Wie der Entschluss zur
Menschwerdung sich anscheinend des altägyptischen Vorbildes bedient,
so können wir auch erwarten, dass der Verlauf derselben im Einzelnen
sich an gewisse Präfigurationen anlehnen wird.
-- Als alle diese Vorstellungen entstanden, befand sich das gesamte
davon betroffene geographische Gebiet in beliebigem auch kulturellem
Austausch. Die Annahme der Wirkung von überirdischen Mächten ist
reine Spekulation und findet ausschließlich in der Phantasie Jungs
statt. -- Die Annäherung der Sophia bedeutet neue
Schöpfung. Diesmal soll aber nicht die Welt geändert werden,
sondern Gott will sein eigenes Wesen wandeln. Die Menschheit soll
nicht, wie früher, vernichtet, sondern gerettet werden. Man
erkennt in diesem Entschluss den menschenfreundlichen Einfluss der
Sophia: es sollen keine neuen Menschen geschaffen werden, sondern nur
Einer, der Gottmensch. Zu diesem Zwecke muss ein umgekehrtes
Verfahren angewendet werden. Der männliche Adam secundus soll nicht
als Erster unmittelbar aus der Hand des Schöpfers hervorgehen,
sondern er soll aus dem menschlichen Weibe geboren werden. Die
Priorität fällt diesmal also der Eva secunda zu, und zwar nicht
etwa nur in zeitlichem, sondern auch in substantiellem Sinne. Mit
Berufung auf das sog. Protoevangelium, nämlich speziell Gen. 111,
15, entspricht die zweite Eva dem »Weibe und seinem Samen«,
das der Schlange »den Kopf zertreten« wird. Wie Adam als
ursprünglich hermaphroditisch gilt, so gilt auch das »Weib und sein
Samen« als ein Menschenpaar, nämlich als die Regina coelestis
(Anm.: Schutzkönigin) und Gottesmutter einerseits und der göttliche
Sohn, der keinen menschlichen Vater hat, andererseits. So wird Maria,
die Jungfrau, als reines Gefäß für die kommende
Gottesgeburt auserwählt. Ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit
vom Manne wird durch ihre prinzipielle Jungfrauschaft hervorgehoben.
Sie ist eine »Gottestochter«, die, wie später dogmatisch
festgestellt wird, von allem Anfang an schon durch das Privileg der
unbefleckten Empfängnis ausgezeichnet und damit von der Befleckung
der Erbsünde befreit ist. Ihre Zugehörigkeit zum status ante lapsum
(Anm.: Zustand vor der Erbsünde) ist daher evident. Damit wird ein
neuer Anfang gesetzt. Die göttliche Makellosigkeit ihres Zustandes
lässt ohne weiteres erkennen, dass sie nicht nur die imago Dei in
ungeminderter Reinheit trägt, sondern dass sie als Gottesbraut auch
ihren Prototypus, die Sophia, inkarniert. Ihre in den alten
Dokumenten ausführlich hervorgehobene Menschenfreundlichkeit lässt
vermuten, dass Jahwe in dieser seiner neuesten Schöpfung sich von
Sophia in wesentlichen Stücken hat bestimmen lassen. Denn Maria, die
»gebenedeite unter den Weibern«, ist eine Freundin und Fürbitterin
der Sünder, welche die Menschen allesamt sind. Sie ist wie Sophia
eine Mediatrix, die zu Gott führt und den Menschen dadurch das Heil
der Unsterblichkeit sichert. Ihre Assumptio ist das Vorbild für die
leibliche Auferstehung des Menschen. Als Gottesbraut und
Himmelskönigin hat sie die Stelle der alttestamentlichen Sophia
inne.
Bemerkenswert sind die
ungewöhnlichen Vorsichtsmaßnahmen, mit welchen die Gestaltung der
Maria umgeben wird: conceptio immaculata, Ausmerzung der macula
peccati (Anm.: befleckte Empfängnis), immerwährende Virginität.
Damit wird die Gottesmutter offenkundig gegen die Streiche Satans
gesichert. Man darf aus dieser Tatsache schließen, dass Jahwe seine
Allwissenheit zu Rate gezogen hat, denn in dieser besteht ein klares
Wissen um die perversen Neigungen, denen der dunkle Gottessohn
huldigt. Maria muss unbedingt vor dessen korrumpierenden Einflüssen
geschützt werden. Die unvermeidliche Folge dieser eingreifenden
Schutzmaßnahmen ist allerdings ein Umstand, den man bei der
dogmatischen Bewertung der Inkarnation ungenügend in Rechnung
gesetzt hat: die Befreiung von der Erbsünde enthebt die Jungfrau
auch der allgemeinen Menschheit, deren gemeinsames Merkmal die
Erbsünde und daher die Erlösungsbedürftigkeit ist. Der Status ante
lapsum bedeutet soviel als paradiesische, d. h. pleromatische und
göttliche Existenz. Maria wird durch die Anwendung besonderer
Schutzmaßnahmen sozusagen zum Status einer Göttin erhoben und büßt
damit ihre volle Menschlichkeit ein: Sie wird ihr Kind nicht wie alle
anderen Mütter in der Sünde empfangen und daher wird es auch nie
ein Mensch, sondern ein Gott sein. Man hat - meines Wissens
wenigstens -nie gesehen, dass damit die wirkliche Menschwerdung
Gottes in Frage gestellt bzw. nur teilweise vollzogen wurde. Beide,
Mutter und Sohn, sind keine wirklichen Menschen, sondern Götter.
Diese Veranstaltung bedeutet zwar eine Erhöhung der
Persönlichkeit Mariae im männlichen Sinn, indem sie der
Vollkommenheit Christi angenähert wird, aber zugleich auch eine
Kränkung des weiblichen Prinzips der Unvollkommenheit bzw. der
Vollständigkeit, indem dieses durch Perfektionierung bis auf jenen
kleinen Rest, der Maria noch von Christus unterscheidet, vermindert
wird - Phoebo propior lumina perdit! – {Anm.: das nähere
(proprior) Licht (eigentlich phoebus) zerstört (perdit) die Augen
(lumina, wörtlich Lichter, sollte aber in diesem Kontext als Augen
zu lesen sein)} Je mehr somit das weibliche Ideal in die Richtung des
männlichen umgebogen wird, desto mehr verliert die Frau die
Möglichkeit, das männliche Streben nach Vollkommenheit zu
kompensieren, und es entsteht ein männlich idealer Zustand, der, wie
wir sehen werden, von einer Enantiodromie (entwickelte
Vorstellung vom stetigen Gegeneinanderwirken der Kräfte, die allem
Lebendigen als Grundgesetz des Seins und des kosmischen Rhythmus innewohnt) bedroht ist. Über die Vollkommenheit hinaus führt kein Weg in die
Zukunft, es sei denn eine Umkehr, d. h. eine Katastrophe des Ideals,
welche durch das weibliche Ideal der Vollständigkeit hätte
vermieden werden können. Mit dem jahwistischen Perfektionismus hat
sich das Alte Testament in das Neue fortgesetzt, und trotz aller
Anerkennung und Erhöhung des weiblichen Prinzips ist letzteres
gegenüber der patriarchalen Herrschaft nicht durchgedrungen. Es wird
also noch von sich hören lassen.
V
Bei den von Satan
verdorbenen Ureltern war der erste Sohn missraten. Er war ein Eidolon
(Anm.: Trugbild, Gespenst) Satans, und nur der jüngere Sohn Abel war
Gott wohlgefällig. Das Gottesbild war in Kain entstellt; in Abel
dagegen war es bedeutend weniger getrübt. Wie der ursprüngliche
Adam als Abbild Gottes gedacht ist, so stellt der wohlgeratene
Gottessohn, das Vorbild Abels (über das, wie wir sahen, keine
Dokumente vorliegen), die Präfiguration des Gottmenschen dar. Von
letzterem wissen wir positiv, dass er als Logos praeexistent und
coaetern, ja sogar όμοούσιος (omooysios: gleichen
Wesens) mit Gott ist. Man kann Abel daher als unvollkommenen Prototyp
des nunmehr in Maria zu erzeugenden Gottessohnes betrachten. Wie
Jahwe ursprünglich den Versuch unternahm, sich im Urmenschen Adam
ein chthonisches (Anm.: lebens- und fruchtbarkeitsspendend)
Äquivalent zu schaffen, so beabsichtigt er jetzt etwas Ähnliches,
aber bedeutend Besseres. Diesem Zwecke dienen die oben erwähnten
außerordentlichen Vorsichtsmaßnahmen. Der neue Sohn, Christus, soll
wie Adam einerseits chthonischer Mensch, also leidensfähig und
sterblich, andererseits aber nicht' wie Adam ein bloßes Abbild,
sondern Gott selber sein, von sich selbst als Vater erzeugt und als
Sohn den Vater verjüngend. Als Gott ist er schon immer Gott gewesen
und als Sohn der Maria, die wie ersichtlich ein Abbild der Sophia
darstellt, ist er der Logos (synonym mit Nous), welcher, wie Sophia,
ein Werkmeister der Schöpfung ist, wie das Johannesevangelium
berichtet. Diese Identität von Mutter und Sohn wird von der
Mythologie vielfach beglaubigt.
Trotzdem es sich bei der
Geburt Christi um ein geschichtliches und einmaliges Ereignis
handelt, so ist es doch immer schon in der Ewigkeit vorhanden
gewesen. Dem Laien in diesen Dingen ist die Vorstellung der Identität
eines unzeitlichen und ewigen mit einem einmaligen historischen
Ereignis stets schwer gefallen. Er muss sich aber an den Gedanken
gewöhnen, dass »Zeit« ein relativer Begriff ist und eigentlich
ergänzt werden sollte durch den Begriff einer »gleichzeitigen«
Bardo- oder pleromatischen Existenz aller geschichtlichen Vorgänge.
Was im Pleroma als ein ewiger »Vorgang« vorhanden ist, das
erscheint in der Zeit als aperiodische Sequenz, d. h. in vielfacher
unregelmäßiger Wiederholung. Um nur ein Beispiel
ZU geben: Jahwe hat einen missratenen und einen guten Sohn. Diesem
Prototypus entsprechen Kain und Abel, sowie Jakob und Esau, und in
allen Zeiten und Zonen das Motiv der feindlichen Brüder, welch
letzteres in unzähligen modernen Varianten noch die Familien spaltet
und den Psychotherapeuten beschäftigt. Ebenso viele und ebenso
instruktive Beispiele ließen sich für die in der Ewigkeit
vorgezeichneten zwei Frauen beibringen. Derartige Dinge sind deshalb,
wenn sie als moderne Varianten erscheinen, nicht etwa bloß für
persönliche Zwischenfälle, Launen oder zufällige individuelle
Idiosynkrasien zu halten, sondern für den in zeitliche
Einzelereignisse auseinandergefallenen pleromatischen Vorgang, der
einen unerlässlichen Bestandteil oder Aspekt des göttlichen Dramas
bedeutet.
--
Es ist für mich immer wieder frappierend, wie Jung immer wieder
Entsprechungen aus dem ungeheuren, angelesenen Fundus der Mythologie
findet. In einer seiner Veröffentlichungen nimmt er sogar
ausdrücklich auf dieses Wissen Bezug, indem er behauptet, dass das
Verstehen vieler psychischer Faktoren ein Wissen der Entwicklungen
von Mythen voraussetzt. Ich behaupte, dass das gewaltige Volumen an
diesbezüglichem Wissen Jung angesichts seiner persönlichen
Entwicklung gar keine andere Wahl ließ, als eben diese Zusammenhänge
zu „entdecken“. Es ist dies das Grundproblem jeder modernen
Wissenschaft, dass sehr großes Wissen in Spezialgebieten den Blick
auf alles außerhalb verstellt.
Jung
hat sich bekanntermaßen sehr bald und sehr intensiv mit Mythologie
beschäftigt und sicher ungeheure Volumina an diesbezüglicher
Primär- und Sekundärliteratur „verschlungen“. Dies lässt sich
an den Literaturangaben seiner Schriften und auch an deren Inhalt
ablesen. Ich hatte beim Lesen vieler seiner Schriften den Eindruck,
dass er von diesen mythologischen Schriften außerordentlich
fasziniert war, weil er glaubte, darin Antworten auf viele seiner
Fragen zu finden und immer mehr von dieser Literatur konsumierte,
anstatt auch Kontrapunkte zu setzen und diese Standpunkte begründet
zu hinterfragen. Wie ihm geht es bei solcher Vorgangsweise jedem
Menschen. Es gibt aus diesen gedanklichen Verstrickungen keinen
Ausweg mehr, weil man im Verlauf eines solchen Prozesses den Eindruck
bekommt, dass niemand mehr der eigenen Position widersprechen kann,
weil jedem das Wissen dazu fehlt. Noch dazu war Jung in seinem sich
als elitäre Vorreiter fühlenden Kreis so etwas wie der Meister
unter Jüngern, hatte also Autorität, die allzugerne akzeptiert
wurde, weil er einen schwierigen Weg zurücklegte, der sonst von
jedem selbst zu gehen notwendig gewesen wäre. Alle hatten davon
einen Vorteil: Jungs Autorität wuchs und die Jünger sparten sich
große Mühe. --
Als Jahwe die Welt aus
seiner Urmaterie, dem sog. »Nichts«, schuf, konnte er gar nicht
anders als sich selber in die Schöpfung, die er in jedem Stücke
selber ist, hineingeheimnissen, wovon jede vernünftige Theologie
schon längstens überzeugt ist. Daher kommt die Überzeugung, man
könne Gott aus seiner Schöpfung erkennen. Wenn ich sage, er hätte
nicht anders gekonnt, so bedeutet dies keine Einschränkung seiner
Allmacht, sondern im Gegenteil die Anerkennung, dass alle
Möglichkeiten in ihm beschlossen sind, und es daher gar keine
anderen gibt als diejenigen, die ihn ausdrücken.
Alle Welt ist Gottes, und
Gott ist in aller Welt von allem Anfang an. Wozu dann die große
Veranstaltung der Inkarnation? fragt man sich erstaunt. Gott ist ja
de facto in allem, und doch muss irgend etwas gefehlt haben, dass
nunmehr ein sozusagen zweiter Eintritt in die Schöpfung mit soviel
Umsicht und Sorgfalt inszeniert werden soll. Da die Schöpfung
universal ist, die fernsten Sternnebel umfasst und auch das
organische Leben als unendlich variabel und differenzierungsfähig
angelegt hat, so ist hierin ein Manko wohl kaum ersichtlich. Dass
Satan überall seinen korrumpierenden Einfluss hineingemischt hat,
ist zwar aus vielen Gründen bedauerlich, tut aber im Wesentlichen
nichts zur Sache. Eine Antwort auf diese Frage ist nicht leicht zu
geben. Man wird natürlich behaupten wollen, dass Christus erscheinen
muss, um die Menschheit vom Übel zu erlösen. Wenn man aber bedenkt,
dass das Übel ursprünglich von Satan insinuiert wurde und noch
beständig hineingezaubert wird, so erschiene es doch bedeutend
einfacher, wenn Jahwe diesen »practical joker« einmal energisch zur
Ordnung riefe und seinen schädlichen Einfluss und damit die Wurzel
des Übels eliminierte. Es brauchte dann gar nicht die Veranstaltung
einer besonderen Inkarnation mit all den unabsehbaren Folgen, die
eine Menschwerdung Gottes mit sich bringt. Man vergegenwärtige sich,
was das heißt: Gott wird Mensch. Das bedeutet
nichts weniger als weltumstürzende Wandlung Gottes. Es bedeutet
etwas wie seinerzeit die Schöpfung, nämlich eine Objektivation
Gottes. Damals offenbarte er sich in der Natur schlechthin; .jetzt
aber will er, noch spezifischer, gar zum Menschen werden. Allerdings,
müssen wir sagen, hat eine Tendenz in dieser Richtung schon immer
bestanden. Als nämlich die offenbar vor Adam geschaffenen Menschen
mit den höheren Säugetieren in Erscheinung traten, schuf Jahwe
anderntags in einem besonderen Schöpfungsakt einen Menschen, der das
Abbild Gottes war. Damit geschah die erste Präfiguration zur
Menschwerdung. Jahwe nahm das Volk, die Nachkommen Adams, in seinen
persönlichen Besitz und erfüllte von Zeit zu Zeit Propheten dieses
Volkes mit seinem Geist. Das waren lauter vorbereitende Ereignisse
und Anzeichen einer innergöttlichen Tendenz zur Menschwerdung. In
der Allwissenheit aber bestand seit Ewigkeit das Wissen um die
Menschennatur Gottes oder die Gottesnatur des Menschen. Darum finden
wir, schon längst vor der Abfassung der Genesis, entsprechende
Zeugnisse in den altägyptischen Dokumenten. Diese Andeutungen und
Präfigurationen der Menschwerdung wollen einem als gänzlich
unverständlich oder überflüssig erscheinen, da ja alle Schöpfung,
die ex nihilo erfolgte, Gottes ist, aus nichts anderem als aus Gott
besteht und daher auch der Mensch wie die ganze Kreatur sowieso
konkret gewordener Gott ist. Präfigurationen sind aber an sich keine
Schöpfungsereignisse, sondern bloß Stufen im
Bewusstwerdungsprozess. Man hat eben erst sehr spät realisiert
(resp. ist immer noch damit beschäftigt), dass Gott das Wirkliche
schlechthin ist, also nicht zum mindesten auch Mensch. Diese
Realisierung ist ein säkularer Prozess. --
Jung hat seine Lektion im Religionsunterricht gelernt: Alle religiöse
Entwicklung steuert auf die Menschwerdung Gottes in Jesus hin (sic!).
Ich will seinen Glauben nicht hinterfragen, da es sein Glauben ist
und nicht meiner. Mit derselben Grundlage lässt sich auch der Islam,
der noch später kam begründen und die Moslems tun dies auch.
Genauso behaupten die Mormonen und glauben dies auch, dass Amerika
und das Buch Mormon das Ziel der Entwicklung war. Dies alles
respektiere ich auch als den je eigenen Glauben von Menschen und es
liegt mir fern, sie vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Ich verlange
nur, dass sie alle nicht versuchen, die ganze Welt mit ihren
Maßstäben zu erlösen, da sie alle nur wenige Blickwinkel von
vielen auf die Welt sind. Genau das beanspruchen zumindest alle
monotheistischen
Religionen und deren Subsekten für sich. Und hier entsteht ein
Problem, das allzuoft in der Vergangenheit mit massenhaftem
Abschlachten von Menschen geendet hat.
Ich
bin überzeugt, dass ich immer von vielen konkreten Menschen in
vielen dieser Gemeinschaften etwas lernen kann und diese glauben
zumeist nur, dass ihr Glaube der einzig wahre ist. Und hier scheiden
sich unsere Wege, denn für mich ist es ungeachtet der Notwendigkeit
grundsätzlicher Regeln für das Zusammenleben von Menschen zu
schade, die ungeheuer große Vielfalt der menschlichen
Lebensäußerungen in starre und letztlich immer krank machende
Korsette religiöser Vorschriften und Rituale zu zwingen, deren
negative Auswirkungen nicht nur heutzutage zu beobachten sind,
sondern zu allen Zeiten gegenwärtig waren.
In Ansehung des großen
Problems, das wir zu erläutern uns nun anschicken, schien mir dieser
Exkurs über pleromatische Ereignisse als Einleitung nicht
überflüssig zu sein.
Was ist nun aber der
wirkliche Grund zur Menschwerdung als historischem Ereignis?
Um diese Frage zu
beantworten, müssen wir etwas weit ausholen. Wie wir sahen, hat
Jahwe anscheinend eine Abneigung dagegen, das absolute Wissen
gegenüber seiner Allmachtdynamik in Betracht zu ziehen. Der in
dieser Beziehung wohl instruktivste Fall ist seine Beziehung zu
Satan: immer liegen die Dinge so, dass es aussieht, als ob Jahwe über
die Absichten seines Sohnes nicht unterrichtet wäre. Das rührt aber
davon her, dass er seine Allwissenheit nicht in Betracht zieht. Man
kann sich etwas derartiges dadurch erklären, dass Jahwe durch seine
sukzessiven Schöpfungsakte dermaßen fasziniert und in Anspruch
genommen war, dass er seine Allwissenheit darob vergaß. Es ist
durchaus begreiflich, dass die zauberhafte Körperlichwerdung
diversester Gegenstände, die zuvor nie und nirgends in solcher
Anschaulichkeit existiert hatten, ein unendliches göttliches
Entzücken verursachten. Sophia erinnert sich wohl ganz richtig, wenn
sie sagt:
»Als er die Grundfesten
der Erde legte,
da war ich als Liebling
ihm zur Seite,
war
lauter Entzücken Tag für Tag. «
Noch im Buch Hiob klingt
die stolze Schöpferfreude nach, wenn Jahwe auf seine großen Tiere,
die ihm gelungen sind, hinweist :
»Siehe doch das
Flusspferd, das ich schuf wie dich . . .
Das ist der Erstling von
Gottes Schaffen,
gemacht zum Beherrscher
seiner Genossen.«
Noch in der Zeit Hiobs
ist Jahwe berauscht von der ungeheuren Macht und Größe seiner
Schöpfung. Was bedeuten daneben schon die Sticheleien Satans und die
Lamentationen der wie Flusspferde geschaffenen Menschen, auch wenn
sie Gottes Abbild tragen? Jahwe scheint überhaupt vergessen zu
haben, was letzteres bedeutet, sonst hätte er wohl Hiobs menschliche
Würde nicht so vollständig ignoriert. --
Anthropomorphiesierendes Geschwätz --
Es sind eigentlich erst
die sorgfältigen und vorausschauenden Vorbereitungen zur Geburt
Christi, welche erkennen lassen, dass die Allwissenheit anfängt,
einen nennenswerten Einfluss auf Jahwes Handeln zu gewinnen. Ein
gewisser philanthropischer und universalistischer Zug macht sich
bemerkbar. Die »Kinder Israel« treten gegenüber den
Menschenkindern etwas in den Hintergrund, auch hören wir seit Hiob
zunächst nichts mehr von neuen Bünden. Weisheitssprüche scheinen
an der Tagesordnung zu sein, und ein eigentliches Novum, nämlich
apokalyptische Mitteilungen, macht sich bemerkbar. Das deutet
auf metaphysische Erkenntnisakte, d. h. auf »konstellierte«
unbewusste Inhalte, die bereit sind, ins Bewusstsein durchzubrechen.
In allem ist, wie schon gesagt, Sophias hilfreiche Hand am Werke.
Wenn man Jahwes Verhalten
bis zum Wiederauftreten der Sophia im Ganzen betrachtet, so fällt
die eine unzweifelhafte Tatsache auf, dass sein Handeln von einer
inferioren Bewusstheit begleitet ist. Immer wieder vermisst
man die Reflexion und die Bezugnahme auf das absolute Wissen. Seine
Bewusstheit scheint nicht viel mehr als eine primitive »awareness«
(wofür es leider kein deutsches Wort gibt) zu sein. Man kann den
Begriff mit »bloß wahrnehmendes Bewusstsein« umschreiben.
Awareness kennt keine Reflexion und keine Moralität. Man nimmt bloß
wahr und handelt blind, d.h. ohne bewusst reflektierte Einbeziehung
des Subjektes, dessen individuelle Existenz unproblematisch ist.
Heutzutage würde man einen solchen Zustand psychologisch als
»unbewusst« und juristisch als »unzurechnungsfähig« bezeichnen.
Die Tatsache, dass das Bewusstsein keine Denkakte vollzieht, beweist
aber nicht, dass solche nicht vorhanden sind. Sie verlaufen bloß
unbewusst und machen sich indirekt bemerkbar in Träumen, Visionen,
Offenbarungen und »instinktiven« Bewusstseinsveränderungen, aus
deren Natur man erkennen kann, dass sie von einem »unbewussten«
Wissen herrühren und durch unbewusste Urteilsakte und Schlüsse
zustande gekommen sind. -- Dies ist
Anthropomorphisierung in Reinstformat. Der Gott des Christentums ist
so, wie er ist, weil die Menschen ihn so denken können --
Etwas
derartiges beobachten wir in der merkwürdigen Veränderung, die nach
der Hiobepisode sich im Verhalten Jahwes eingestellt hat. Es ist wohl
nicht daran zu zweifeln, dass ihm die moralische Niederlage, die er
sich Hiob gegenüber zugezogen hat, zunächst nicht zum Bewusstsein
gekommen war. In seiner Allwissenheit stand diese Tatsache allerdings
schon seit jeher fest, und es ist nicht undenkbar, dass dieses Wissen
ihn unbewusst allmählich in die Lage gebracht hat, so unbedenklich
mit Hiob zu verfahren, um durch die Auseinandersetzung mit letzterem
sich etwas bewusst zu machen und eine Erkenntnis zu gewinnen. Satan,
dem später nicht zu Unrecht der Name »Luzifer« zuerkannt wurde,
verstand es, die Allwissenheit öfter und besser zu nützen als sein Vater. Es scheint, dass er der einzige unter den Gottessöhnen war, der
soviel Initiative entwickelte. Auf alle Fälle war er es, der Jahwe
diejenigen unvorhergesehenen Zwischenfälle in den Weg legte, welche
in der Allwissenheit als nötig, ja unerlässlich für die
Entwicklung und Vollendung des göttlichen Dramas gewusst waren. Dazu
gehörte der entscheidende Fall Hiob, der nur dank der Initiative
Satans zustande kam.
Der Sieg des Unterlegenen
und Vergewaltigten ist einleuchtend: Hiob stand moralisch höher als
Jahwe. Das Geschöpf hatte in dieser Beziehung den Schöpfer
überholt. Wie immer, wenn ein äußeres Ereignis an ein unbewusstes
Wissen rührt, kann letzteres bewusst werden. Man erkennt das
Ereignis als ein »deja vu« und erinnert sich an ein präexistentes
Wissen darum. Etwas derartiges muss mit Jahwe geschehen sein. Die
Überlegenheit Hiobs kann nicht mehr aus der Welt geschafft werden.
Damit ist eine Situation entstanden, die nun wirklich des Nachdenken~
und der Reflexion bedarf. Aus diesem Grunde greift Sophia ein. Sie
unterstützt die nötige Selbstbesinnung und ermöglicht dadurch den
Entschluss Jahwes, nun selber Mensch zu werden. Damit fällt eine
folgenschwere Entscheidung: er erhebt sich über seinen früheren
primitiven Bewusstseinszustand, indem er indirekt anerkennt, dass der
Mensch Hiob ihm moralisch überlegen ist und dass er deshalb das
Menschsein noch nachzuholen hat.
Hätte er diesen
Entschluss nicht gefasst, so wäre er in flagranten Gegensatz zu
seiner Allwissenheit geraten. Jahwe muss Mensch werden, denn diesem
hat er Unrecht getan. Er, als der Hüter der Gerechtigkeit, weiß,
dass jedes Unrecht gesühnt werden muss, und die Weisheit weiß, dass
auch über ihm das moralische Gesetz waltet. Weil sein Geschöpf ihn
überholt hat, muss er sich erneuern.
Da nun nichts geschehen
kann ohne eine präexistente Vorlage, selbst nicht die creatio ex
nihilo, die sich immerhin auf den ewigen Bilderschatz in der
Phantasie der »Werkmeisterin« berufen muss, so kommt als
unmittelbares Vorbild für den zu erzeugenden Sohn einesteils (aber
nur in beschränktem Maße) Adam, anderenteils (dies in höherem
Maße) Abel in Frage. Adams Beschränkung besteht darin, dass er zur
Hauptsache Geschöpf und Vater, wenn schon Anthropos ist. Abels
Vorteil aber besteht darin, dass er der Gott wohlgefällige Sohn,
erzeugt und nicht direkt geschaffen ist. Dabei muss ein Nachteil in
Kauf genommen werden: er ist früh durch Gewalt ums Leben gekommen,
zu früh, um eine Witwe mit Kindern zu hinterlassen, was zu einem
vollen menschlichen Schicksal eigentlich gehört hätte. Abel ist
nicht der eigentliche Archetypus des Gott wohlgefälligen Sohnes,
sondern bereits ein Abbild, aber als solches das erste, das wir aus
der Hl. Schrift kennen. Der frühsterbende Gott ist auch in damaligen
heidnischen Religionen beglaubigt, ebenso der Brudermord. Wir gehen
daher wohl kaum fehl in der Annahme, dass Abels Schicksal auf ein
metaphysisches Ereignis zurückweist, welches sich zwischen Satan und
einem lichten, dem Vater mehr ergebenen Gottessohn abgespielt hat.
Davon geben uns ägyptische Überlieferungen Kunde. Wie gesagt kann
der präfigurierende Nachteil des Abeltypus nicht wohl umgangen
werden, denn er ist ein integrierender Bestandteil des mythischen
Sohndramas, wie die verschiedenen heidnischen Varianten dieses Motivs
zeigen. Der kurze, dramatische Verlauf des Abelschicksals kann wohl
als Paradigma für das Leben und den Tod eines Mensch gewordenen
Gottes dienen.
Wir erblicken also den
unmittelbaren Grund für die Menschwerdung in der Erhöhung Hiobs und
den Zweck derselben in der Bewusstseinsdifferenzierung Jahwes. Dazu
hat es allerdings einer bis aufs Äußerste zugespitzten Situation
bedurft, einer affektvollen Peripetie (Anm.: plötzlicher Umschlag,
plötzliches Unglück), ohne welche kein höheres Bewusstseinsniveau
erreicht wird.
--
Es stellt sich hier für mich nicht zum ersten Mal die Frage, ob sich
Jung nicht durch sein exzessives Studium "mythologischer"
Literatur beliebiger Herkunft schlichtweg verirrt hat. Die Tatsache,
dass schriftkundige Menschen zu allen Zeiten beliebige Spekulationen
zu Papier gebracht haben, sagt nichts über die Bedeutsamkeit dieser
Quellen aus. Es sagt nur aus, dass Menschen spekuliert haben, so wie
dies auch heute, nur in viel größerem Ausmaß geschieht, weil es
wesentlich mehr schriftkundige Menschen gibt. Ich behaupte, dass die
Häufung von ähnlich lautenden Quellen nichts über deren
Verlässlichkeit aussagt, sondern lediglich die zwischen
Schriftkundigen funktionierenden Kommunikationsstränge aufzeigt.
Dies ist auch heute nicht anders. Nur die Mechanismen haben andere
technische Hintergründe. Oder einfacher gesagt: Voneinander
variierend Abschreiben ist wesentlich weniger aufwendig als kreative
Neuschöpfungen.--
Für die kommende Geburt
des Gottessohnes kommt neben Abel die seit alters festliegende und
durch Tradition übermittelte Disposition des Heldenlebens überhaupt
als Vorbild in Frage. Er ist ja nicht bloß als nationaler Messias,
sondern als universaler Menschenerretter gedacht, infolgedessen
kommen auch die heidnischen Mythen bzw. Offenbarungen in Bezug auf
das Leben eines von den Göttern ausgezeichneten Mannes in Betracht.
Die Geburt Christi ist
daher gekennzeichnet durch die bei Heldengeburten üblichen
Begleiterscheinungen, wie die Vorausverkündigung, die göttliche
Erzeugung aus der Jungfrau, die Koinzidenz mit der dreimaligen
coniunctio maxima im Zeichen der Fische, welches dazumal gerade den
neuen Aeon einleitet, verbunden mit der Erkenntnis einer
Königsgeburt, die Verfolgung des Neugeborenen, dessen Flüchtung und
Verbergung, die Unansehnlichkeit der Geburt usw. Das Motiv des
Heldenwachstums ist noch erkennbar in der Weisheit des Zwölfjährigen
im Tempel, und für die Losreißung von der Mutter liegen einige
Beispiele vor.
Es
ist ohne weiteres verständlich, dass dem Charakter und Schicksal des
Mensch gewordenen Gottsohnes ein ganz besonderes Interesse eignet.
Aus beinahe zweitausendjähriger Entfernung gesehen, bedeutet es
allerdings eine ungemein schwierige Aufgabe, aus den erhaltenen
Traditionen ein biographisches Bild Christi zu rekonstruieren; liegt
uns doch nicht ein einziger Text vor, der auf die modernen
Anforderungen an Geschichtsschreibung auch nur die geringste
Rücksicht nähme. Die als historisch verifizierbaren Tatsachen sind
äußerst spärlich, und was sonst als biographisch verwertbares
Material vorliegt, ist nicht genügend, um daraus einen
widerspruchslosen Lebenslauf oder einen irgendwie wahrscheinlichen
Charakter herzustellen. Den Hauptgrund hiefür haben gewisse
theologische Autoritäten darin entdeckt, dass sich von der
Biographie und Psychologie Christi die Eschatologie nicht trennen lässt. Unter Eschatologie ist im wesentlichen die
Aussage zu verstehen, dass Christus nicht bloß Mensch, sondern
zugleich auch Gott ist und darum neben menschlichem Schicksal auch
göttliches erleidet. Die beiden Naturen durchdringen sich derart,
dass ein Trennungsversuch beide Naturen verstümmelt: die
Göttlichkeit überschattet den Menschen, und der Mensch ist als
empirische Persönlichkeit kaum erfassbar. Auch die Erkenntnismittel
der modernen Psychologie genügen nicht, um alle Dunkelheiten
aufzuhellen. Jeder Versuch, einen einzelnen Zug der Klarheit halber
herauszuheben, vergewaltigt einen anderen, der entweder hinsichtlich
der Göttlichkeit oder hinsichtlich der Menschlichkeit ebenso
wesentlich ist. Das Alltägliche ist vom Wunderbaren und Mythischen
dermaßen durchwoben, dass man seiner Tatsachen nie ganz sicher ist.
Was wohl am meisten stört und verwirrt ist der Umstand, dass gerade
die ältesten Schriften, nämlich diejenigen des Paulus, für die
konkrete menschliche Existenz Christi nicht das mindeste Interesse zu
haben scheinen. Auch die synoptischen Evangelien sind unbefriedigend,
da sie mehr den Charakter von Propagandaschriften als von Biographien
haben. --
Natürlich wollen alle mit ihren Berichten eine je eigenen Eindruck
erreichen, das sich aus der Art der Berichte erschließen lässt. Und
die Ergebnisse dieses Schließens sind wiederum von der Person des
Schließenden
abhängig. Also heillose Verwirrung in diesen Dingen. Wahrheit ist
also so sicher nicht auffindbar.--
Was die menschliche Seite
Christi anbelangt, wenn man von einem nur menschlichen Aspekt
überhaupt reden kann, so tritt die »Philanthropie« besonders
deutlich hervor. Dieser Zug ist schon angedeutet in der Beziehung der
Maria zu Sophia und sodann, in besonderem Maße, in der Zeugung durch
den Hl. Geist, dessen weibliche Natur Sophia personifiziert, denn sie
ist die unmittelbare historische Vorform des άγιον πνεύμα
,welches durch die Taube, den
Vogel der Liebesgöttin, symbolisiert wird. Auch ist meist die
Liebesgöttin die Mutter des frühsterbenden Gottes. Die
Philanthropie Christi wird aber nicht unwesentlich eingeschränkt
durch eine gewisse prädestinatianische Neigung, welche ihn sogar
gelegentlich veranlasst, seine heilsame Offenbarung den
Nichterwählten vorzuenthalten. Wenn man die Prädestinationslehre
wörtlich nimmt, so kann man sie im Rahmen der christlichen Botschaft
nur schwer verstehen. Fasst man sie dagegen psychologisch als ein
Mittel zur Erreichung eines bestimmten Effektes auf, so ist leicht zu
begreifen, dass die Anspielung auf Vorherbestimmung ein Gefühl der
Ausgezeichnetheit bewirkt. Wenn einer weiß, dass er seit Anfang der
Welt von göttlicher Wahl und Absicht ausersehen ist, so fühlt er
sich herausgehoben aus der Hinfälligkeit und Belanglosigkeit der
gewöhnlichen menschlichen Existenz und versetzt in einen neuen Stand
der Würde und der Bedeutsamkeit eines, der am göttlichen Weltdrama
teilhat. Damit wird der Mensch in die Gottesnähe entrückt, was dem
Sinne der evangelischen Botschaft durchaus entspricht. --
Die evangelische Botschaft ist eine genuin menschliche, von Menschen
für Menschen aufgeschriebene.
Göttlich ist lediglich die Zuordnung und Jung verirrt sich wiederum
hoffnungslos in seinen Phantasien.--
Neben der Menschenliebe
macht sich im Charakter Christi eine gewisse Zornmütigkeit
bemerkbar, und, wie es bei emotionalen Naturen häufig der Fall zu
sein pflegt, ebenso ein Mangel an Selbstreflexion. Nirgends findet
sich ein Anhaltspunkt dafür, dass Christus sich je über sich selber
gewundert hätte. Er scheint nicht mit sich selber konfrontiert zu
sein. Von dieser Regel gibt es nur eine bedeutende
Ausnahme: der verzweiflungsvolle Aufschrei am Kreuz: »Mein Gott,
mein Gott, warum hast Du mich verlassen?« Hier erreicht sein
menschliches Wesen Göttlichkeit, nämlich in dem Augenblick, wo der
Gott den sterblichen Menschen erlebt und das erfährt, was er seinen
treuen Knecht Hiob hat erdulden lassen. Hier wird die Antwort auf
Hiob gegeben, und, wie ersichtlich, ist auch dieser supreme
Augenblick ebenso göttlich wie menschlich, ebenso »eschatologisch«
wie »psychologisch«. Auch hier, wo man restlos den Menschen
empfinden kann, ist der göttliche Mythus ebenso eindrucksvoll
gegenwärtig. Und beides ist eines und dasselbe. Wie will man da die
Gestalt Christi »entmythologisieren«? Ein solcher rationalistischer
Versuch würde ja das ganze Geheimnis dieser Persönlichkeit
herauslaugen, und was übrig bliebe, wäre nicht mehr die Geburt und
das Schicksal eines Gottes in der Zeit, sondern ein historisch
schlecht beglaubigter religiöser Lehrer, ein jüdischer Reformator,
der hellenistisch gedeutet und missverstanden wurde - etwa ein
Pythagoras oder meinetwegen ein Buddha oder ein Mohammed, aber
keinesfalls ein Sohn Gottes oder ein Mensch gewordener Gott. --
Genau das ist der Punkt. Dies ist
alles eine Verwirrung der Worte. Ein "eindrucksvoll
gegenwärtiger göttlicher Mythus'" ist hinreichend als
persönliche seelische Erfahrung eines je einzelnen Menschen. Für
alle anderen ist es bestenfalls ein Nachplappern und damit nichts
anderes als Litanei.--
Überdies scheint man sich nicht genügend darüber Rechenschaft zu
geben, zu was für Überlegungen ein von aller Eschatologie
desinfizierter Christus Anlass geben müsste. Es gibt heutzutage eine
empirische Psychologie, die trotzdem existiert, obschon die Theologie
sie möglichst ignoriert, und von ihr könnten gewisse Aussagen
Christi unter die Lupe genommen werden. Wenn diese Aussagen von der
Verbindung mit dem Mythus gelöst werden, dann sind sie nämlich nur
noch persönlich zu erklären. Zu was für einem Schlusse aber muss
man notwendigerweise gelangen, wenn man z. B. die Aussage: »Ich bin
der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer
durch mich«, auf eine persönliche Psychologie reduziert? Offenbar
zu demselben, den auch die Verwandten Jesu in ihrer Unkenntnis der
»Eschatologie« gezogen haben. (Siehe Marc. 111, 21). Was soll eine
Religion ohne Mythus, wo sie doch, wenn überhaupt etwas, eben gerade
die Funktion bedeutet, die uns mit dem ewigen Mythus verbindet? --
Was ist der ewige Mythus? Ist er denn nicht mehr als der verzweifelte
Versuch des denkenden Säugetiers, dem eigenen Geworfen-Sein in diese
Welt und diese Zeit Sinn zu geben, der durch Mangel an Erfüllung im
Hier und Jetzt eine Überlebensnotwendigkeit ist?
Was
ist Erfüllung im Hier und Jetzt? Es ist nicht schrankenloses Tun
oder schrankenloser Hedonismus oder dauerndes Totschlagen von Zeit,
um nicht der eigenen Vergänglichkeit bewusst zu werden. Es ist das
Gut-Sein-Lassen-Können des Hier und Jetzt mit allem Großartigen und
allem Schrecklichen und allem dazwischen. Das ist kein Fatalismus,
aber was schon geschehen ist, ist geschehen und was schon gesagt ist,
ist gesagt. Wir können manches ändern, aber niemals das Geschehene.
Wir können nur helfen, Folgen zu lindern.--
Auf Grund dieser
eindrucksvollen Unmöglichkeiten hat man, wie aus einer gewissen
Ungeduld mit dem schwierigen Tatsachenmaterial heraus, angenommen,
Christus sei überhaupt nur ein Mythus, d. h. in diesem Fall so viel
als Fiktion. Der Mythus ist aber keine Fiktion,
sondern besteht in beständig sich wiederholenden Tatsachen, die
immer wieder beobachtet werden können. --
Schmarrn -- Er ereignet sich am Menschen, und Menschen
haben mythische Schicksale so gut wie griechische Heroen. Dass das
Christusleben in hohem Grade Mythus ist, beweist daher ganz und gar
nichts gegen seine Tatsächlichkeit; ich möchte fast sagen, im
Gegenteil, denn der mythische Charakter eines Lebens drückt geradezu
die menschliche Allgemeingültigkeit desselben aus. Es ist
psychologisch durchaus möglich, dass das Unbewusste, bzw. ein
Archetypus einen Menschen völlig in Besitz nimmt und sein Schicksal
bis ins kleinste determiniert. Dabei können objektive, d. h.
nichtpsychische Parallelerscheinungen auftreten, welche ebenfalls den
Archetypus darstellen. Es scheint dann nicht nur, sondern ist so,
dass der Archetypus sich nicht nur psychisch im Individuum, sondern
auch außerhalb desselben objektiv erfüllt. Ich vermute, dass
Christus eine derartige Persönlichkeit war. Das Christusleben ist
gerade so, wie es sein muss, wenn es das Leben eines Gottes und eines
Menschen zugleich ist. Es ist ein Symbolum, eine
Zusammensetzung heterogener Naturen, etwa so, wie wenn man Hiob und
Jahwe in einer Persönlichkeit vereinigt hätte. Jahwes
Absicht, Mensch zu werden, die sich aus dem Zusammenstoß mit Hiob
ergeben hat, erfüllt sich im Leben und Leiden Christi. --
Sehen das die Juden oder Muslime auch so? Meines Wissen nicht.--
VIII
Man wundert sich, in
Erinnerung an frühere Schöpfungsakte, wo Satan bei alledem mit
seinen subversiven Einflüssen bleibt. Überall sät er ja sein
Unkraut unter den Weizen. Man könnte seine Hand im herodianischen
Kindermord vermuten. Sicher ist sein Versuch, Christum zur Rolle
eines weltlichen Herrschers zu verlocken. Ebenso deutlich ist die
Tatsache, dass er, wie aus den Aussagen des Besessenen hervorgeht,
über Christi Natur sich als wohl informiert erweist, auch scheint er
Judas inspiriert zu haben, ohne aber den wesentlichen Opfertod
beeinflussen, bzw. verhindern zu können. --
Es ist erstaunlich, wie Jung Geschichten der Bibel, die als
allegorische Erzählungen noch hinreichen können, für bare Münze
nimmt. Denn mit demselben Anspruch können Erzählungen von
Wolperdingern, Werwölfen, Vampiren und Geistern wörtlich genommen
werden, wo sich doch in diesen Geschichten die verschiedensten Ängste
manifestieren, u.U. vermischt mit allen möglichen neurotischen
Persönlichkeitsdeformationen. --
Seine relative
Unwirksamkeit erklärt sich einesteils gewiss aus der sorgfältigen
Vorbereitung der Gottesgeburt, andererseits aber auch aus einem
merkwürdigen metaphysischen Ereignis, welches Christus wahrgenommen
hat: Er sah, wie Satan wie ein Blitz aus dem Himmel fiel. Dieses
Gesicht betrifft das Zeitlichwerden einer metaphysischen Begebenheit,
nämlich die historische (vorderhand) endgültige Trennung Jahwes von
seinem dunkeln Sohn. Satan ist aus dem Himmel verbannt und hat keine
Gelegenheit mehr, seinen Vater zu zweifelhaften Unternehmungen zu
überreden. Dieses »Ereignis« dürfte erklären, warum Satan, wo
immer er in der Menschwerdungsgeschichte auftaucht, eine so
unterlegene Rolle spielt, die in nichts mehr an das frühere
Vertrauensverhältnis zu Jahwe erinnert. Er hat die väterliche
Geneigtheit offenbar verscherzt und ist ins Exil geschickt worden.
Damit hat ihn die Strafe, die wir in der Hiobgeschichte vermisst
haben, nun doch -allerdings in merkwürdig bedingter Form -erreicht.
Obschon er vom himmlischen Hofe entfernt ist, so hat er doch die
Herrschaft über die sublunare (Anm. unter dem Mond) Welt behalten.
Er wird nicht direkt in die Hölle, sondern auf die Erde geworfen und
soll erst in der Endzeit eingeschlossen und dauernd unwirksam gemacht
werden. Die Tötung Christi ist nicht auf seine Rechnung zu setzen,
denn durch die Präfiguration in Abel und in den frühsterbenden
Göttern bedeutet der Opfertod als ein von Jahwe gewähltes Schicksal
die Wiedergutmachung für das Hiob geschehene Unrecht einerseits, und
andererseits eine Leistung zugunsten der geistigen und moralischen
Höherentwicklung des Menschen. Denn zweifellos wird der Mensch in
seiner Bedeutung gemehrt, wenn sogar Gott selber Mensch wird.
Infolge der relativen
Einschränkung des Satan ist Jahwe durch Identifikation mit seinem
lichten Aspekt zu einem guten Gott und liebenden Vater geworden. Er
hat zwar seinen Zorn nicht verloren und kann strafen, aber mit
Gerechtigkeit. Fälle in der Art der Hiobstragödie sind anscheinend
nicht mehr zu erwarten. -- Was ist mit dem
Erdbeben von Lissabon, dem ersten Weltkrieg, der auch für Jung laut
seiner Biographie mit dramatischen Ereignissen verknüpft war oder
gar mit dem 2. Weltkrieg mit millionenfachem Judenmord? Alle diese
Ereignisse waren Jung bei der Abfassung dieses Textes bekannt. Oder
ist er auf dem christlichen Auge vollkommen blind? Deshalb, weil die
Hiobs dieser Zeiten Jung nicht bekannt waren, weil er über sie
nichts gelesen hat, heißt es nicht, dass es sie nicht gab. Ich bin
schon wieder beim Aufhören der Beschäftigung mit dieser Schrift.
Trotzdem! -- Er erweist sich als gütig und gnädig; er
hat Erbarmen mit den sündigen Menschenkindern und wird als die Liebe
selber definiert. Obschon Christus ein vollkommenes Vertrauen in
seinen Vater hat und sich sogar Eins mit ihm weiß, kann er doch
nicht umhin, im Vaterunser die vorsichtige Bitte (und Warnung)
einzuflechten: »Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns
von dem Bösen.« Das heißt, Gott möge uns nicht direkt durch
Verlockung zum Bösen veranlassen, sondern uns lieber davon erlösen.
Die Möglichkeit, dass Jahwe, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und
trotz seiner ausgesprochenen Absicht, zum Summum Bonum zu werden,
wieder auf frühere Wege zurückgeraten könnte, liegt also nicht so
fern, als dass sie nicht im Auge behalten werden müsste. Jedenfalls
erachtet es Christus als zweckmäßig, im Gebete den Vater an seine
für den Menschen verderblichen Neigungen zu erinnern und ihn zu
bitten, davon abzulassen. Es gilt ja nach menschlichem Dafürhalten
für unfair, ja sogar äußerst unmoralisch, kleine Kinder zu
Handlungen, die ihnen gefährlich werden könnten, zu verlocken und
zwar einfach nur darum, um ihre moralische Standfestigkeit zu
erproben! Der Unterschied zwischen einem Kinde und einem Erwachsenen
ist zudem unermesslich viel geringer, als zwischen Gott und seinen
Geschöpfen, deren moralische Schwäche ihm am bekanntesten sein
muss. Das Missverhältnis ist sogar so groß, dass man, wenn diese
Bitte nicht im Vaterunser stünde, sie als Blasphemie bezeichnen
müsste, denn es geht doch wahrhaftig nicht an, dass man dem Gott der
Liebe und dem Summum Bonum eine derartige Inkonsequenz zuschreibt.
--
Was ist das Summum Bonum anderes als eine Projektion menschlicher
Vorstellungen von Erlösung angesichts eines völligen Ungenügens
des Säugetieres Mensch in seiner Triebhaftigkeit. Dieses Summum
Bonum ist eine der vewerflichsten, weil völlig ungenügenden
Vorstellungen vom Guten, weil wir als Menschen niemals nur gut sein
können. Solange wir nicht die andere, aus moralischer Sicht böse
Seite anschauen und annehmen, werden wir dieser nicht adäquat
begegnen können, wobei adäquat immer im Lichte der jeweils
konkreten sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu betrachten
ist. ---
Die sechste Bitte des
Vaterunsers lässt in der Tat tief blicken, denn angesichts dieser
Tatsache wird die immense Sicherheit Christi hinsichtlich des
Charakters seines Vaters etwas fraglich. Es ist ja leider eine
allgemeine Erfahrung, dass besonders positive und kategorische
Behauptungen namentlich dort auftreten, wo ein leiser Zweifel, der
sich im Hintergrund bemerkbar macht, aus der Welt geschafft werden
soll. Man muss ja zugeben, dass es schließlich gegen alle
vernünftige Erwartung wäre, wenn ein Gott, der seit Urzeiten neben
aller Generosität zeitweise verheerenden Wutanfällen ausgeliefert
war, nun plötzlich zum Inbegriff alles Guten hätte werden können.
Der uneingestandene, aber nichtsdestoweniger deutliche Zweifel
Christi in dieser Hinsicht wird noch im Neuen Testament und zwar in
der Apokalypse des Johannes bestätigt. Dort liefert sich nämlich
Jahwe wiederum einer unerhörten Zerstörungswut gegenüber der
Menschheit aus, von welcher bloß 144000 Exemplare übrig zu bleiben
scheinen.
--
Anthropomorphiesierendes Geschwätz --
Man ist in der Tat in
Verlegenheit, wie man eine derartige Reaktion mit dem Verhalten eines
liebenden Vaters, von dem man erwarten müsste, er werde seine
Schöpfung mit Geduld und Liebe schließlich verklären, in Einklang
bringen könnte. Es hat sogar allen Anschein, als ob gerade der
Versuch, dem Guten endgültig und absolut zum Siege zu verhelfen, zu
einer gefährlichen Aufstauung des Bösen und damit zu einer
Katastrophe führen müsste. Neben dem Weltende ist die Zerstörung
von Sodom und Gomorrha, ja sogar die Sintflut, reines Kinderspiel;
denn dieses Mal geht die Schöpfung überhaupt aus den Fugen. Da
Satan zeitweise eingeschlossen, dann überwunden und in den Feuersee
geworfen wird, so kann die Weltzerstörung kein Teufelswerk sein,
sondern stellt einen von Satan nicht beeinflussten »act of God«
dar. -- Immer, wenn ein Mensch stirbt, geht
eine Welt unter. Diese Grunderfahrung müssen wir annehmen, denn das,
was wir von anderen Menschen
wissen, ist nur unser Bild von
diesen. Und ausgerechnet dieses Bild bleibt erhalten. --
Dem
Weltende geht die Tatsache voraus, dass selbst der Sieg des
Gottessohnes Christus gegen seinen Bruder, den Satan, (der
Gegenschlag Abels gegen Kain) nicht wirklich und endgültig erfochten
ist, denn es ist vorher noch eine letzte machtvolle Manifestation
Satans zu erwarten. Man kann kaum annehmen, dass die Inkarnation
Gottes in seinem einen Sohne Christus vom Satan ruhig hingenommen
würde. Sie muss gewiss seine Eifersucht aufs Höchste erregt und in
ihm den Wunsch wachgerufen haben, Christus nachzuahmen [welche Rolle
ihm als πνεύμα
άντίμιμον
(pneuma
antimimon: Die herkömmmliche Übersetzung "Nachahme-Geist"
gibt nur durch den Bezug auf den Schöpfungsmythos in AJ 55,8; 56,14
f; 71,3 - 74,11 einen Sinn (als die von bösen Mächten geschaffene
Gegenkraft zum göttlichen Pneuma des Menschen). Im ursprünglichen
Dialog 67,15 und 68,15 meint "Antimimon Pneuma" den
Gegengeist, der erst durch die Nichtkenntnis in den Menschen kommt,
während das heilbringende Pneuma durch Gnosis erworben wird.( Vergl.
zum Ganzen Hauschild, Gottes Geist S. 225-228))
besonders liegt] und nun
seinerseits den dunkeln Gott zu inkarnieren. (Hierüber hat sich die
spätere Legendenbildung, wie bekannt, ausführlich verbreitet.)
Dieser Plan wird durch die Gestalt des Antichristus
zur Ausführung
gebracht werden und zwar nach Ablauf des astrologisch
vorausbestimmten Jahrtausends, das der Dauer der Herrschaft Christi
zugeschrieben wird. In dieser schon neutestamentlichen Erwartung wird
ein Zweifel an der unmittelbaren Endgültigkeit oder der universalen
Wirksamkeit des Erlösungswerkes laut. Leider -
muss man sagen -
bilden diese Erwartungen
unreflektierte Offenbarungen, die mit der sonstigen Heilslehre
nirgends auseinandergesetzt oder gar in Einklang gebracht werden.
--
Schmarrn --
IX
Ich erwähne die
zukünftigen apokalyptischen Geschehnisse zunächst nur darum, um den
Zweifel, der sich in der sechsten Bitte des Vaterunsers indirekt
ausdrückt, zu illustrieren, nicht aber um eine Auffassung der
Apokalypse überhaupt zu geben. Darauf werde ich unten zurückkommen.
Zuvor aber müssen wir uns der Frage zuwenden, wie es sich mit der
Menschwerdung Gottes über Christi Tod hinaus verhält. Man hat uns
seit alters gelehrt, dass die Menschwerdung ein einmaliges
historisches Ereignis sei. Man könne keine Wiederholung desselben
und ebenso wenig eine weitere Offenbarung des Logos erwarten, denn
auch diese sei in der Einmaligkeit der vor bald 2000 Jahren
erfolgten Erscheinung des Mensch gewordenen Gottes auf Erden
beschlossen. Die einzige Quelle der Offenbarung und die endgültige
Autorität ist also die Bibel, und Gott nur insofern, als er die
Schriften des Neuen Testamentes autorisiert hat. --
Schmarrn. Die Schriften des neuen Testamentes wurden von kirchlichen
Autoritäten autorisiert. -- Mit dem Schluss des Neuen
Testamentes hören die authentischen Mitteilungen Gottes auf. Soweit
der protestantische Standpunkt! Die katholische Kirche, die direkte
Erbin und Fortbildnerin des historischen Christentums, erweist sich
hinsichtlich dieser Frage etwas vorsichtiger, denn sie nimmt an, dass
das Dogma mit Beihilfe des Hl. Geistes sich weiterentwickeln und
entfalten könne. Diese Auffassung steht in bester Übereinstimmung
mit Christi Lehre vom Hl. Geiste und damit der weiteren Fortsetzung
der Inkarnation. Christus ist der Ansicht, dass wer an ihn glaube,
bzw. glaube, dass er der Sohn Gottes sei, der könne die Werke, die
er tue, auch tun und noch größere als diese. Er erinnert seine
Jünger daran, dass ihnen gesagt sei, sie seien Götter. Die
Gläubigen oder Auserwählten sind Kinder Gottes und »Miterben
Christi«. Wenn Christus den irdischen Schauplatz verlässt, so wird
er den Vater bitten, den Seinen einen »Beistand« (den »Parakleten«;
Anm.: Geist der Wahrheit) zu senden, der in Ewigkeit bei und in ihnen
bleibt. Der Beistand aber ist der Hl. Geist, der vom Vater her
gesendet wird. Dieser »Geist der Wahrheit. wird die Gläubigen
lehren und »zur ganzen Wahrheit führen«. Christus hat sich demnach
eine beständige Verwirklichung Gottes in dessen Kindern und daher in
seinen Geschwistern im Geiste gedacht, wobei seine Werke nicht einmal
notwendigerweise als die größten gelten müssten.
Da der Hl. Geist die
dritte Person der Trinität darstellt, und in jeder der drei Personen
jeweils der ganze Gott gegenwärtig ist, so bedeutet die Einwohnung
des Hl. Geistes nichts weniger als eine Annäherung des Gläubigen an
den Status des Gottessohnes. Man begreift daher unschwer den Hinweis:
»Ihr seid Götter.« Dieser deifizierenden Wirkung des Hl. Geistes
kommt natürlich die dem Erwählten eigentümliche imago Dei
entgegen. Gott in der Gestalt des HI. Geistes schlägt sein Zelt bei
und in den Menschen auf, denn er ist offenbar gesonnen, nicht nur in
den Nachkommen Adams, sondern auch in einer unbestimmt großen Anzahl
von Gläubigen, oder vielleicht in der Menschheit überhaupt, sich
fortschreitend zu verwirklichen. Es ist daher symptomatisch
bezeichnend, dass Barnabas und Paulus in Lystra mit Zeus und Hermes
identifiziert wurden: »Die Götter sind den Menschen ähnlich
geworden und zu uns herabgestiegen.« Das war allerdings die naivere
heidnische Auffassung der christlichen Transmutation (Anm.:
Umwandlung), aber eben gerade deshalb überzeugt sie. Ein solcher
Fall schwebte wohl Tertullian vor, als er den »sublimiorem Deum«
als »mancipem quendam divinitatis qui ex hominibus deos fecerits«,
als eine Art von »Ausleiher von Göttlichkeit« bezeichnete.
(Apolog. adv. gent. XI.)
Die Inkarnation Gottes in
Christo bedarf insofern einer Fortsetzung und Ergänzung, als
Christus infolge der Parthenogenesis (Anm.: Jungfernzeugung,
Jungferngeburt) und der Sündlosigkeit kein empirischer Mensch war
und daher, wie es bei Joh. 1 heißt, ein Licht darstellte, das zwar
in die Finsternis leuchtete, aber von dieser nicht begriffen wurde.
Er blieb außerhalb und oberhalb der wirklichen Menschheit. Hiob aber
war ein gewöhnlicher Mensch, und deshalb kann nach göttlicher
Gerechtigkeit das ihm und, mit ihm, der Menschheit geschehene Unrecht
nur durch eine Inkarnation Gottes im empirischen Menschen wieder gut
gemacht werden. Dieser Sühneakt wird durch den Parakleten (Anm.:
Geist der Wahrheit) vollzogen, denn wie der Mensch an Gott, so muss
Gott am Menschen leiden. Anders kann es keine »Versöhnung«
zwischen den beiden geben.
Die fortlaufende,
unmittelbare Einwirkung des Hl. Geistes auf die zur Kindschaft
berufenen Menschen bedeutet de facto eine in die Breite sich
vollziehende Menschwerdung. Christus, als der von Gott gezeugte Sohn,
ist ein Erstling, der von einer großen Anzahl nachgeborener
Geschwister gefolgt wird. Diese letzteren sind allerdings weder vom
Hl. Geist gezeugt, noch aus einer Jungfrau geboren. Das mag ihren
metaphysischen Status beeinträchtigen, keinesfalls aber wird ihre
bloß menschliche Geburt die Anwartschaft auf eine zukünftige
Ehrenstellung am himmlischen Hofe gefährden und ebenso wenig ihre
Leistungsfähigkeit in Bezug auf Wunderwerke vermindern. Ihre niedere
Herkunft (aus der Klasse der Säugetiere) hindert sie nicht, in ein
nahes Verwandtschaftsverhältnis zu Gott als Vater und zu Christus
als »Bruder« zu treten. In übertragenem Sinne ist es sogar eine
»Blutsverwandtschaft«, denn sie haben Anteil am Blute und Fleische
Christi empfangen, was mehr als bloße Adoption bedeutet. Diese
tiefgreifenden Änderungen im menschlichen Status sind direkt durch
das Erlösungswerk Christi bewirkt. Die Erlösung oder
Errettung hat verschiedene Aspekte, so vor allem den einer durch
Christi Opfertod geleisteten Sühne für die
Verfehlungen der Menschheit. Sein Blut reinigt uns von den bösen
Folgen der Sünde. Er versöhnt Gott mit dem Menschen und befreit
diesen von dem ihm drohenden Verhängnis des Gotteszornes und der
ewigen Verdammnis. Es leuchtet unmittelbar ein, dass derartige
Vorstellungen Gottvater immer noch als den gefährlichen und deshalb
zu propitiierenden (Anm. zu versöhnenden) Jahwe voraussetzen: der
qualvolle Tod seines Sohnes muss ihm Genugtuung für eine Beleidigung
leisten: er hat einen »tort moral« (Anm.: Unrecht haben) erlitten
und wäre eigentlich geneigt, sich dafür furchtbar zu rächen. Wir
stolpern hier wiederum über das Missverhältnis zwischen einem
Weltschöpfer und seinen Geschöpfen, die sich zu seinem Ärger nie
so benehmen, wie es seiner Erwartung entspräche. Es ist, wie wenn
jemand eine Bakterienkultur anlegte, welche ihm missrät. Er kann
dann zwar deshalb fluchen, aber er wird doch nicht den Grund für das
Fehlresultat bei den Bakterien suchen und diese dafür moralisch
bestrafen wollen. Er wird vielmehr einen passenderen Nährboden
auswählen. Das Verhalten Jahwes gegenüber seinen Geschöpfen
widerspricht allen Anforderungen der sog. »göttlichen« Vernunft,
deren Besitz den Menschen vor dem Tier auszeichnen soll.
Zudem kommt, dass ein Bakteriologe in der Wahl seines Nährbodens
sich irren kann, denn er ist ein Mensch. Gott aber, vermöge seiner
Allwissenheit, könnte sich nie irren, wenn er diese befragte. Er hat
allerdings seine menschlichen Geschöpfe mit einem gewissen
Bewusstsein und daher mit einem entsprechenden Grade von
Willensfreiheit ausgestattet. Aber er kann auch wissen, dass er
dadurch den Menschen in Versuchung führt, einer gefährlichen
Selbständigkeit zu verfallen. Das wäre insoweit kein zu großes
Risiko, wenn der Mensch es mit einem nur gütigen Schöpfer zu tun
hätte. Aber Jahwe übersieht seinen Satanssohn, dessen List sogar er
selber gelegentlich erliegt. Wie sollte er da erwarten können, dass
der Mensch mit seinem beschränkten Bewusstsein und seinem so
unvollkommenen Wissen es besser mache? Zudem übersieht er, dass, je
mehr Bewusstsein ein Mensch besitzt, er desto mehr von seinen
Instinkten, die ihm wenigstens noch eine gewisse Witterung von der
verborgenen Weisheit Gottes geben, abgetrennt und jeder
Irrtumsmöglichkeit preisgegeben ist. Satans List ist er schon gar
nicht gewachsen, wenn nicht einmal sein Schöpfer diesem mächtigen
Geiste Einhalt gebieten kann oder will. --
Vielleicht tue ich Jung mit manchen meiner Kommentare Unrecht. Denn
so wie ich im 20. Jahrhundert nach dem 2. Weltkrieg als Kind von
Flüchtlingen aus unterschiedlichen Gegenden Europas in einer Welt
sozialisiert wurde, deren Wertesystem in Frage gestellt war, hat sich
auch meine Vorstellung von Welt entwickelt. Jung wurde im letzten
Viertel des 19. Jahrhunderts in einer durchaus sicheren, aber
bipolaren protestantischen Bilderwelt in der Schweiz sozialisiert.
Genauso sieht seine Antwort auf Hiob, bzw. die von ihm so gedachte
Antwort Jahwes auf Hiob aus. Es muss wohl so sein. Keine Wahrheit ist
eine ewige, sondern stets die Antwort eines Menschen auf das je
eigene Leben. So ist auch mein Kommentar bzw. meine Antwort auf Jung
nur aus meinem Lebenshintergrund erklärbar.
Die Tatsache der
göttlichen »Unbewusstheit« wirft ein eigenartiges Licht auf die
Erlösungslehre: die Menschheit wird keineswegs von ihren Sünden
befreit, auch wenn man noch so regelrecht getauft und somit
abgewaschen ist, sondern von der Furcht vor den Folgen der Sünde,
nämlich dem Gotteszorn. Das Erlösungswerk will also den Menschen
von der Gottesfurcht erlösen, was dort gewiss möglich ist, wo
der Glaube an den liebenden Vater, der seinen eingeborenen Sohn zur
Rettung des Menschengeschlechtes gesandt hat, den deutlich
persistierenden (Anm.: beharrenden) Jahwe mit seinen gefährlichen
Affekten verdrängt. Ein derartiger Glaube setzt aber einen Mangel an
Reflexion oder ein sacrificium intellectus voraus, von denen es
zweifelhaft ist, ob sie noch moralisch verantwortet werden können.
Man darf ja nicht vergessen, dass Christus selber es war, der uns
gelehrt hat, mit den anvertrauten Pfunden zu wuchern und sie nicht zu
vergraben. Man darf sich nicht dümmer und unbewusster stellen als
man ist, denn in allen anderen Belangen sollen wir wach, kritisch und
unserer selbst bewusst sein, damit wir »nicht in Anfechtung fallen«,
und die »Geister«, die Einfluss auf uns gewinnen wollen, »prüfen,
ob sie von Gott seien«, um die Fehler, die wir begehen, erkennen zu
können. Es bedürfte sogar übermenschlicher Intelligenz, um den
listigen Fallstricken Satans zu entgehen. --
Na ja, lieber Carl Gustav Jung. Ich denke, es ist viel einfacher.
Warum gleich den Teufel beschwören und moralische Gartenzäune
errichten, die zwar Wegweiser sein können, aber von den meisten
Menschen bestenfalls als Krücken verwendet werden, die bei jeder
opportunen Gelegenheit weggeworfen werden.
Alles,
was wir tun und auch denken, wirkt nicht nur auf uns selbst, sondern
auch auf unsere Umgebung. Und dies meine ich nicht als moralische
Wirkung, sondern rein mechanistisch, wobei ich nicht weiß, welcher
Mechanismus da am Werke ist. Ich nehme an, dass es vor allem
psychische Faktoren sind, die in ähnlicher Weise wirken, wie ja auch
rein körperliche
Tätigkeiten den Körper in einer bestimmten Art und Weise
ertüchtigen. So sind Verhaltensweisen von Menschen auch ganz ohne
moralische Keule erklärbar, wobei natürlich immer eine
Einschränkung bleibt: was wir wahrnehmen, ist immer auch ganz stark
durch uns selbst geprägt. -- Diese Obliegenheiten
schärfen unvermeidlicherweise den Verstand, die Wahrheitsliebe und
den Erkenntnisdrang, die ebenso wohl genuine menschliche Tugenden,
wie Wirkungen jenes Geistes, der »selbst die Tiefen der Gottheit
erforscht«, sein können. Diese intellektuellen und moralischen
Kräfte sind selber göttlicher Natur und können und dürfen deshalb
nicht abgeschnitten werden. -- Schmarrn.
Moral wurde zu Zeiten Jungs vor allem eingebläut und Intelligenz
war immer schon eine Mischung von angeborenen Fähigkeiten und
ergänzender Förderung. Es ist aber Jung zugute zu halten, dass er
noch in einem Umfeld aufgewachsen ist, das ein völlig anderes
Verständnis von diesen Dingen hatte. -- Man gerät daher
eben gerade durch die Befolgung der christlichen Moral in die ärgsten
Pflichtenkollisionen. Nur wer es sich zur Gewohnheit macht, fünfe
gerade sein zu lassen, kann diesen entgehen. Die Tatsache, dass
christliche Ethik in Pflichtenkollisionen hineinführt, spricht zu
ihren Gunsten. Indem sie unlösbare Konflikte und damit eine
»afflictio animae« (innerer seelischer Konflikt) erzeugt, bringt
sie den Menschen der Gotteserkenntnis näher: aller Gegensatz ist
Gottes, darum muss sich der Mensch damit belasten, und indem er es
tut, hat Gott mit seiner Gegensätzlichkeit von ihm Besitz ergriffen,
d. h. sich inkarniert. Der Mensch wird erfüllt vom göttlichen
Konflikt. Wir verbinden mit Recht die Idee des Leidens mit einem
Zustand, in welchem Gegensätze schmerzlich aufeinanderprallen, und
wir scheuen uns, eine solche Erfahrung als Erlöstheit zu bezeichnen.
Jedoch ist nicht zu leugnen, dass das große Symbol des christlichen
Glaubens, das Kreuz, an dem die Leidensgestalt des Erlösers hängt,
seit beinahe zweitausend Jahren dem Christen eindrücklich vor Augen
geführt wird. Ergänzt wird dieses Bild durch die beiden Schächer,
von denen der eine in die Hölle fährt, der andere ins Paradies
eingeht. Man könnte die Gegensätzlichkeit des christlichen
Zentralsymbols wohl nicht besser darstellen. Wieso dieses
unvermeidliche Ergebnis der christlichen Psychologie Erlösung
bedeuten soll, ist schwierig einzusehen, wenn nicht gerade das
Bewusstwerden des Gegensatzes, so schmerzhaft diese Erkenntnis im
Moment auch sein mag, die unmittelbare Empfindung der Erlöstheit mit
sich führte. Es ist einerseits die Erlösung aus dem qualvollen
Zustand dumpfer und hilfloser Unbewusstheit, andererseits das
Innewerden der göttlichen Gegensätzlichkeit, deren der Mensch
teilhaft werden kann, sofern er sich der Verwundung durch das
trennende Schwert, welches Christus ist, nicht entzieht. Eben gerade
im äußersten und bedrohlichsten Konflikt erfährt der Christ die
Erlösung zur Göttlichkeit, sofern er daran nicht zerbricht, sondern
die Last, ein Gezeichneter zu sein, auf sich nimmt. So und einzig auf
diese Weise verwirklicht sich in ihm die imago Dei, die Menschwerdung
Gottes. Die siebente Bitte des Vaterunser: »Und erlöse uns von dem
Bösen« ist dabei in dem Sinne zu verstehen, welcher der Bitte
Christi in Gethsemane: »Wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch
an mir vorübergehen«, zugrunde liegt. Im Prinzip scheint es nämlich
nicht der Absicht Gottes zu entsprechen, den Menschen mit dem
Konflikt und so mit dem Bösen zu verschonen. Es ist daher zwar
menschlich, einen derartigen Wunsch auszusprechen, aber er darf nicht
zum Prinzip erhoben werden, weil er sich gegen den göttlichen Willen
richtet und nur auf menschlicher Schwäche und Furcht beruht.
Letztere ist allerdings in gewissem Sinne berechtigt, denn, um den
Konflikt zu vervollständigen, muss der Zweifel und die Unsicherheit
bestehen, ob nicht der Mensch am Ende überfordert werde.
Weil das Gottesbild die
ganze menschliche Sphäre durchdringt und von der Menschheit
unwillkürlich dargestellt wird, so wäre es nicht undenkbar, dass
das seit 400 Jahren bestehende Schisma in der Kirche sowohl
wie die heutige Zweigeteiltheit der politischen Welt die nicht
anerkannte Gegensätzlichkeit des beherrschenden Archetypus
ausdrückt. -- Das Gottesbild durchdringt
nicht die ganze menschliche Sphäre, sondern nur einen Teil davon,
der nicht einmal der größere Teil ist. --
Die traditionelle
Auffassung des Erlösungswerkes entspricht einer einseitigen
Betrachtungsweise, ob wir diese nun als rein menschlich oder als von
Gott: gewollt bezeichnen. Die andere Ansicht, welche das
Versöhnungswerk nicht als das Abtragen einer menschlichen Schuld an
Gott, sondern vielmehr als die Wiedergutmachung eines göttlichen
Unrechtes am Menschen betrachtet, haben wir oben skizziert. Letztere
Auffassung scheint mir den tatsächlichen Machtverhältnissen besser
angepasst zu sein. Das Schaf kann zwar das Wässerlein für den Wolf
trüben, aber diesem keinen anderen Schaden antun. So kann das
Geschöpf zwar den Schöpfer enttäuschen, aber es ist kaum
glaublich, dass es ihm qualvolles Unrecht anzutun vermöchte.
Letzteres liegt nur in der Macht des Schöpfers dem machtlosen
Geschöpf gegenüber. Damit wird allerdings der Gottheit ein Unrecht
imputiert (Anm.: jemand etwas anrechnen, schuldgeben), was aber kaum
schlimmer aussieht, als das, was man ihr zumutet, wenn man annimmt,
dass es, nur um den Zorn des Vaters zu beschwichtigen, nötig sei,
den Sohn am Kreuz zu Tode zu martern. Was ist das für ein Vater, der
lieber den Sohn abschlachtet, als dass er seinen übelberatenen und
von seinem Satan verführten Geschöpfen großmütig verzeiht? Was
soll mit diesem grausamen und archaischen Sohnesopfer demonstriert
werden? Etwa die Liebe Gottes? Oder seine Unversöhnlichkeit? Wir
wissen aus Gen. XXII und Exod. XXII, 29, dass Jahwe eine Tendenz hat,
solche Mittel, wie Tötung des Sohnes und der Erstgeburt, entweder
als Test oder zur Geltendmachung seines Willens anzuwenden, obschon
seine Allwissenheit und seine Allmacht derart grausame Prozeduren gar
nicht nötig haben, und überdies den Mächtigen auf der Erde damit
ein schlechtes Beispiel gegeben wird. Es ist begreiflich, dass ein
naiver Verstand Neigung bekundet, vor solchen Fragen Reißaus zu
nehmen und diese Notmaßnahme als sacrificium intellectus zu
beschönigen. -- Wieder diese Präpotenz von
Jung. Aber ich habe einen groben Keil für diesen groben Klotz: Es
benötigt schon einen naiven Verstand, alle diese Geschichten für
wortwörtliche Wahrheiten zu nehmen. Manchmal habe ich den Eindruck,
dass Jung zu jener Spezies Mensch gehört, die es auch heute noch
gibt, die annehmen, dass die bloße Tatsache des Aufgeschrieben-Seins
so etwas wie einen Wahrheitsanspruch hätte. Unter dem Gesichtspunkt
des Wahrheitsanspruchs müssten zahllose Bibliotheksinhalte verbrannt
werden. -- Zieht er es also vor, den 89sten Psalm nicht zu
lesen, d. h. mit anderen Worten, sich zu drücken, so wird es damit
nicht sein Bewenden haben. Wer einmal unterschlägt, wird es wieder
tun und zwar bei der Selbsterkenntnis. Letztere aber wird in der
Gestalt der Gewissenserforschung von der christlichen Ethik
gefordert. Es waren sehr fromme Leute, welche behaupteten, dass
Selbsterkenntnis den Weg zur Gotteserkenntnis bereite. --
Dass Selbsterkenntnis etwas mit Gotteserkenntnis zu tun hat ist
natürlich dem
gläubigen Christen, Juden oder Muslim ebenso selbstverständlich wie
dem gläubigen Buddhisten der Dharmabezug der Selbsterkenntnis oder
dem Hindu das Weltgesetz oder einer seiner
Gottheiten.
Selbsterkenntnis
ist kein Akt des Denkens, sondern im Gegenteil das Hintanstellen des
Denkens und Fühlens im Stille-Werden. Stille-Werden heißt aber
auch, alles EGO hintanzustellen und sich damit dem Lauf des
Geschehens zu überlassen. Monotheisten setzen an diese Stelle hinter
dem Schweigen Gott ein, da dort das eigene Wollen und Denken aus der
Hand gegeben ist und alles, was geschieht außerhalb jeder bewussten
Steuerung liegt und jeder Steuerungsversuch dieses Dasein hinter dem
Schweigen verschwinden lässt. Zugleich aber sind wir dort alles, was
wir sonst auch sind mit all unseren menschlichen Schwächen und
Problemen. Er ist nur nicht mehr so wichtig, weil wir uns aus der
Hand gegeben haben. Und Demut ist dort keine Willensakrobatik oder
Unterwerfung, sondern ganz selbstverständlich. Und nichts muss mehr
erklärt werden, weil alles klar ist. --
XI
Der Glaube an Gott als
das Summum Bonum ist einem reflektierenden Bewusstsein unmöglich. Es
fühlt sich keineswegs von der Gottesfurcht erlöst und fragt sich
daher mit Recht, was ihm Christus eigentlich bedeute. Das ist in der
Tat die große Frage: kann Christus heute überhaupt noch
interpretiert werden? Oder muss man sich mit der historischen Deutung
begnügen?
Eines lässt sich wohl
nicht bezweifeln: Christus ist eine höchst numinose Figur. Damit
steht die Deutung als Gott und Gottessohn im Einklang. Die alte
Anschauung, die auf seine eigene Auffassung zurückgeht, behauptet,
dass er zur Errettung des von Gott bedrohten Menschen in die Welt
gekommen, gelitten habe und gestorben sei. Außerdem bedeute seine
leibliche Auferstehung, dass alle Gotteskinder dieser Zukunft gewiss
seien.
Wir haben bereits zur
Genüge darauf hingewiesen, wie seltsam sich die Rettungsaktion
Gottes ausnimmt. Er tut ja in der Tat nichts anderes, als dass er
selber in der Gestalt seines Sohnes die Menschheit vor sich selber
errettet. Dieser Gedanke ist so skurril wie die alte rabbinische
Anschauung von Jahwe, der die Gerechten vor seinem Zorn unter seinem
Thron verbirgt, wo er sie nämlich nicht sieht. Es ist geradezu so,
als ob Gottvater ein anderer Gott wäre, als der Sohn, was aber
keineswegs die Meinung ist. Es besteht auch keine psychologische
Notwendigkeit zu einer derartigen Annahme, denn die unzweifelhafte
Unreflektiertheit des göttlichen Bewusstseins genügt zur Erklärung
seines merkwürdigen Verhaltens. Mit Recht gilt darum die
Gottesfurcht als der Anfang aller Weisheit. Auf der anderen Seite
darf man die hochgepriesene Güte, Liebe und Gerechtigkeit Gottes
nicht als bloße Propitiierung auffassen, sondern man muss sie als
genuine Erfahrung anerkennen, denn Gott ist eine coincidentia
oppositorum (Anm.: Zusammenfall der Gegensätze). Beides ist
berechtigt: die Furcht vor und die Liebe zu Gott. --
Der Mensch ist eine coincidentia oppositorum. Tatsächlich enthält
jeder Mensch alle Gegensätzlichkeiten in sich und muss damit leben
und sich je nach Situation entscheiden. Es gibt nicht DEN guten oder
DEN schlechten Menschen, außer man lügt sich hoffnungslos in die
eigene Tasche. Selbst sogenannte „erleuchtete“ Menschen oder wie
ich es aus rationalen Gründen viel lieber bezeichne, Menschen mit
der Erfahrung hinter dem Schweigen sind nur sicher über das je Gute
und das je Schlechte und das ist kein allgemeines theoretisches
Axiom, sondern eine sich je einstellende Gewissheit im Handeln. Ich
meine, dass es wichtig ist, dies so zu sagen, da so viele westliche
und auch östliche Menschen den Begriff Erleuchtung „mystisch
umwolken“, sodass zum Schluss nur verrückte Vorstellungen
überbleiben, obwohl sogar die alten Meister sich da sehr oft sehr
klar geäußert haben und insbesondere die Zenmeister auf solche
Vorstellungen mit Prügeln, Zurückweisung oder Spott geantwortet
haben. Aus dieser Warte sind viele so diffizile Überlegungen von
Jung in dieser Schrift nichts als „Scheiße kneten“.--
Einem
differenzierteren Bewusstsein muss es auf die Dauer schwer ankommen,
einen Gott als gütigen Vater zu lieben, den man wegen seines
unberechenbaren Jähzorns, seiner Unzuverlässigkeit, Ungerechtigkeit
und Grausamkeit fürchten muss. --
Anthropomorphie -- Dass
der Mensch allzumenschliche Inkonsequenzen und Schwächen an seinen
Göttern nicht schätzt, hat der Verfall der antiken Götter zur
Genüge bewiesen. So hat wohl auch die moralische Niederlage Jahwes
Hiob gegenüber ihre geheimen Folgen gehabt: einerseits die
unbeabsichtigte Erhöhung des Menschen, andererseits eine
Beunruhigung des Unbewussten. Erstere Wirkung bleibt zunächst eine
bewusst nicht realisierte, bloße Tatsache, welche aber vom
Unbewussten registriert wurde. Das ist mit ein Grund für die
Beunruhigung des Unbewussten, denn es erhält dadurch eine gegenüber
dem Bewusstsein erhöhte Potenzialität: im
Unbewussten ist der Mensch dann mehr als im Bewusstsein. Unter
diesen Umständen entwickelt sich ein Gefälle vom Unbewussten zum
Bewusstsein hin, und ersteres bricht in Gestalt von Träumen,
Visionen und Offenbarungen in letzteres ein. Leider ist eine
Datierung von Hiob unsicher. Er fällt, wie erwähnt, in die
Zeitspanne von 600-300
a. Chr. n. In der
ersten Hälfte des VI. Jahrhunderts tritt Ezechiel auf
(Seine Berufungsvision fallt auf das Jahr 592), der Prophet mit den
sog. »pathologischen« Zügen, womit in laienhafter Weise seine
Visionen gekennzeichnet werden. Als Psychiater muss ich ausdrücklich
hervorheben, dass die Vision und ihre Begleiterscheinungen nicht
unkritisch als krankhaft bewertet werden dürfen. Sie ist, wie der
Traum, ein zwar seltenes aber natürliches Vorkommnis und darf nur
dann als »pathologisch« bezeichnet werden, wenn ihre krankhafte
Natur erwiesen ist. Rein klinisch betrachtet sind die Visionen
Ezechiels von archetypischer Natur und in keinerlei Weise krankhaft
verzerrt. Es besteht kein Anlass, sie für pathologisch anzusehen
(Es ist überhaupt ein Irrtum anzunehmen, eine Vision sei eo ipso
krankhaft. Sie kommt als Phänomen bei Normalen zwar nicht häufig,
aber auch nicht zu selten vor). Sie bilden ein Symptom dafür, dass
damals ein vom Bewusstsein einigermaßen getrenntes Unbewusstes
bereits vorhanden war. Das erste große Gesicht besteht in zwei
wohlgeordneten und zusammengefassten Quaternitäten, d.h.
Ganzheitsvorstellungen, wie wir sie auch heute noch vielfach als
spontane Phänomene beobachten. Ihre quinta essentia ist dargestellt
durch eine »Gestalt, wie ein Mensch anzusehen«. Ezechiel hat hier
den wesentlichen Inhalt des Unbewussten geschaut, nämlich die Idee
des höheren Menschen, vor
dem Jahwe moralisch unterlag und zu dem er später werden wollte.
Ein sozusagen
gleichzeitig in Indien auftretendes Symptom derselben Tendenz ist
Gotamo Buddha (geb. 162 a. Chr. n.), welcher der maximalen
Differenzierung des Bewusstseins die Suprematie (Anm.
Machtvollkommenheit) auch über die höchsten Brahmagötter zusprach.
Diese Entwicklung stellt eine logische
Konsequenz aus der Purusha-Atmanlehre dar und stammt aus der inneren
Erfahrung der Yogapraxis.
Ezechiel hat die
Annäherung Jahwes an den Menschen im Symbol erfasst, was Hiob zwar
erlebt, aber wahrscheinlich nicht gewusst hat; nämlich dass sein
Bewusstsein höher steht als dasjenige Jahwes, und dass infolge
dessen Gott Mensch werden will. Zudem tritt bei Ezechiel zum ersten
Mal der Titel »Menschensohn« auf, mit dem Jahwe bezeichnenderweise
den Propheten anredet und damit vermutlich andeutet, dass er ein Sohn
des »Menschen« auf dem Throne ist; eine Präfiguration der viel
späteren Christusoffenbarung! Mit größtem Recht daher sind die
vier Seraphim des Gottesthrones zu den Evangelistenemblemen geworden,
denn sie bilden die Quaternität, welche die Ganzheit Christi
ausdrückt, wie die Evangelien die vier Säulen seines Thrones
darstellen.
Die Beunruhigung des
Unbewussten dauert mehrere Jahrhunderte lang an. Daniel (um 165 a.
Chr. n.) hat ein Gesicht mit vier Tieren und dem »Hochbetagten«
(dem »Alten der Tage«), »zu dem mit den Wolken des Himmels einer
kam, der einem Menschensohn gliche. Hier ist der »Menschensohn«
nicht mehr der Prophet, sondern, unabhängig von diesem, ein Sohn des
»Hochbetagten«, dem die Aufgabe zukommt, den Vater zu verjüngen.
Ausführlicher ist das um
100 a. Chr. n. zu datierende Buch Henoch. Es gibt uns
einen aufschlussreichen Bericht über jenen präfigurierenden Vorstoß
der Gottessöhne in die Menschenwelt, welchen man als »Engelsturz«
bezeichnet hat. Während nach der Genesis Jahwe damals beschloss,
dass sein Geist nicht mehr, wie bisher, viele hundert Jahre im
Menschen auf Erden leben sollte, verliebten sich die Gottessöhne
(kompensatorisch!) in die schönen Menschentöchter. Das geschah zu
der Zeit der Riesen. Henoch weiß, dass 200 Engel unter Anführung
des Semjasa auf die Erde herunterstiegen, nachdem sie sich
untereinander verschworen hatten, Menschentöchter zu Weibern nahmen
und mit diesen 3000 Ellen lange Riesen zeugten. Die Engel,
unter denen sich Asasel besonders auszeichnete, lehrten den Menschen
Wissenschaften und Künste. Sie erwiesen sich als besonders
fortschrittliche Elemente, welche das menschliche Bewusstsein
erweiterten und entwickelten, wie schon der böse Kain gegenüber
Abel den Fortschritt repräsentiert hatte. Sie vergrößerten dadurch
die Bedeutung des Menschen ins »Riesenhafte«, was auf eine
Inflation des damaligen Kulturbewusstseins hindeutet. Eine Inflation
ist aber immer von einem Gegenschlag des Unbewussten bedroht, der
dann auch in der Gestalt der Sintflut eintrat. Zuvor aber
»verzehrten« die Riesen »den Erwerb der Menschen“ und begannen
sodann diese selber aufzufressen, während die Menschen ihrerseits
die Tiere auffraßen, so dass »die Erde sich über die Ungerechten
beklagte«.
Die Invasion der
Menschenwelt durch die Gottessöhne hatte also bedenkliche Folgen,
welche die von Jahwe ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen vor seinem
,eigenen Erscheinen in der Menschenwelt um so begreiflicher machen.
Der Mensch war eben der göttlichen Übermacht nicht von ferne
gewachsen. Es ist nun von höchstem Interesse, zu verfolgen, wie sich
Jahwe in dieser Angelegenheit verhielt. Es handelte sich, wie das
spätere drakonische Urteil beweist, um eine nicht unwesentliche
Affäre in der himmlischen Ökonomie, als nicht weniger als 200
Gottessöhne den väterlichen Hofstaat verließen, um auf eigene
Faust in der Menschenwelt zu experimentieren. Man sollte annehmen,
dass dieser Exodus en masse sofort ruchbar geworden wäre (ganz
abgesehen von der göttlichen Allwissenheit). Aber nichts dergleichen
geschah. Erst nachdem die Riesen schon längst gezeugt und bereits
daran waren, die Menschen totzuschlagen und aufzufressen, hörten,
wie zufällig, vier Erzengel das Klagegeschrei der Menschen und
entdeckten nun, was auf Erden geschah. Man weiß wirklich nicht,
worüber man sich mehr wundern soll, über die lose Organisation der
Engelchöre oder über die mangelhafte Information im Himmel. Sei
dem, wie ihm wolle, diesmal fühlten sich die Erzengel doch
veranlasst, mit folgender Rede vor Gott zu treten: »Alles ist vor
Dir aufgedeckt und offenbar; Du siehst alles, und nichts kann sich
vor Dir verbergen. Du hast gesehen, was Asasel getan hat, wie er
allerlei Ungerechtigkeit auf Erden gelehrt und die himmlischen
Geheimnisse der Urzeit geoffenbart hat . . . Die Beschwörungen hat
Semjasa gelehrt, dem Du die Vollmacht gegeben hast, die Herrschaft
über seine Genossen zu üben .. . Du aber weißt alles, bevor es
geschieht. Du siehst dies und lässest sie gewähren und sagst
nicht, was wir deswegen mit ihnen tun sollen.«
Entweder ist das, was die
Engel sagen, gelogen, oder Jahwe hat aus seiner Allwissenheit
unbegreiflicherweise keine Schlüsse gezogen, oder die Engel müssen
ihn daran erinnern, dass er es wieder einmal vorgezogen hat, von
seiner Allwissenheit nichts zu wissen. Auf alle Fälle löst erst
ihre Intervention eine umfassende Racheaktion aus, aber keine
wirklich gerechte Strafe, denn er ersäuft gleich die ganze lebendige
Kreatur mit Ausnahme von Noah und dessen Angehörigen. Dieses
Intermezzo beweist, dass die Gottessöhne irgendwie vigilanter
(Anmerkg.: aufgeweckt, flink, frisch, gewandt, hurtig, munter, wach),
fortschrittlicher und bewusster als ihr Vater sind. Umso höher ist
die spätere Wandlung Jahwes zu veranschlagen. Die Vorbereitungen zu
seiner Inkarnation machen tatsächlich den Eindruck, dass er aus der
Erfahrung gelernt hat und bewusster zu Werke geht als früher. Zu
dieser Bewusstseinsvermehrung trägt unzweifelhaft die
Wiedererinnerung an die Sophia bei. Parallel damit wird auch die
Offenbarung der metaphysischen Struktur expliziter. Wahrend wir bei
Ezechiel und Daniel nur Andeutungen über die Quaternität und den
Menschensohn finden, gibt Henoch ausführliche und klare Berichte in
dieser Hinsicht. Die Unterwelt, eine Art Hades, ist in vier Räume
geteilt, welche zum Aufenthalt der Totengeister bis zum Endgericht
dienen. Drei dieser Räume sind dunkel, und einer ist hell und
enthält eine »helle Wasserquelle«. Das ist der Raum für die
Gerechten.
Mit Aussagen dieser Art
gerät man in ein ausgesprochen psychologisches Gebiet, nämlich in
die Mandalasymbolik, wohin auch die Proportionen 1:3 und 3:4
gehören. Der viergeteilte Hades des Henoch entspricht einer
chthonischen Quaternität, die man wohl stets als im Gegensatz zu
einer pneumatischen oder himmlischen stehend vermuten darf. Erstere
entspricht in der Alchemie dem Elementenquaternio, letztere einem
vierfachen, d. h. ganzheitlichen Aspekt der Gottheit, wie z. B.
Barbelo, Kolorbas, Mercurius quadratus oder die viergesichtigen
Götter andeuten.
In der Tat erblickt
Henoch die vier »Gesichter« Gottes. Drei davon beschäftigen sich
mit Lobpreisen, Beten und Bitten, das vierte aber »wehrte die Satane
ab und gestattete ihnen nicht, vor den Herrn der Geister zu treten,
um die Bewohner des Festlandes anzuklagen«.
Die
Vision stellt eine wesentliche Differenzierung des Gottesbildes dar:
Gott hat vier Gesichter, bzw. vier Engel des Angesichtes, d. h. vier
Hypostasen oder Emanationen, wovon die eine ausschließlich damit
beschäftigt ist, den in eine Mehrzahl verwandelten Gottessohn
älteren Datums, Satan, in Übereinstimmung mit unserer obigen
Konstatierung, von Gott fernzuhalten und weitere Experimente im Stile
des Hiobbuches zu verhindern.
Noch befinden sich die
Satane im himmlischen Bereich, denn der Sturz Satans ist: noch nicht
eingetreten. Die oben erwähnten Proportionen sind auch hier dadurch
angedeutet, dass drei Engel heilige, bzw. wohltätige Funktionen
ausüben, der vierte aber ist streitbar, denn er muss Satan abwehren.
Diese
Quaternität ist ausgesprochen pneumatischer Natur, daher durch Engel
ausgedrückt, die meist als gefiederte Wesen vorgestellt werden, also
als Luftwesen, was hier darum besonders wahrscheinlich ist, als sie
von den vier Seraphim des Ezechiel abstammen dürften.
Die Verdoppelung und Trennung der Quaternität in eine obere und eine
untere weist auf eine bereits eingetretene metaphysische Spaltung
hin, ebenso wie die Fernhaltung der Satane vom himmlischen Hofe. Die
pleromatische (Anm. (griech.,
"Fülle"), bei den Gnostikern Glanz-, Lichtmeer, als Sitz
der Gottheit)
Spaltung
ihrerseits aber stellt das Symptom einer weit tiefer gehenden
Spaltung im göttlichen Willen dar: der Vater will Sohn, Gott Mensch,
der Amoralische ausschließlich gut und der Unbewusste bewusst
verantwortlich werden. Aber all dies befindet sich erst in statu
nascendi.
Das Unbewusste Henochs
ist davon gewaltig erregt und offenbart seine Inhalte in
apokalyptischen Visionen. Zudem veranlasst es ihn zur »peregrinatio«,
zur Reise nach den vier Himmelsgegenden und zur Mitte der Erde, womit
er selber durch seine Bewegungen ein Mandala zeichnet, in
Übereinstimmung mit den »Reisen« der alchemistischen Philosophen
und den entsprechenden Phantasien des modernen Unbewussten.
Als Jahwe den Ezechiel
mit »Menschensohn« anredete, so war dies .zunächst nicht mehr als
eine dunkle und unverständliche Andeutung. Hier aber wird es klar:
Henoch, der Mensch, ist nicht nur Empfänger göttlicher Offenbarung,
sondern er wird zugleich in das göttliche Drama miteinbezogen, wie
wenn er zum mindesten einer der Gottessöhne wäre. Man kann dies
wohl nicht anders verstehen, als dass im gleichen Maße, in dem Gott
Mensch zu werden sich anschickt, der Mensch in das pleromatische
Geschehen eingetaucht, sozusagen darin getauft und der göttlichen
Quaternität teilhaft gemacht (d. h. mit Christus gekreuzigt) wird.
Darum wird noch heute bei dem Ritus der benedictio fontis
(Taufwasserweihe) das Wasser durch die Hand des Priesters kreuzweise
geteilt und davon etwas nach den vier Himmelsgegenden ausgeschüttet.
Henoch erweist sich als
dermaßen vom göttlichen Drama ergriffen und beeinflusst, dass man
von ihm ein ganz besonderes Verständnis der kommenden
Gottesinkarnation beinahe voraussetzen kann: der bei dem
»Hochbetagten« befindliche »Menschensohn« sieht einem Engel (d.
h. einem der Gottessöhne) gleich. Er »hat die Gerechtigkeit«; »bei
ihm wohnt die Gerechtigkeit«; der Herr der Geister hat ihn
»auserwählt«; »sein Los hat alles durch Rechtschaffenheit
übertroffen.« Es ist wohl kein Zufall, dass gerade die
Gerechtigkeit so sehr hervorgehoben wird, denn sie ist jene
Eigenschaft, deren Jahwe ermangelt, was einem Manne wie dem Verfasser
des Buches Henoch kaum verborgen geblieben ist. Unter der Herrschaft
des Menschensohnes wird »das Gebet des Gerechten« erhört, und das
Blut des Gerechten vor dem Herrn der Geister gerächt«. Henoch
erblickt einen »Brunnen der Gerechtigkeit, der unerschöpflich war«.
Der Menschensohn »wird ein Stab für die Gerechten und Heiligen
sein«. »Zu diesem Zwecke war er auserwählt und verborgen vor ihm
(Gott), bevor die Welt geschaffen wurde, und (er wird) bis in
Ewigkeit vor ihm (sein). Die Weisheit des Herrn der Geister hat ihn .
. . geoffenbart, denn er bewahrt das Los der Gerechten.« »Denn
Weisheit ist wie Wasser ausgegossen ...«. »Denn er ist mächtig
über alle Geheimnisse der Gerechtigkeit, und Ungerechtigkeit wird
wie ein Schatten vergehen.« »In ihm wohnt der Geist der Weisheit
und der Geist dessen, der Einsicht gibt, und der Geist der Lehre und
Kraft ...«
Unter
der Herrschaft des Menschensohnes wird »die Erde die, welche in ihr
angesammelt sind, zurückgeben und auch die Scheol wird wiedergeben,
was sie empfangen hat, und die
Hölle wird,
was sie schuldet, herausgeben«. »Der Auserwählte wird in jenen
Tagen auf meinem Throne sitzen, und alle Geheimnisse der Weisheit
werden aus den Gedanken seines Mundes hervorkommen.« »Alle werden
Engel im Himmel werden.« Asasel und seine Scharen werden in den
Feuerofen geworfen, weil »sie dem Satan untertan wurden und die
Erdenbewohner verführten«.
In der Endzeit hält der
Menschensohn Gericht über alle Geschöpfe. Sogar »die Finsternis
wird vernichtet« und »unaufhörlich wird das Licht sein«. Selbst
die beiden großen Beweisstücke Jahwes müssen dran glauben: der
Leviathan und der Behemoth werden zerteilt und aufgegessen. An dieser
Stelle (60, 10) wird Henoch vom offenbarenden Engel mit dem Titel
»Menschensohn« angesprochen; ein Anzeichen mehr dafür, dass er,
ähnlich wie Ezechiel, vom göttlichen Mysterium assimiliert, bzw. in
dasselbe einbezogen wird, was übrigens schon die bloße Tatsache,
dass er Zeuge desselben ist, andeutet. Henoch wird entrückt und
nimmt seinen Sitz im Himmel ein. Im »Himmel der Himmel« sieht er
das Haus Gottes aus Kristall, das von Feuer umströmt und von den nie
schlafenden gefiederten Wesen bewacht ist. Der »Betagte« mit der
Quaternität (Michael, Gabriel, Raphael, Phanuel) tritt heraus und
spricht zu ihm: »Du bist der Mannessohn, der zur Gerechtigkeit
geboren wird; Gerechtigkeit wohnt über dir und die Gerechtigkeit des
betagten Hauptes verlässt dich nicht.«
Es ist bemerkenswert,
dass der Menschensohn und seine Bedeutung immer wieder mit der
Gerechtigkeit zusammengebracht wird. Sie scheint ein Leitmotiv und
Hauptanliegen zu sein. Nur wo Ungerechtigkeit droht oder schon
geschehen ist, hat eine derartige Betonung der Gerechtigkeit einen
Sinn. Niemand, nur Gott, kann in nennenswerter Weise Gerechtigkeit
austeilen und gerade in Bezug auf ihn besteht berechtigterweise die
Furcht, er möchte seine Gerechtigkeit vergessen. In diesem Falle
würde dann sein gerechter Sohn bei ihm für die Menschen eintreten.
So werden »die Gerechten Frieden haben«. Die Gerechtigkeit, die
unter dem Sohn herrschen wird, ist dermaßen hervorgehoben, dass der
Eindruck entsteht, als ob früher unter der Herrschaft des Vaters das
Unrecht den Vorrang gehabt hätte, und erst mit dem Sohne ein
Zeitalter des Rechtes angebrochen wäre. Es scheint, als ob Henoch
hiermit auf Hiob unbewusst Antwort gäbe.
Die Betonung des Alters
Gottes hängt logisch mit der Existenz eines Sohnes zusammen,
insinuiert aber auch den Gedanken, dass er etwas in den Hintergrund
treten und dem Sohne die Regierung der Menschenwelt mehr und mehr
überlassen werde, woraus eine gerechtere Ordnung erhofft wird. Man
sieht aus alledem, dass irgendwo ein seelisches Trauma, die
Erinnerung an eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, nachwirkt und
das Vertrauensverhältnis zu Gott trübt. Gott selber will einen Sohn
haben, und man wünscht sich einen Sohn, dass er den Vater ersetze.
Dieser Sohn muss, wie wir zur Genüge sehen, unbedingt gerecht
sein und dies vor allen anderen Tugenden. Gott und Mensch wollen
der blinden Ungerechtigkeit entgehen.
Henoch
erkennt sich in der Ekstase als Menschensohn bzw. Gottes Sohn,
obschon ihn weder Geburt noch Vorbestimmung ausersehen zu haben
scheinen. Er erlebt
jene göttliche Erhöhung, die wir bei Hiob bloß vermuteten, bzw.
als unvermeidlich erschlossen. Hiob selbst ahnt etwas derartiges,
wenn er bekennt: »Ich weiß, dass mein Anwalt lebt.« Diese höchst
merkwürdige Äußerung kann sich, unter den damaligen Umständen,
nur auf den gütigen Jahwe beziehen. Die traditionelle christliche
Deutung dieser Stelle als einer Antizipation Christi besteht aber
insofern zu Recht, als Jahwes wohlwollender Aspekt als eigene
Hypostase sich im Menschensohn inkarniert, und dieser sich bei Henoch
als ein Vertreter der Gerechtigkeit und im Christentum als
Rechtfertiger des Menschen erweist. Zudem ist der Menschensohn
präexistent, darum kann sich Hiob wohl auf ihn berufen. Wie der
Satan die Rolle des Anklägers und Verleumders, so spielt Christus,
der andere Gottessohn, die Rolle des Anwaltes und Verteidigers.
Trotz Widerspruch hat man
begreiflicherweise in diesen messianischen Vorstellungen Henochs
christliche Interpolationen sehen wollen. Aus psychologischen Gründen
scheint mir dieser Verdacht aber ungerechtfertigt zu sein. Man sollte
sich nur Rechenschaft darüber geben, was die Ungerechtigkeit, ja
Amoralität Jahwes einem frommen Denker bedeuten musste! Es war ein
allerschwerstes Stück, mit einer derartigen Gottesvorstellung
belastet zu sein. Noch ein spätes Zeugnis erzählt uns von einem
frommen Menschen, der nie den 89sten Psalm lesen konnte, »weil er
ihm zu schwer fiel«. Wenn man berücksichtigt, mit
welcher Intensität und Ausschließlichkeit nicht nur die Lehre
Christi, sondern auch die Kirchenlehre der nachfolgenden Jahrhunderte
bis auf den heutigen Tag die Güte des liebenden Vaters im Himmel,
die Erlösung von der Angst, das Summum Bonum und die privatio boni
vertraten, so kann man daraus ermessen, welche Inkompatibilität die
Gestalt Jahwes bedeutet, und wie unerträglich eine derartige
Paradoxie dem religiösen Bewusstsein erscheint. Dem war wohl schon
immer so seit den Tagen Hiobs.
Die innere Instabilität
Jahwes ist Voraussetzung nicht nur der Weltschöpfung, sondern auch
des pleromatischen Dramas, dessen tragischen Chor die Menschheit
bildet. Die Auseinandersetzung mit der Kreatur wandelt den Schöpfer.
In den alttestamentlichen Schriften finden wir vom VI. Jahrhundert an
in zunehmendem Maße die Spuren dieser Entwicklung. Die beiden ersten
Hauptpunkte bilden die Hiobstragödie einerseits und die Offenbarung
des Ezechiel andererseits. Hiob ist der ungerecht Leidende, Ezechiel
aber schaut die Vermenschlichung und Differenzierung Jahwes, und
durch die Anrede »Menschensohn« wird ihm bereits angedeutet, dass
die Inkarnation und Quaternität Gottes sozusagen das pleromatische
Vorbild dafür sei, was dem Menschen schlechthin, nicht bloß dem
seit Ewigkeit vorgesehenen Gottessohn, durch die Wandlung und
Menschwerdung Gottes geschehen werde. Dies erfüllt sich in
intuitiver Vorwegnahme bei Henoch. Er wird ekstatisch zum
Menschensohn im Pleroma, und seine Entrückung auf dem Wagen (wie
Elias) präfiguriert die Totenauferstehung. Zur Erfüllung seiner
Rolle als Gerechtigkeitswalter muss er ja in Gottes unmittelbare Nähe
gelangen und als präexistenter Menschensohn ist er dem Tode nicht
mehr unterworfen. Insofern er aber gewöhnlicher Mensch und daher an
sich sterblich war, so kann auch anderen Sterblichen so gut als ihm
das Schauen Gottes zustoßen, und sie können ihres Erretters bewusst
und damit unsterblich werden.
Alle diese Ideen hätten
schon damals auf Grund der bestehenden Voraussetzungen bewusst werden
können, wenn nur jemand etwas ernstlich darüber nachgedacht hätte.
Dazu brauchte es keine christlichen Interpolationen. Das Buch Henoch
antizipierte in großem Stile, aber alles hing noch in der Luft als
bloße Offenbarung, die nirgends den Boden erreichte. Man kann
Anbetrachts dieser Tatsachen beim besten Willen nicht einsehen, wieso
das Christentum, wie man immer wieder hören kann, als absolutes
Novum in die Weltgeschichte eingebrochen sei. Wenn etwas je
historisch vorbereitet und von den schon bestehenden Anschauungen der
Umwelt getragen und unterstützt war, so bildet das Christentum
hiefür ein schlagendes Beispiel.
--
Hier ist die Frage zu stellen, ob Jung sich nicht in einer Geschichte
verirrt, der ausschließlich er Realität zuweist. Sie wird erst
durch seine Darstellung zu einem realen Geschehen. Das Buch Hennoch
kann vor dem Erfahrungshintergrund des 20. Jahrhunderts bestenfalls
als Phantasie bezeichnet werde, deren Genese unter Beachtung der
Randbedingungen ihrer Entstehungszeit durchaus verständlich ist.
Jung verirrt sich hier offensichtlich in einer Zusammenschau von
Geschichte(n), deren einziges Verbindungsglied die Interpretation
durch ihn selbst, Jung, ist. Er generiert also Realität, die ihn
unbedingt benötigt, um solche zu sein.---
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