ich habe erkannt, dass du alles vermagst; 
nichts, was du sinnst, ist dir verwehrt.« 

In der Tat, Jahwe vermag alles und erlaubt sich auch schlechthin alles, ohne mit der Wimper zu zucken. Er kann mit eiserner Stirne seine Schattenseite projizieren und auf Kosten des Menschen unbewusst bleiben. Er kann auf seine Übermacht pochen und Gesetze erlassen, die ihm selber weniger als Luft bedeuten. Mord und Totschlag geben ihm nichts zu tun, und wenn ihn die Laune ankommt, so kann er als feudaler Grandseigneur den Leibeigenen auch einmal generös den Schaden ersetzen, den die Hetzjagd in den Getreidefeldern angerichtet hat: »Deine Söhne, Töchter und Knechte sind in Verlust geraten? Kein Schade, ich gebe dir andere und bessere.« -- Was ist hier wirklich der Unterschied zu den von Jung weiter oben erwähnten Eigenschaften des Zeus.
Ich bin überzeugt, dass alle Vorstellungen irgendeines Gottes die Folgen der Unfähigkeit des menschlichen Verstandes sind, Tod, Sterben und Leiden einen annehmbaren Sinn zu geben, ohne zu rationalisieren. Auch Jungs extrem anthropomorphisirende Interpretation von Jahwe schafft dies nicht. --

Hiob fährt fort (wohl mit niedergeschlagenen Augen und leiser Stimme): 
»Wer ist's, der da verhüllt ohne Einsicht den Ratschluss? 
Darum habe ich geredet im Unverstand, 
Dinge, die zu wunderbar für mich, die ich nicht begriff. 
Höre doch, und ich will reden; 
ich will dich fragen, und du lehre mich! 
Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört; 
nun aber hat dich mein Auge gesehen. 
Darum widerrufe ich und bereue 
in Staub und in Asche.« 

Klugerweise nimmt Hiob hier die aggressiven Worte Jahwes auf und legt sich damit unter dessen Füße, wie wenn er tatsächlich der besiegte Gegenspieler wäre. So eindeutig seine Rede klingt, so doppelsinnig kann sie ebenso wohl sein. Ja, wirklich hat er seine Lektion gelernt und »wunderbare Dinge« erlebt, die man nicht allzu leicht zu begreifen vermag. In der Tat, »vom Hörensagen« bloß hat er Jahwe gekannt, jetzt aber hat er dessen Wirklichkeit erfahren, mehr noch wie David; eine wahrhaft eindringliche Lehre, die man besser nicht mehr vergisst. Er war früher naiv gewesen, hatte vielleicht sogar von einem »lieben« Gotte geträumt oder einem wohlwollenden Herrscher und gerechten Richter; hatte sich eingebildet, ein »Bund« sei eine Rechtsfrage, und ein Vertragspartner könne auf einem ihm zugestandenen Rechte bestehen; Gott sei wahrhaft und treu oder zum mindesten gerecht und habe, wie man aus dem Dekalog vermuten dürfe, einige Anerkennung für gewisse ethische Werte oder fühle sich wenigstens seinem eigenen Rechtsstandpunkt verpflichtet. Er hat aber zu seinem Schrecken gesehen, dass Jahwe nicht nur kein Mensch, sondern in gewissem Sinne weniger als ein Mensch ist, nämlich das, was Jahwe vom Krokodil sagt: 

»Alles, was hoch ist, fürchtet sich vor ihm; 
er ist ein König über alle stolzen Tiere.« 
(XLI, 25) 

Unbewusstheit ist tierisch-naturhaft. Wie alle alten Götter hat auch Jahwe seine Tiersymbolik und zwar in unverkennbarer Anlehnung an die viel älteren theriomorphen (Anm.: tiergestaltigen) Göttergestalten Ägyptens, insbesondere die des Horus und seiner vier Söhne. Von den vier animalia Jahwes hat nur eines ein Menschengesicht. Das wird wohl Satan sein, der Pate des geistigen Menschen. Ezechiels Vision attributiert dem animalischen Gott drei Viertel Tierisches und nur ein Viertel Menschliches, während der »obere« Gott, nämlich der über der Saphirplatte, einem Menschen nur ähnlich sieht. Diese Symbolik erklärt das -von einem menschlichen Standpunkt aus betrachtet -unerträgliche Verhalten Jahwes: es ist das Benehmen eines vorzugsweise unbewussten Wesens, das man nicht moralisch beurteilen kann: Jahwe ist ein Phänomen und »kein Mensch« (Die naive Annahme, dass der creator mundi ein bewusstes Wesen sei, ist als ein folgenschweres Präjudiz zu bewerten, indem es später zu den unglaublichsten logischen Verrenkungen Anlass gab. So wäre z. B. der Unsinn der privatio boni nie nötig gewesen, wenn man nicht hätte voraussetzen müssen, dass die Bewusstheit eines guten Gottes unmöglich böse Taten hervorbringen könne. Die göttliche Unbewusstheit und Unreflektiertheit dagegen ermöglicht eine Auffassung, welche das Handeln Gottes dem moralischen Urteil enthebt und zwischen der Güte und der Furchtbarkeit keinen Konflikt aufkommen lässt).

Man könnte ohne ernstliche Schwierigkeit einen derartigen Sinn in Hiobs Rede vermuten. Sei dem, wie ihm wolle, auf alle Fälle hat sich Jahwe endlich beruhigt. Die therapeutische Maßnahme des widerstandslosen Akzeptierens hat sich wieder einmal bewährt. Immerhin ist Jahwe in Bezug auf die Freunde Hiobs noch etwas nervös: sie »könnten am Ende nicht recht von ihm reden«. Die Projektion des Zweiflers erstreckt sich also auch -komischerweise, muss man schon sagen -auf diese biederen und etwas philiströsen Männer, wie wenn, Gott weiß was, davon abhinge, was diese dächten. Aber dass die Menschen denken können und erst noch über ihn, das ist aufreizend unheimlich und soll irgendwie verhindert werden. Es ist denn doch zu ähnlich dem, was sein herumvagierender Sohn oft plötzlich produziert und ihn so unangenehm an der schwachen Stelle trifft. Wie oft hat er schon seine unüberlegten Aufwallungen bereuen müssen! 

Man kann sich kaum dem Eindruck entziehen, dass die Allwissenheit sich allmählich einer Realisierung nähert, und eine Einsicht droht, die von Selbstvernichtungsängsten umwittert zu sein scheint. Die Schlusserklärung Hiobs ist allerdings glücklicherweise so formuliert, dass man mit ziemlicher Sicherheit annehmen kann, der Zwischenfall sei für die Beteiligten endgültig beigelegt. 

Wir, der kommentierende Chor der großen Tragödie, die noch zu keiner Zeit ihre Lebendigkeit verloren hat, fühlen allerdings nicht ganz so. Aus unserem modernen Empfinden heraus will es uns keineswegs scheinen, als ob mit der profunden Verbeugung Hiobs vor der Allmacht göttlicher Präsenz und mit seinem weisen Schweigen eine wirkliche Antwort auf die durch den Satansstreich der göttlichen Wette aufgeworfene Frage gegeben worden wäre. Hiob hat weniger geantwortet, als angepasst reagiert und hat dabei eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung an den Tag gelegt; aber eine unzweideutige Antwort steht noch aus. 

Was ist es - um das Nächste zu nennen - mit dem moralischen Unrecht, das Hiob erlitten? Oder ist der Mensch im Angesichte Jahwes dermaßen nichtswürdig, dass ihm nicht einmal ein »tort moral« (Anm.: Unrecht haben) geschehen kann? Das widerspräche der Tatsache, dass der Mensch von Jahwe begehrt wird, und dass es letzterem offenkundig eine Angelegenheit bedeutet, ob die Menschen »recht« von ihm reden. Er hängt an Hiobs Loyalität, und es kommt ihm so viel darauf an, dass er zugunsten seines Testes vor nichts zurückschreckt. Diese Einstellung verleiht dem Menschen beinahe göttliches Gewicht, denn was anderes gibt es in der weiten Welt, das dem, der alles hat, noch etwas bedeuten könnte? Die zwiespältige Haltung Jahwes, welche einerseits menschliches Glück und Leben achtlos zertritt, andererseits aber den Menschen zum Partner haben muss, versetzt diesen in eine geradezu unmögliche Situation: einerseits benimmt sich Jahwe unvernünftig nach dem Vorbild von Naturkatastrophen und ähnlichen Unabsehbarkeiten, andererseits will er geliebt, geehrt, angebetet und als gerecht gepriesen werden. Er reagiert empfindlich auf jedes Wörtchen, das auch nur im entferntesten Kritik vermuten lässt, während er sich um seinen eigenen Moralcodex nicht kümmert, wenn sein Handeln mit dessen Paragraphen kollidiert. 

Einem derartigen Gotte kann sich der Mensch nur mit Furcht und Zittern unterwerfen und indirekt versuchen, mit massiven Lobpreisungen und ostentativem Gehorsam den absoluten Herrscher zu propitiieren. Ein Vertrauensverhältnis aber erscheint dem modernen Empfinden als völlig ausgeschlossen. Eine moralische Genugtuung gar ist von Seiten eines derart unbewussten Naturwesens nicht zu erwarten, jedoch ist sie Hiob geschehen, allerdings ohne Absicht Jahwes und vielleicht auch ohne Wissen Hiobs, wie es der Dichter jedenfalls möchte erscheinen lassen. Die Reden Jahwes haben den zwar unreflektierten, aber nichtsdestoweniger durchsichtigen Zweck, die brutale Übermacht des Demiurgen dem Menschen vorzuführen: »Das bin Ich, der Schöpfer aller unbezwingbaren, ruchlosen Naturkräfte, die keinen ethischen Gesetzen unterworfen sind, und so bin auch ich selber eine amoralische Naturmacht, eine rein phänomenale Persönlichkeit, die ihren eigenen Rücken nicht sieht.« 

Das ist oder könnte wenigstens eine moralische Genugtuung größten Stiles für Hiob sein, denn durch diese Erklärung wird der Mensch trotz seiner Ohnmacht zum Richter über die Gottheit erhoben. Wir wissen nicht, ob Hiob das gesehen hat. Wir wissen es aber positiv aus so und so vielen Hiobkommentaren, dass alle nachfolgenden Jahrhunderte übersehen haben, wie eine Μοϊρα (Moira, Frustration) oder Δικη (Anm.: Dike: Gerechtigkeit oder Sitte/Brauch) über Jahwe waltet, die ihn veranlasst, sich solchermaßen preiszugeben. Jeder, der es wagt, kann sehen, wie er Hiob unwissentlich erhöht, indem er ihn in den Staub erniedrigt. Damit spricht er sich selber das Urteil und gibt dem Menschen jene Genugtuung, die wir im Buche Hiob immer so schmerzlich vermissten. 

Der Dichter dieses Dramas hat eine Probe meisterhafter Diskretion abgelegt, indem er den Vorhang in jenem Augenblick fallen lässt, in welchem sein Held durch die Prostration vor der göttlichen Majestät die bedingungslose Anerkennung der άπόφασις μεγάλη (Anm.: apophasis megale: wörtlich: große / wichtige Offenbarung) des Demiurgen bekundete. Es darf kein anderer Eindruck übrig bleiben. Zuviel nämlich steht auf dem Spiele: es droht ein ungewöhnlicher Skandal in der Metaphysik mit vermutlich verheerenden Folgen, und niemand ist mit einer rettenden Formel bereit, um den monotheistischen Gottesbegriff vor einer Katastrophe zu bewahren. Leicht hätte schon damals der kritische Verstand eines Griechen (was, allerdings sehr viel später, auch geschehen ist) diese biographische Neuerwerbung zuungunsten Jahwes aufgreifen und auswerten können, um diesem ein Schicksal zu bereiten, wie es damals den griechischen Göttern beschieden war. Eine Relativierung aber zu jener Zeit sowohl wie in den folgenden zwei Jahrtausenden war schlechthin undenkbar. 

Der unbewusste Geist des Menschen sieht richtig, auch wenn der bewusste Verstand geblendet und ohnmächtig ist: das Drama hat sich für alle Ewigkeit vollendet: Jahwes Doppelnatur ist offenbar geworden, und jemand oder etwas hat sie gesehen und registriert. Eine derartige Offenbarung, ob sie nun zum Bewusstsein der Menschen gelangte oder nicht, konnte nicht ohne Folgen bleiben. -- Jahwe hat keine Doppelnatur. Das Problem ist die ständige Bewertung des Naturgeschehens ohne die Einsicht, dass dies menschliche Bewertungskriterien sind, die natürlich für den Menschen richtig sind. Für das Naturgeschehen sind sie irrelevant und auch die Erfindung eines Gottes zur Begründung dieser Bewertung ändert nichts daran. --

Mittwoch, 20. Juni 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung 3. Teil


Auf Jahwes Rede antwortet Hiob (XXXIX, 34):
Siehe, ich bin zu gering, was soll ich dir antworten?
Ich lege die Hand auf meinen Mund.
Einmal habe ich geredet und wiederhole es nicht,
Zweimal, und tue es nicht wieder.«

In der Tat, im unmittelbaren Anblick unendlicher Schöpferkraft ist dies für einen Zeugen, dem der Schreck beinahe völliger Vernichtung noch in allen Gliedern liegt, die einzig mögliche Antwort. Wie könnte ein im Staub kriechender, halbzertretener Menschenwurm unter den obwaltenden Umständen überhaupt vernünftigerweise anders antworten? Trotz seiner erbärmlichen Kleinheit und Schwäche weiß dieser Mensch, dass er einem übermenschlichen Wesen, das persönlich äußerst empfindlich ist, gegenübersteht und darum auf alle Fälle besser daran tut, sich aller kritischen Überlegungen zu enthalten, nicht zu sprechen von gewissen moralischen Ansprüchen, die man auch einem Gotte gegenüber glaubt haben zu dürfen.-- Jung geht von der Erfahrung Hiobs mit einem ihm tatsächlich gegenüberstehenden Gott aus. Tatsächlich spiegelt sich in dieser Geschichte die Entwicklung des Monotheismus wieder. Natürlich konnten die damaligen Gottesvorstellung noch nicht die heutige Ausformung gehabt haben, da die Menschen noch nicht allzulange Zeit vorher einen doch sehr anthropomorphen Polytheismus verlassen hatten. Das bedeutet nichts anderes, als dass Gott alle Züge eines übermächtigen Tyrannen hatte und damit sein Verhalten die damals wohl vorherrschende Form des Umgangs von Fürsten mit einfachen Untertanen war.--
Jahwes Gerechtigkeit wird gepriesen. Vor ihn, als dem gerechten Richter, könnte Hiob seine Klage und die Beteuerung seiner Unschuld wohl vorbringen. Aber er zweifelt an dieser Möglichkeit: »Wie kann ein Mensch Recht haben vor Gott?« »Wollte ich ihn vor Gericht ziehen, er stünde nicht Rede. « »Gibt es das Recht; wer will ihn vorladen?« Ohne Grund schlägt er ihm »viele Wunden«. »Schuldlose wie Unschuldige vernichtet er! Wenn seine Geißel plötzlich tötet, so lacht er der Verzweiflung der Unschuldigen.« »Ich weiß«, spricht Hiob zu Jahwe, »dass du mich nicht ledig sprichst. Ich soll ja (nun einmal) schuldig sein.« Wenn er sich schon reinigte, so würde Jahwe ihn »in Unrat tauchen«. »Er ist nicht ein Mensch, wie ich, dass ich ihm erwiderte, dass wir zusammen vor Gericht gingen.« Hiob will aber seinen Standpunkt vor Jahwe erklären, seine Klage erheben und sagt ihm, er wisse ja, dass er, Hiob, unschuldig sei, und dass ihn »niemand aus seiner Hand errettete«. Es »gelüstet« ihn, »mit Gott zu rechten«. Er will ihm »seine Wege ins Angesicht dartun«. Er weiß, dass er »im Rechte“ ist. Jahwe sollte ihn vorladen und ihm Rede stehen oder ihn wenigstens seine Klage vorbringen lassen. In richtiger Einschätzung des Missverhältnisses zwischen Gott und Mensch stellt er ihm die Frage: »Willst du ein verwehtes Blatt erschrecken und einen dürren Halm verfolgen?« Gott hat sein »Recht gebeugt«. Er hat ihm sein »Recht genommen«. Er »achtet nicht des Unrechtes«. »Bis ich verscheide, beharre ich auf meiner Unschuld, an meiner Gerechtigkeit halte ich fest und lasse sie nicht.« Sein Freund Elihu glaubt nicht an die Ungerechtigkeit Jahwes: »Gott tut nicht Unrecht und nicht verdreht der Allmächtige das Recht«, und begründet diese Ansicht unlogischerweise mit dem Hinweise auf die Macht: man wird zum König auch nicht sagen: »Du Nichtswürdiger« und »Du Gottloser« zu den Edlen. Man müsse »die Person der Fürsten ansehen« und »des Hohen mehr achten als des Niederen«. Aber Hiob lässt sich nicht erschüttern und spricht ein bedeutendes Wort: »Schon jetzt, siehe, lebt im Himmel mir ein Zeuge, mir ein Mitwisser in der Höhe ...zu Gott blickt tränend auf mein Auge, dass er Recht schaffe dem Manne gegen Gott«, und an anderer Stelle: »Ich aber weiß: mein Anwalt lebt, und ein Vertreter ersteht (mir) über dem Staube.« Aus den Worten Hiobs geht deutlich hervor, dass er, trotz seinem Zweifel, ob ein Mensch vor Gott Recht haben könne, nur schwer von dem Gedanken lasse; kann, auf dem Boden des Rechtes, und damit der Moral, Gott gegenüberzutreten. Das Wissen, dass göttliche Willkür das Recht beugt, fällt ihm nicht leicht, denn er kann trotz allem seinen Glauben an die göttliche Gerechtigkeit nicht aufgeben. -- Das Buch Hiob wirft in vergleichbarer Form die Frage der Gerechtigkeit Gottes auf wie mehr als 2000 Jahre später das Erdbeben von Lissabon. Die Annahme einer Gerechtigkeit Gottes, der gute Taten belohnt und schlechte Taten bestraft ist eine menschliche Vorstellung. Hinzu kommt die wohl übliche Erfahrung jener Zeit, dass Herrscher absolute Herrscher waren und die Interpretation des Rechts ausschließlich von der jeweiligen Verfasstheit des Herrschers abhingen. -- Aber andererseits muss er sich gestehen, dass niemand anders ihm Unrecht und Gewalt antut, als eben Jahwe selber. Er kann nicht leugnen, dass er sich einem Gotte gegenüber befindet, der sich um kein moralisches Urteil kümmert, bzw. keine für sich verbindliche Ethik anerkennt. Das ist wohl das Größte in Hiob, dass er angesichts dieser Schwierigkeit nicht an der Einheit Gottes irre wird, sondern klar sieht, dass Gott sich in Widerspruch mit sich selber befindet und zwar dermaßen total, dass er, Hiob, gewiss ist, in Gott einen Helfer und Anwalt gegen Gott zu finden. So gewiss ihm das Böse, so gewiss ist ihm auch das Gute in Jahwe. In einem Menschen, der uns Böses antut, können wir nicht zugleich den Helfer erwarten. Jahwe aber ist kein Mensch; Er ist beides, Verfolger und Helfer in Einem, wobei der eine Aspekt so wirklich ist wie der andere. Jahwe ist nicht gespalten, sondern eine Antinomie, eine totale innere Gegensätzlichkeit, die unerlässliche Voraussetzung seiner ungeheueren Dynamik, seiner Allmacht und Allwissenheit. Aus dieser Erkenntnis heraus hält Hiob daran fest, ihm »seine Wege darzutun«, d. h. ihm seinen Standpunkt klar zu machen, denn ungeachtet seines Zornes ist er sich selber gegenüber auch der Anwalt des Menschen, der eine Klage vorzubringen hat.
-- In vorangehenden Absatz spiegelt sich das Grundproblem aller großen monotheistischen Religionen, die eine Allmacht ihres Gottes und dessen Gerechtigkeit annehmen: Die Wirklichkeit der Erfahrung widerspricht dem nicht nur im Fall Hiob sondern auch im Überleben des Freudenhauses beim Beben von Lissabon bei gleichzeitiger Zerstörung der Kathedrale und auch bei zahllosen viel weniger dramatischen Ereignissen, die Menschen widerfahren. Der Autor (oder die Autoren) des Buches Hiob mussten an der Beständigkeit von Hiobs Glauben und der ihm letztlich widerfahrenen Gerechtigkeit festhalten, da sie sich in der Anfangszeit ihres Monotheismus befanden, der einer Umwelt mit beliebigen Göttern gegenüberstand, die wie die Menschen beliebig gegeneinander kämpften und die Frage nach einer allgemeinen Gerechtigkeit nie stellten. Alles unterlag nur der Beliebigkeit von Interessen, etwas, das ja nach wie vor die gesamte Menschheit prägt, völlig unabhängig von religiösen Bekenntnissen.
Das eigentliche Problem dieser Widersprüchlichkeit sind die menschlichen Vorstellungen. Die Menschen nehmen in Anspruch, etwas besonderes zu sein bis dahin, außerhalb der Naturgesetze zu stehen. Naturgesetze kennen weder gut noch schlecht. Sie sind so, wie sie sind. Alles was wir Wohlergehen oder Katastrophe nennen, sind menschliche Kategorien und Wertungen. Die zugrunde liegenden Ereignisse sind einfach so, wie sie sind und waren auch schon so, bevor es Menschen gab. So schwer es auch bei persönlicher Betroffenheit (auch mir) fällt, diese Ereignisse einfach anzunehmen, sie sind nicht wegen mir oder eines anderen so, wie sie sind. Ich bin nur zufällig da bei diesen Ereignissen und darum ist Wohlergehen niemals ein Verdienst und Leiden niemals eine Strafe. Der Buddhismus sagt, das alles Festhalten-Wollen Leiden erzeugt und da ist, auch völlig ohne Religion was dran. Den Vorstellungen und Bewertungen sind sehr oft eine Form des Festhaltens, denn durchaus verständlicherweise wollen Menschen nur, dass es ihnen wohl ergeht, da dies ja der angenehmere Zustand ist. --
Man könnte über die Gotteserkenntnis Hiobs noch mehr erstaunt sein, wenn man von der Amoralität Jahwes hier zum ersten Male vernähme. Die unberechenbaren Launen und verheerenden Zornanfälle Jahwes waren aber seit alters bekannt. -- Weil Jahwe im Buch Hiob, so wie alle Religionen der damaligen Zeit sehr genau die Verfasstheit eben dieser Zeit widerspiegelt, d.h. Er kann gar nicht anders sein als alle anderen Vorstellungen seiner Zeit. -- Er erwies sich als eifersüchtiger Hüter der Moral; insbesondere war er empfindlich in Bezug auf Gerechtigkeit. Er musste daher stets als »gerecht« gepriesen werden, woran, wie es scheint, ihm nicht wenig lag. Dank diesem Umstand, bzw. dieser Eigenart, hatte er distinkte Persönlichkeit, die sich von der eines mehr oder weniger archaischen Königs nur durch den Umfang unterschied. Sein eifersüchtiges und empfindliches Wesen, das misstrauisch die treulosen Herzen der Menschen und ihre heimlichen Gedanken durchforschte, erzwang ein persönliches Verhältnis zwischen ihm und dem Menschen, der nicht anders konnte, als sich persönlich von ihm angerufen zu fühlen. Das unterschied Jahwe wesentlich vom allwaltenden Vater Zeus, der wohlwollend und etwas detachiert die Ökonomie der Welt auf altgeheiligten Bahnen abrollen ließ und nur das Unordentliche bestrafte. Er moralisierte nicht, sondern waltete instinkthaft. Von den Menschen wollte er nichts, als die ihm gebührenden Opfer; mit ihnen wollte er schon gar nichts, denn er hatte keine Pläne mit ihnen. Vater Zeus ist zwar eine Gestalt, aber keine Persönlichkeit. Jahwe dagegen lag es an den Menschen. Sie waren ihm sogar ein Anliegen erster Ordnung. Er brauchte sie, wie sie ihn brauchten, dringlich und persönlich. Zeus konnte zwar auch Donnerkeile schmettern, aber nur auf einzelne unordentliche Frevler. Gegen die Menschheit im Ganzen hatte er nichts einzuwenden. Sie interessierte ihn auch nicht besonders. Jahwe dagegen konnte sich maßlos über die Menschen als Genus und als Individuum aufregen, wenn sie sich nicht so benahmen, wie er wünschte und erwartete, ohne sich dabei allerdings je Rechenschaft darüber zu geben, dass es ja in seiner Allmacht gelegen hätte, etwas besseres zu erschaffen, als diese »irden schlechten Töpfe«.
Bei dieser intensiven persönlichen Bezogenheit auf sein Volk konnte es nicht ausbleiben, dass sich daraus ein eigentlicher Bund entwickelte, der sich auch auf einzelne Personen bezog, so z. B. auf David. Wie der 89ste Psalm berichtet, sagte Jahwe zu David:
»....Meine Treue will ich nicht brechen. Ich will meinen Bund nicht entweihen, Und was meine Lippen gesprochen, nicht ändern. Das eine habe ich bei meiner Heiligkeit geschworen - Nie werde ich David belügen......«
Und dann ist es doch geschehen, dass er, der so eifersüchtig über Gesetzes- und Vertragserfüllung wachte, seinen Schwur brach. Dem empfindsamen modernen Menschen wäre der schwarze Abgrund der Welt aufgerissen, der Boden wäre unter seinen Füßen gewichen, denn das, was er von seinem Gott zumindest erwarten würde, wäre, dass er dem Sterblichen in jeglicher Hinsicht überlegen sei, und zwar im Sinne des Besseren, Höheren, Edleren, aber nicht in der Hinsicht moralischer Beweglichkeit und Unzuverlässigkeit, die selbst einen Meineid in Kauf nimmt.
Man darf natürlich einen archaischen Gott nicht mit den Bedürfnissen moderner Ethik konfrontieren. -- Man darf die archaische Vorstellungswelt von Jahwe nicht mit der Vorstellungswelt moderner Ethik konfrontieren. Auch wenn Jung in einem Interview sagte, es wisse, das es Gott gibt, so ist es doch so, dass er nur weiß, dass es sein Bild von Gott gibt. -- Für den Menschen des frühen Altertums lag die Sache etwas anders: an seinen Göttern blühte und strotzte schlechthin alles, Tugenden und Laster. Man konnte sie daher auch bestrafen, anbinden, betrügen, sie aufeinander hetzen, ohne dass sie an Prestige einbüßten - wenigstens nicht auf lange Sicht hinaus. Der Mensch jener Aeone war an die göttlichen Inkonsequenzen so gewöhnt, dass, wenn sie passierten, sie ihn nicht über Gebühr erschütterten. Bei Jahwe lag der Fall allerdings insofern etwas anders, als in der religiösen Beziehung schon sehr früh der Faktor der persönlich-moralischen Bindung eine bedeutende Rolle spielte. Unter diesen Umständen musste ein Vertragsbruch nicht nur persönlich, sondern auch moralisch verletzend wirken. Ersteres ersieht man aus der Art und Weise, wie David antwortet. Er sagt (89, 47):
»Wie lange, o Herr, willst du dich noch verbergen,
Deinen Grimm lodern lassen wie Feuer?
Bedenke, o Herr: Was ist doch das Leben!
Wie nichtig alle Menschenkinder, die du geschaffen!
-
Wo sind deine früheren Gnadenbeweise, o Herr,
Wie du sie David geschworen bei deiner Treue?«
Wäre dies zu einem Menschen gesprochen, so würde es etwa lauten: »So nimm dich doch endlich zusammen, und höre auf mit deiner sinnlosen Wüterei. Es ist doch wirklich zu grotesk, wenn jemand wie du über die Pflänzchen, die nicht ohne deine Schuld nicht recht gedeihen wollen, sich in solchem Maße aufregt. Du konntest doch früher auch vernünftig sein und das Gärtlein, das du gepflanzt, richtig besorgen, statt es zu zertrampeln.«
Der Interlocutor kann es allerdings nicht wagen, mit dem allmächtigen Partner wegen des Vertragsbruches zu rechten. Er weiß, was er zu hören bekäme, wenn er der bedauernswerte Rechtsbrecher wäre. Er muss sich, weil es sonst lebensgefährlich für ihn würde, auf das höhere Niveau der Vernunft zurückziehen und erweist sich damit, ohne es zu wissen und zu wollen, als dem göttlichen Partner in intellektueller sowohl als moralischer Hinsicht leise überlegen. Jahwe merkt es nicht, dass er »behandelt« wird, so wenig wie er versteht, warum er anhaltend als gerecht gepriesen werden muss. Er hat einen dringlichen Anspruch an sein Volk, in allen möglichen Formen "gepriesen"(oder gar "gesegnet" zu werden, was erst recht verfänglich ist) und propitiiert zu werden, mit dem offensichtlichen Zweck, ihn um jeden Preis bei Laune zu erhalten.
Der hieraus sichtbar werdende Charakter passt zu einer Persönlichkeit, die nur vermöge eines Objektes sich ein Gefühl eigener Existenz verschaffen kann. Die Abhängigkeit vom Objekt ist absolut, wenn das Subjekt keinerlei Selbst-Reflexion und damit auch keine Einsicht in sich selbst besitzt. Es hat den Anschein, als ob es nur vermöge des Umstandes existiere, dass es ein Objekt hat, welches dem Subjekt versichert, es sei vorhanden. Wenn Jahwe, wie man wenigstens von einem einsichtigen Menschen erwarten dürfte, wirklich seiner selbst bewusst wäre, so hätte er, in Anbetracht der wirklichen Sachlage, den Lobpreisungen seiner Gerechtigkeit wenigstens Einhalt tun müssen. Er ist aber zu unbewusst, um »moralisch« zu sein. Moralität setzt Bewusstsein voraus. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass Jahwe etwa unvollkommen oder böse sei wie ein gnostischer Demiurg. Er ist jede Eigenschaft in ihrer Totalität, also u. a. die Gerechtigkeit schlechthin, aber auch das Gegenteil, und dies ebenso vollständig. So wenigstens muss er gedacht werden, wenn man sich ein einheitliches Bild seines Wesens machen will. -- Hier verwendet Jung zum ersten Mal den Ausdruck des Bildes von Jahwe. Ich habe den Eindruck, dass er bezueglich Jahwe in einem Ausmaß anthropomorphisiert, das sein sonstiges Bilder-Denken noch weit übersteigt. Aber offenbar bewertete Jung (wie Freud auch) von einer sehr elitären Position aus die Welt und ihre Vorgänge. -- Wir müssen uns dabei nur bewusst bleiben, dass wir damit nicht mehr als ein anthropomorphes Bild entworfen haben, welches nicht einmal besonders anschaulich ist. Die Äußerungsweise des göttlichen Wesens lässt erkennen, dass die einzelnen Eigenschaften ungenügend aufeinander bezogen sind, so dass sie ineinander widersprechende Akte zerfallen. So z. B. reut es Jahwe, Menschen gemacht zu haben, wo doch seine Allwissenheit von Anfang an genau im Bilde darüber war, was mit solchen Menschen geschehen wird.
Hier an dieser Stelle ist mir natürlich klar, das Jung diesen Jahwe für wirklich hält und natürlich ist er für ihn wirklich, weil diese Wirklichkeit von ihm so erfahren wird. Dies ist darum auch so stehen zu lassen. Doch für mich gibt es eine andere Erfahrung von Wirklichkeit, von der ich nur weiß, dass sie sehr viele Randbedingungen hat, die ich nicht verändern kann. Ich nehme diese Randbedingungen an, so wie dies ganz offenbar auch Jung getan hat. Ich weiß nur, dass dies eine mir zugekommene Wirklichkeit ist und dass die anderer Menschen anders ist. Ich bin nur nicht bereit, den Anspruch, den Jung auch bei vielen anderen Gelegenheiten gestellt hat zu akzeptieren, nämlich dass dies alles wahr ist im allgemeinen Sinne und dass er der Garant dafür sei. Auch wenn es viele Menschen gegeben hat, die diesen Anspruch akzeptierten, so tue ich dies nicht. Dies alles ist ausschließlich seine Wahrheit, völlig ungeachtet der Tatsache, dass er natürlich außerordentlich intelligent und auch außerordentlich belesen war. Er hat nur meines Erachtens einen ganz wesentlichen Aspekt des Wissens nie realisieren können, nämlich das jede Zunahme an Wissen auch gleichbedeutend ist mit einer ungleich größeren Zunahme auch des Wissens um die Lücken in diesem Wissen und der Unmöglichkeit, diese schließen zu können. Vielleicht ist das die in allen Religionen vorkommende Verblendung: Ein rationalisiertes Gebäude von Wirklichkeit, das einzig nur dazu dient, der für die Ratio bedrückenden Ohnmacht des Nichtwissens zu entkommen. Es gibt natürlich auch die andere Möglichkeit, die eigene Begrenztheit anzunehmen und ganz schlichtweg bescheiden zu werden. Das ist aber überhaupt nichts besonderes und führt auch nicht zu Ruhm und Ansehen.
Eigentlich müsste ich an dieser Stelle meine Kommentare aufhören. Ich meine aber, dass es diese Schrift verdient, sich weiter mit ihr auseinanderzusetzen.

Dienstag, 19. Juni 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung 2. Teil


ANTWORT AUF HIOB
Das Buch Hiob ist ein Markstein auf dem langen Entwicklungswege eines göttlichen Dramas. Als das Buch entstand, lagen schon vielerlei Zeugnisse vor, welche ein widerspruchsvolles Bild Jahwes entworfen hatten, nämlich das Bild eines Gottes, der maßlos war in seinen Emotionen und an eben dieser Maßlosigkeit litt. Er gab es sich selber zu, dass ihn Zorn und Eifersucht verzehrten und dass ihm dieses Wissen leidvoll war. Einsicht bestand neben Einsichtslosigkeit, wie Güte neben Grausamkeit und wie Schöpferkraft neben Zerstörungswillen. Es war alles da, und keines hinderte das andere. Ein derartiger Zustand ist uns nur denkbar, wenn entweder kein reflektierendes Bewusstsein vorhanden ist, oder wenn die Reflexion ein bloß ohnmächtig Gegebenes und Mitvorkommendes darstellt. Ein Zustand, der solchermaßen beschaffen ist, kann nur als amoralisch bezeichnet werden. – Warum akzeptiert Jung das nicht als Entwicklungsstadium der Menschen in jener geographischen Gegend, mit dem natürlich auch der Entwicklungsstand des oder der Gottesbilder korrespondiert? 
Wie die Menschen des Alten Testamentes ihren Gott empfanden, davon wissen wir durch die Zeugnisse der Hl. Schrift. Doch nicht darum soll es sich hier handeln, sondern vielmehr um die Art und Weise, wie ein christlich erzogener und gebildeter Mensch unserer Tage sich mit den göttlichen Finsternissen, die sich im Hiobbuch enthüllen, auseinandersetzt, bzw. wie diese auf ihn wirken. Es soll keine kühl abwägende, jeder Einzelheit gerecht werdende Exegese gegeben, sondern eine subjektive Reaktion dargestellt werden. Damit soll eine Stimme laut werden, die für Viele, welche Ähnliches empfinden, spricht, und es soll eine Erschütterung zum Worte kommen, welche von dem durch nichts verschleierten Anblick göttlicher Wildheit und Ruchlosigkeit ausgelöst wird. Auch wenn wir um den Zwiespalt und das Leiden in der Gottheit wissen, so sind sie doch dermaßen unreflektiert und daher moralisch unwirksam, dass sie kein verständnisvolles Mitgefühl, sondern einen ebenso unreflektierten wie nachhaltigen Affekt erregen, welcher einer Wunde gleichkommt, die nur langsam heilt. Wie die Wunde der verletzenden Waffe entspricht, so der Affekt der verursachenden Gewalttat. -- Wieder: warum Gottheit? Jung kennt selbst als erwachsener und reifer Mensch die Zeit des 2. Weltkrieges sowie die Nazizeit und all der damit verbundenen Gräuel aus eigener Anschauung. Und er war zumindest eine kurze Zeitspanne selbst ein Verführter. Gerade er als Psychiater in seiner Kenntnis der möglichen Verwirrungen der menschlichen Seele müsste ungeachtet aller Betroffenheit durch die Geschichte von Hiob sich dessen bewusst sein, dass Hiob versucht, einem Gottesbild und nicht einer real existierenden Gottheit gerecht zu werden. Und dieses Gottesbild reflektiert sehr genau den für Hiob und seinesgleichen bestehenden Entwicklungszustand. Zugleich weist Hiob selbst in dieser Geschichte darüber hinaus und ermöglicht durch seine Haltung eine Weiterentwicklung sowohl dieses Gottesbildes als auch der dieses verehrenden Menschen, was letztlich im modernen Monotheismus heutiger Tage mündet. Ungeachtet dessen haben christliche Priester unseres Kulturkreises vor noch nicht allzu langer Zeit Waffen gesegnet und sind muslimische wie jüdische Fundamentalisten auch heute noch überzeugt, den jeweils anderen aus religiösen Gründen vernichten zu müssen. Das hat überhaupt nichts mit einer Entwicklung von Jahwe zu tun.--
Das Buch Hiob spielt nur die Rolle eines Paradigmas für die Art und Weise eines Gotteserlebnisses, das für unsere Zeit eine ganz besondere Bedeutung besitzt. Derartige Erfahrungen befallen den Menschen sowohl von innen wie von außen, und es hat keinen Zweck, sie rational umzudeuten und damit apotropaeisch (Anmerk,: magische Eigenschaft von Gesten, Dingen oder speziellen Zeichen zur Abwehr von Schaden) abzuschwächen. Man gibt sich besser den Affekt zu und unterwirft sich seiner Gewalt, als dass man sich seiner durch allerhand intellektuelle Operationen oder durch gefühlsmäßige Fluchtbewegungen entledigt. Obschon man durch den Affekt alle schlechten Eigenschaften der Gewalttat nachahmt und sich dadurch desselben Fehlers schuldig macht, so ist dies doch eben gerade der Zweck solchen Geschehens: es soll in den Menschen eindringen, und er soll dieser Wirkung unterliegen. Er muss daher affiziert sein, denn sonst hat die Wirkung ihn nicht erreicht. Er soll aber wissen oder vielmehr kennenlernen, was ihn affiziert hat, denn damit wandelt er die Blindheit der Gewalt einerseits und des Affektes andererseits in Erkenntnis. -- Dies klingt nach Erkenntnismöglichkeit ausschließlich auf Basis eines Gottesbildes und ist zu verneinen. Und ich rede nicht von rationalem Abwägen, sondern tatsächlich von Erkennen im Sinne von Wahrnehmen, das letztlich den ganzen Menschen verändert. Solches Erkennen ist nur möglich unter Hintanstellung aller Gottesbilder und ist doch eine zutiefst persönliche Erfahrung, die niemals Allgemeincharakter beanspruchen kann und schon gar kein Beweis für irgend einen Gott ist. Sie wurde aber von allen Menschen zu allen Zeiten mit der je eigenen Gottesvorstellung in Verbindung gebracht und ist darum in allen Religionen präsent.
Aus diesem Grunde werde ich im Folgenden ungescheut und rücksichtslos dem Affekte das Wort lassen und auf Ungerechtigkeit Ungerechtes antworten, damit ich verstehen lerne, warum oder wozu Hiob verwundet wurde, und welche Folgen aus diesem Geschehnis für Jahwe sowohl wie für den Menschen erwachsen sind. 

Montag, 18. Juni 2012

Antwort auf "Antwort auf Hiob" von C.G.Jung - 1. Teil

Alle eigenen Kommentare sind in Schrägbuchstaben in roter Farbe dargestellt.



LECTORI BENEVOLO 
Doleo super te frater mi...
11 Reg. 1, 26
(Anm: lectori benevolo: freundlicher Leser)
Die Angabe der Bibelstelle entspricht der Vulgata, in der deutschen Übersetzung ist es 2, Sam. 1, 26: Lutherübersetzung: Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonatan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir wundersamer gewesen, als Frauenliebe ist. Die King James Bibel übersetzt aus dem Griechischen: I am distressed for thee, my brother Jonathan: very pleasant hast thou been unto me: thy love to me was wonderful, passing the love of women.)

Meine Schrift bedarf, um ihres etwas ungewöhnlichen Inhaltes willen, eines kurzen Vorwortes, welches mein Leser nicht übersehen möge. Es wird nämlich im Folgenden von ehrwürdigen Gegenständen des religiösen Glaubens die Rede sein, und wer immer solche Reden führt, läuft Gefahr, zwischen jenen beiden Parteien, die sich um eben diese Gegenstände streiten, in Stücke gerissen zu werden. Der Streit beruht auf der eigentümlichen Voraussetzung, dass etwas nur dann »wahr« sei, wenn es sich als eine physische Tatsache darbiete oder dargeboten habe. So wird z. B. die Tatsache, dass Christus von einer Jungfrau geboren worden sei, von den einen als physisch wahr geglaubt, von den anderen aber als physisch unmöglich bestritten. Jedermann kann sehen, dass dieser Gegensatz logisch unlösbar ist, und dass man darum besser daran täte, dergleichen unfruchtbare Dispute zu unterlassen. Beide nämlich haben Recht und Unrecht und könnten sich leicht einigen, wenn sie nur auf das Wörtchen »physisch« verzichten wollten. »Physisch« ist nicht das einzige Kriterium einer Wahrheit. Es gibt nämlich auch seelische Wahrheiten, die sich physisch weder erklären noch beweisen oder bestreiten lassen. Wenn z. B. ein allgemeiner Glaube vorhanden wäre, dass der Rhein zu irgend einer Zeit einmal von der Mündung aufwärts in seine eigene Quelle zurückgeflossen sei, so ist dieser Glaube an sich eine Tatsache, obschon dessen Aussage, physisch verstanden, als äußerst unglaubwürdig gelten muss. Ein solcher Glaube bildet eine seelische Tatsache, die nicht zu bestreiten ist und keines Beweises bedarf. Zu dieser Art gehören die religiösen Aussagen. Sie beziehen sich samt und sonders auf Gegenstände, die physisch nicht feststellbar sind. -- C.G. Jung übersieht, dass es sehr viele Christen gibt, die überzeugt sind, dass die Bibel wörtlich zu nehmen ist und sich in ihrem Glauben keinen Deut um Übersetzungsprobleme oder gar physisch und psychisch kümmern.-- Täten sie es nicht, so würden sie unweigerlich in den Bereich der Naturwissenschaft fallen, um von dieser als unerfahrbar kassiert zu werden. Als auf Physisches Bezügliches haben sie überhaupt keinen Sinn. Sie wären bloße Wunder, die an sich schon dem Zweifel ausgesetzt sind, und könnten die Wirklichkeit eines Geistes, d. h. eines Sinnes, doch nicht beweisen, denn der Sinn erweist sich immer aus sich selbst. Der Sinn und Geist Christi ist uns gegenwärtig und vernehmlich auch ohne Wunder. Letztere appellieren nur an den Verstand solcher, die den Sinn nicht erfassen können. Sie sind ein bloßer Ersatz für die nicht verstandene Wirklichkeit des Geistes. Damit soll nicht bestritten werden, dass dessen lebendige Gegenwart nicht etwa gelegentlich von wunderlichen physischen Ereignissen begleitet ist, sondern es soll nur betont sein, dass letztere die allein wesentliche Erkenntnis des Geistes weder ersetzen noch bewerkstelligen können.
Die Grundfrage wird von C.G. Jung nicht in ihrer Schärfe wahrgenommen, weil die Welt nach seinem Verständnis in einen Schubladenkasten mit verschiedenen Fächern passt. Er beansprucht Wirklichkeiten, die als solche nicht existieren, sondern bloße Projektionen sind. Diese Projektionen sind deshalb so erfolgreich, weil große Gruppen von Menschen diese zum einen unhinterfragt akzeptieren und zum anderen diese zu einem geschlossenen (Denk- und Vorstellungs-)System wird, dessen Orientierungskoordinaten ausschließlich innerhalb der Denkmuster und Vorstellungen des Systems liegen. Erfahrung und Wirklichkeit ist immer die Interpretation von Ereignissen. Selbst Naturwissenschaft ist nur eine systematische Interpretation von Ereignissen. Daraus, dass sie so erfolgreich ist, kann keine Wahrheit abgeleitet werden, da es einen verbleibenden Graubereich von nicht eintretenden Prognosen gibt, der bei Wahrheit nicht existieren darf.

Die Tatsache, dass die religiösen Aussagen oft sogar im Gegensatz zu den physisch beglaubigten Erscheinungen stehen, beweist die Selbständigkeit des Geistes gegenüber der physischen Wahrnehmung und eine gewisse Unabhängigkeit der seelischen Erfahrung von den physischen Gegebenheiten.- Was ist Geist und was ist Seele? Wird alles darunter subsummiert, was wir nicht verstehen?- Die Seele ist ein autonomer Faktor, und religiöse Aussagen sind seelische Bekenntnisse, die in letzter Linie auf unbewussten, also transzendentalen Vorgängen fußen -- Was hat Unbewusstes mit Transzendenz zu tun --. Letztere sind der physischen Wahrnehmung unzugänglich, beweisen aber ihr Vorhandensein durch entsprechende Bekenntnisse der Seele. -- Sie beweisen nur, dass Menschen sich die Welt beliebig vorstellen können, ja dass diese Erfahrung der Welt durch unsere je besonderen Vorstellungen bestimmt wird -- Diese Aussagen werden durch das menschliche Bewusstsein vermittelt, bzw. in anschauliche Formen gebracht, welche ihrerseits mannigfachen Einflüssen äußerer und innerer Natur ausgesetzt sind, Daher kommt es, dass, wenn wir von religiösen Inhalten reden, wir uns in einer Welt von Bildern, welche auf ein Ineffabile (Anm.: nicht zu fassen, unbegreiflich) hindeuten, bewegen. Wir wissen nicht, wie deutlich oder wie undeutlich diese Bilder, Gleichnisse und Begriffe hinsichtlich ihres transzendentalen Gegenstandes sind. Sagen wir z. B. »Gott«, so äußern wir ein Bild oder einen Wortbegriff, der im Laufe der Zeit viele Wandlungen erlebt hat. Dabei sind wir außerstande, mit irgendwelcher Sicherheit anzugeben -es sei denn durch den Glauben -, ob diese Veränderungen nur Bilder und Begriffe, oder das Unaussprechliche selber betreffen. Man kann sich ja Gott ebenso wohl als ewig strömendes, lebensvolles Wirken, das sich in unendlichen Gestalten abwandelt, wie als ewig unbewegtes, unveränderliches Sein vorstellen. Unser Verstand ist sich nur des einen gewiss, dass er nämlich Bilder handhabt, Vorstellungen, die von der menschlichen Phantasie und deren zeitlicher und örtlicher Bedingtheit abhängen und sich daher in ihrer Jahrtausende alten Geschichte vielfach gewandelt haben. Unzweifelhaft liegt diesen Bildern ein bewusstseinstranszendentes Etwas zugrunde, welches bewirkt, dass die Aussagen nicht schlechthin grenzenlos und chaotisch variieren, sondern erkennen lassen, dass sie sich auf einige wenige Prinzipien bzw. Archetypen beziehen. Diese sind, wie die Psyche selber, oder wie die Materie, an sich unerkennbar, und es lassen sich davon nur Modelle entwerfen, von denen wir wissen, dass sie unzulänglich sind, was durch die religiösen Aussagen auch immer wieder bestätigt wird.
Wenn ich mich also im Nachfolgenden mit diesen »metaphysischen« Gegenständen beschäftige, so bin ich mir völlig bewusst, dass ich mich dabei in der Bilderwelt bewege, und dass keine einzige meiner Überlegungen an das Unerkennbare rührt. Ich weiß zu gut, wie beschränkt unser Vorstellungsvermögen ist -von der Enge und Armut unserer Sprache schon gar nicht zu reden -, als dass ich mir einbilden könnte, meine Aussagen bedeuteten prinzipiell mehr, als wenn ein Primitiver meint, sein Rettergott sei ein Hase oder eine Schlange. Obschon unsere ganze religiöse Vorstellungswelt aus anthropomorphen Bildern besteht, die als solche einer rationalen Kritik niemals standhalten könnten, so darf man darüber doch nicht vergessen, dass sie auf numinosen Archetypen beruhen, d. h. auf einer emotionalen Grundlage, welche sich für die kritische Vernunft als unangreifbar erweist. Es handelt sich hier um seelische Tatsachen, die man nur übersehen, aber nicht wegbeweisen kann. Darum hat in dieser Hinsicht schon Tertullian mit Recht das Zeugnis der Seele angerufen. In seiner Schrift »De Testimonio Animaea, Cap. V, sagt er:
»Haec testimonia animae quanto vera, tanto simplicia: quanto simplicia, tanto vulgaria: quanto vulgaria, tanto communia: quanto communia, tanto naturalia: quanto naturalia, tanto divina, non putem cuiquam frivolum et frigidum videri Posse, si recogitet naturae maiestatem, ex qua censetur auctoritas animae. Quantum dederis magistrae, tantum adiudicabis discipulae. Magistra natura, anima discipula. Quicquid aut illa edocuit, aut ista perdidicit, a Deo traditum est, magistro scilicet ipsius magistrae. Quid anima possit de principali institutore praesumere, in te est aestimare de ea quae in te est. Senti illam, quae ut sentias efficit: recogita in praesagiis vatem, in omnibus augurem, in eventibus prospicem. Mirum si a Deo data homini novit divinare. Tam mirum, si eum a quo data est, novit.« -- Das ist pure Präpotenz, diesen Schriftteil ohne Übersetzung anzugeben. Wie viele Menschen hätten Interesse an Jungs Schriften, werden aber immer wieder vor den Kopf gestoßen, weil sie nicht ausreichend Latein können, um den Absatz übersetzen zu können.--
Übersetzung (Aus Bibliothek der Kirschenväter, http://www.unifr.ch/bkv/index.htm): Diese Zeugnisse der Seele sind ebenso wahr als einfach, ebenso einfach als alltäglich, ebenso alltäglich als allgemein, ebenso allgemein als natürlich, ebenso natürlich als göttlich. Ich möchte nicht glauben, daß es jemandem wertlos und frostig vorkommen wird, wenn er die Erhabenheit der Natur erwägt, wonach ja die Autorität der Seele abzuschätzen ist. Gerade soviel als du der Lehrerin gibst, wirst du der Schülerin zuerkennen; Lehrerin ist die Natur, Schülerin die Seele. Alles, was jene gelehrt und diese gelernt hat, ist von Gott gekommen als dem Lehrmeister auch der Lehrerin. Was die Seele in betreff ihres höchsten Lehrers zu ahnen imstande sei, das zu beurteilen ist an dir nach Maßgabe derjenigen, die in dir ist. Lerne sie wahrnehmen, sie, die bewirkt, daß du wahrnimmst; beobachte sie, die in Vorempfindungen eine Seherin, bei Vorzeichen eine Prophetin ist und bei Ereignissen eine Vorahnung hat. Ist es ein Wunder, wenn sie, von Gott dem Menschen gegeben, göttlicher Ahnungen fähig ist? Ist es wirklich ein so großes Wunder, wenn sie den, von welchem sie gegeben ist, kennt? Sogar vom Widersacher betrogen, [S. 212] bewahrt sie ja noch die Erinnerung an ihren Urheber, seine Güte, seinen Ratschluß, ihren Ausgang und ihren Widersacher, So wenig wunderbar ist es, wenn sie, von Gott gegeben, das kundtut, was Gott den Seinigen zu wissen gegeben hat!
Ich gehe einen Schritt weiter und betrachte auch die Aussagen der Hl. Schrift als Äußerungen der Seele, auf die Gefahr hin, des Psychologismus verdächtigt zu werden. Wenn schon die Aussagen des Bewusstseins Täuschungen, Lügen und sonstige Willkürlichkeiten sein können, so ist dies mit den Aussagen der Seele keineswegs der Fall: sie gehen zunächst immer über unseren Kopf hinweg, indem sie auf bewusstseinstranszendente Wirklichkeiten verweisen. Diese entia sind die Archetypen des kollektiven Unbewussten, welche Vorstellungskomplexe in der Art mythologischer Motive verursachen. Vorstellungen dieser Art werden nicht erfunden, sondern treten z. B. in Träumen als fertige Gebilde in die innere Wahrnehmung. Es sind spontane Phänomene, die unserer Willkür entzogen sind, und man ist daher berechtigt, ihnen eine gewisse Autonomie zuzuschreiben. Sie sind deshalb nicht nur als Objekte zu betrachten, sondern auch als eigengesetzliche Subjekte. Man kann sie natürlich vom Standpunkt des Bewusstseins aus als Objekte beschreiben und bis zu einem Grade auch erklären, wie man einen lebenden Menschen in demselben Maße beschreiben und erklären kann. Man muss dabei allerdings von ihrer Autonomie absehen. Zieht man letztere aber in Betracht, so müssen sie notgedrungenerweise als Subjekte gehandhabt werden, d. h. es muss ihnen Spontaneität und Absichtlichkeit, bzw. eine Art von Bewusstsein und von liberum arbitrium (Anm.: Willensfreiheit) zuerkannt werden. -- Schmarrn. Auch das Unbewusste ist Teil dessen, was wir Persönlichkeit nennen und kann nicht außerhalb dieser agieren. -- Man beobachtet ihr Verhalten und berücksichtigt ihre Aussagen. Dieser doppelte Standpunkt, den man je dem relativ selbständigen Organismus gegenüber einnehmen muss, ergibt natürlich ein doppeltes Resultat, einesteils einen Bericht darüber, was ich mit dem Objekt tue, andererseits darüber, was es (eventuell auch mit mir) tut. Es ist klar, dass diese nicht zu umgehende Doppelheit im Kopfe meines Lesers zunächst einige Verwirrung stiften wird und dies in besonderem Maße, als wir es im Folgenden mit dem Archetypus der Gottheit zu tun haben werden.
Sollte sich jemand versucht fühlen, zu den Gottesbildern unserer Anschauung ein »Nur« zu setzen, so käme er in Widerstreit mit der Erfahrung, welche die außerordentliche Numinosität dieser Bilder über allen Zweifel hinaus dartut. Die außerordentliche Wirksamkeit (= Mana) derselben ist sogar derart, dass man nicht bloß das Gefühl hat, damit auf das Ens realissimum hinzudeuten, sondern vielmehr überzeugt ist, dasselbe auch auszusprechen und sozusagen zu setzen. Dadurch wird die Diskussion ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich. Man kann sich ja in der Tat die Wirklichkeit Gottes nicht anders vor Augen führen, als unter Benützung meist spontan entstandener oder durch Tradition geheiligter Bilder, deren psychische Natur und Wirkung der naive Verstand noch nie von deren unerkennbarer metaphysischer Grundlage getrennt hat. --Schmarrn. Alles ist uns Bild, was wir für wirklich halten, auch wir selbst. Anscheinend hat sich Jung niemals von der Vorstellung lösen können, dass nur die Wirklichkeit der sogenannten geistig Gesunden Realität ist. Auch für einen Geisteskranken sind seine Wahnideen wirklich und wenn er darunter leidet, so leidet er an einer von ihm wahrgenommenen Wirklichkeit, sonst würde er nicht leiden. -- Er setzt ohne weiteres das wirkungskräftige Bild in eines mit dem transzendentalen X, auf welches es hinweist. Die scheinbare Berechtigung dieses Vorgehens leuchtet unmittelbar ein und kommt als Problem nicht in Betracht, solange keine ernstlichen Einwände gegen die Aussage erhoben werden. Liegt aber ein Anlass zur Kritik vor, dann muss man sich daran erinnern, dass Bild und Aussage psychische Vorgänge und von ihrem transzendentalen Gegenstand verschieden sind; sie setzen ihn nicht, sondern deuten ihn bloß an. Im Bereiche psychischer Vorgänge ist aber Kritik und Auseinandersetzung nicht nur gestattet, sondern sogar unumgänglich.
Was ich im Folgenden versuchen werde, stellt eine Auseinandersetzung mit gewissen überlieferten religiösen Vorstellungen dar. Da ich es mit numinosen Faktoren zu tun habe, so ist nicht nur mein Intellekt, sondern auch mein Gefühl in die Schranken gefordert. Ich kann mich daher nicht kühler Objektivität bedienen, sondern muss meine emotionale Subjektivität zum Worte kommen lassen, um jenes darzustellen, das ich empfinde, wenn ich gewisse Bücher der Hl. Schrift lese oder wenn ich mich an die Eindrücke erinnere, die ich von unserer Glaubenslehre empfangen habe. Ich schreibe nicht als Schriftgelehrter (der ich nicht bin), sondern als Laie und als Arzt, dem es vergönnt war, tiefe Einblicke in das Seelenleben vieler Menschen zu tun. Was ich ausspreche ist zwar zunächst meine persönliche Auffassung, aber ich weiß, dass ich zugleich auch im Namen Vieler spreche, denen es ähnlich ergangen ist wie mir.