Noch viel mehr Zeit ist vergangen seit dem letzten Quaseln, 26. Mai 2012
Habe gestern einen Artikel in der Presse gefunden. Hier der Link.
Diesen Artikel kopiere ich auch hierher, da ich nicht weiß wie lange der Link verfügbar ist. Ich habe mich über einige Aussagen des in dem Artikel interviewten Prof. Williams geärgert und habe einen Leserbrief an die Presse geschrieben, um meinen entgegengesetzte Position darzustellen. Da ich aufgrund der Länge des Briefes nicht davon ausgehe, dass er abgedruckt wird, ist er als Antwort im Anschluss an den Artikel widergegeben.
Artikel:
Paul Williams: Der Buddhismus ist hoffnungslos
24.05.2012 | 18:22 | Von Anne-Catherine Simon (Die Presse)
Der Buddhismus-Forscher Paul Williams erklärt, warum der Dalai-Lama die christliche Tugend bewundert, welchen Missverständnissen der Westen aufsitzt und warum eine erleuchtete Person nicht liebesfähig ist.
Die Presse: Was sind die größten Missverständnisse über den Buddhismus im Westen?
Williams: Dass er einfach eine Religion der Erfahrung und ruhiger Kontemplation ist, die wenig oder keinen Glauben erfordert. Oder dass Buddhisten so viel meditieren; tatsächlich ist Meditation ziemlich selten. Oder dass der Buddhismus keine ethischen Anforderungen stellt. Oder dass alle buddhistischen Lehrer spirituelle oder „heilige" Menschen sind - es gab schon viele Skandale rund um buddhistische Lehrer. Aber das vielleicht größte Missverständnis ist, dass der Buddhismus eine ganz friedliche Religion ist.
Sie sagten einmal, der Dalai Lama sage bei seinen Besuchen im Westen nur, was die Leute hören wollen ...
Williams: Er kann sehr gut in den kulturellen Begriffen der Menschen sprechen, die ihm zuhören. Tatsächlich ist dieser geschickte Einsatz der Mittel, der auf Sanskrit „upayakaushalya" genannt wird, im Buddhismus des Dalai Lama eine besondere Errungenschaft. Wer sich nicht sehr lange damit beschäftigt hat, kann kaum verstehen, was der Dalai Lama wirklich meint. Ich habe selbst gehört, wie er einer Gruppe von Christen erklärte, dass er an einen liebenden Gott glaube. Aber das, was der Dalai Lama mit dem Wort „Gott" beschrieb, war sehr weit von dem entfernt, was diese christlichen Theologen damit gemeint hätten.
Wie charakterisieren Sie ihn?
Williams: Er ist sehr klug, aus einer vollkommen anderen Welt kommend, tief vertraut mit seiner tibetischen Tradition und in vielem extrem traditionell. Der Schlüssel zu ihm ist die Sorge um das Überleben des tibetischen Volkes und seiner Religion. Hinter seinen Besuchen, seinem Lachen mit den westlichen Menschen steht immer nur eins: „Wie wird diese Situation, wie werden diese Leute der Sache des tibetischen Volkes dienen?" Auch deswegen sagt er in verschiedenen Umgebungen verschiedene Dinge. Dem Dalai Lama geht es nicht um den Westen, es geht ihm nur um Tibet.
Der Dalai Lama sagt den Menschen hier, sie sollen Christen bleiben, warum?
Williams: Er kennt das Christentum nicht gut und scheint sich auch nicht sehr dafür zu interessieren. Ich glaube, er hält die christliche Philosophie für nicht so hochstehend. Aber eines bewundert er: die Geschichte christlicher Tugend. Da wir in diesem Leben sowieso nicht erleuchtet werden, ist der christliche Glaube für den Dalai Lama ein nützlicher Weg, tugendhaft zu sein - und somit eine günstige Wiedergeburt zu erlangen. Nach vielen Leben, denkt er, werden die Menschen dann vielleicht zum Buddhismus finden. Viele denken, für ihn sind alle Religionen gleich, nichts könnte falscher sein. Der Dalai Lama ist von der Wahrheit und Überlegenheit des Buddhismus absolut überzeugt.
Er spricht auch viel von „Liebe", was bedeutet das genau?
Williams: Ich weiß es nicht, vielleicht sollten Sie das ihn fragen. Im Gegensatz zur jüdisch-christlichen Gemeinschaft zielt der Buddhismus auf totale Selbstgenügsamkeit. Alle buddhistischen Traditionen sind sich außerdem einig, dass das „nirvana" ein Zustand der Freiheit von allem Leiden ist. Papst Benedikt dagegen betont, dass Liebe notwendigerweise die Möglichkeit des Leidens beinhaltet. Daraus würde folgen, dass die erleuchtete Person im Buddhismus nicht liebesfähig ist. Wenn ein Buddha nicht leiden kann, dann ist er schlicht unfähig sich verletzlich zu machen und folglich unfähig, ein Risiko einzugehen, wie es wahre Liebe notwendig macht. Indem der Buddhist das Ende allen Leidens zum Ziel macht, muss er auch das Ende der Liebe zum Ziel haben.
Sie waren zwei Jahrzehnte lang Buddhist. Wie kam das?
Williams: Ich war immer religiös. Ich wurde als Mitglied der anglikanischen Kirche erzogen und habe meinen christlichen Glauben sehr aktiv praktiziert. In meiner Jugend - den 1960ern - gab ich das Christentum auf und wurde schließlich Buddhist in der Tradition des tibetischen Buddhismus, die jene des Dalai Lama ist. Das Wichtigste, das mich am Buddhismus anzog, war, dass es eine vollständige Religion ist mit einer tiefen spirituellen Tradition, die gleichzeitig die Existenz eines persönlichen Schöpfers total negiert. Manche buddhistische Quellen machen sich sogar lustig über diese Idee. Ich war gerade sehr mit der Theodizee, der Frage nach Gott und dem Bösen auf der Welt beschäftigt, und all diese Probleme waren mit dem Buddhismus auf einen Schlag gelöst. Dazu kam, dass natürlich in den 1960ern Buddhismus sehr, sehr exotisch und modisch war.
Ende der 1990er-Jahre konvertierten Sie zum Katholizismus. Was war der Anstoß dafür?
Williams: Im Zug einer wissenschaftlichen Arbeit verstand ich zum ersten Mal die Bedeutung der buddhistischen Standard-Behauptung, dass die wiedergeborene Person nicht dieselbe Person ist wie die verstorbene. Es heißt zwar, sie sei weder dieselbe noch eine andere, mir scheint aber, es muss eine andere sein. Selbst im höchst unwahrscheinlichen Fall, dass ich als Mensch wiedergeboren würde, wäre das nicht „ich". Die Identität der Person kann die Veränderungen, die mit einer Wiedergeburt einhergehen, vor allem die Veränderungen, die mit der radikalen Unterbrechung körperlicher Kontinuität einhergehen, nicht überleben. Einflussreiche buddhistische Gelehrte haben genau so argumentiert. Das ist auch ein Grund, warum Buddhisten die Wiedergeburt immer als etwas „Schreckliches" gedacht haben. Da wir in diesem Leben sicher nicht zur Erleuchtung gelangen, ist unser Tod das Ende. Insofern ist der Buddhismus hoffnungslos. Er gibt im Unterschied zum Christentum auch keine Hoffnung für unsere menschlichen Beziehungen, egal wie wesentlich sie sind, wie tief die Liebe ist.
Aber das berührt nicht die Wahrheitsfrage.
Williams: Ich begann dann aber tief über die Kohärenz des Buddhismus nachzudenken und ob er wirklich sinnvoller ist als die tiefschürfendste christliche Theologie. Die meisten Buddhismusforscher sind nicht geschult in westlicher Philosophie, und selbst wenn, hüten sie sich oft, den Buddhismus auf seine Kohärenz hin zu analysieren. Dazu kommt, dass bei den meisten westlichen Menschen die Kenntnis des Christentums sehr schlicht ist. Wenn wir aber den Buddhismus studieren, beginnen wir gleich auf hohem Niveau - und vergleichen das dann mit unserer primitiven Vorstellung des Christentums. Ich beschäftigte mich eingehend mit den Argumenten der großen christlichen Denker, vor allem Thomas von Aquin, für die Existenz Gottes, und warum die Existenz des Bösen auf der Welt nicht heißen muss, dass es keinen Schöpfergott gibt. Ich glaube heute, dass es einen gibt, und dieser Glaube ist ein Vernunftglaube.
Können Christen von buddhistischer Meditation profitieren?
Williams: Meist meint man damit „beruhigende Meditation". Entspannung und bessere Konzentration tun jedem gut, allerdings haben sie nicht per se einen religiösen Wert. Sich zu entspannen, hat mit Gebet so viel zu tun wie der Genuss eines Achterl Weins nach einem harten Arbeitstag mit dem Empfang der Heiligen Kommunion.
Können westliche Menschen „echte" Buddhisten werden?
Williams: Ja, aber es braucht viel Zeit. Die Frage ist, ob der westliche Buddhismus diese Zeit hat. Obwohl die Menschen oft sehr wenig darüber wissen, was alles zum Buddhismus gehört - zum realen, gelebten Buddhismus, wie er jahrhundertelang in vom Buddhismus beeinflussten Kulturen geglaubt und praktiziert wurde -, und obwohl es oft nur eine Sache der Mode ist, sich Buddhist zu nennen, gibt es heute doch viele Leute im Westen, die sehr gute Kenntnisse haben und die den Buddhismus so zu praktizieren versuchen, wie er von traditionellen buddhistischen Lehrern gelehrt wird. Insgesamt allerdings ist der „westliche Buddhismus" dabei, sich zu einem eigenständigen Phänomen zu entwickeln, das in vielem nur sehr indirekt mit den Wurzeln zu tun hat. Ich sage nicht, dass das schlecht ist, auf jeden Fall ist es unvermeidlich. Aber ich finde es manchmal sehr frustrierend, im Westen Behauptungen über den Buddhismus zu hören, die vom Standpunkt des traditionellen Buddhismus, wie er durch fast zweieinhalb Jahrtausende bestanden hat, sehr fragwürdig wären. Schon jetzt verlassen viele Menschen im Westen asiatische Lehrer zugunsten von westlichen, die oft kein Wort in einer asiatischen Sprache sprechen und manchmal noch nie in Asien waren.
Zur Person
Paul Williams ist emeritierter Professor für indische und tibetische Philosophie am Centre for Buddhist Studies der University of Bristol. Er hat den Dalai-Lama ins Englische übersetzt und war Präsident der "United Kingdom Association for Buddhist Studies". Williams war zwei Jahrzehnte lang praktizierender Buddhist und konvertierte Ende der 1990er-Jahre zum Katholizismus.
Antwort auf Prof. Williams
Nicht der Buddhismus ist hoffnungslos, sondern Prof. Williams war es und hat nun wieder Hoffnung gefunden
Ursprünglich beabsichtigte ich, zum Artikel zu posten, habe mich aber wegen der auf der Website stattfindenden Verzettelung auf einen Diskurs bessere oder schlechtere Religion inklusive damit verbundener gegenseitiger Herabwürdigungen für diese Form entschlossen. Ich möchte auch vorausschicken, dass ich keiner Religionsgemeinschaft angehöre, auch kein Religionswissenschaftler bin, sondern "nur" Chemiker, mich aber immer schon sehr intensiv mit Christentum und Buddhismus, aber auch etwas mit Islam und mit verschiedensten anderen Formen von Religiosität auseinandergesetzt habe, da mir dies ein persönliches Bedürfnis war und ist.
Ich bin zutiefst überzeugt, dass Prof. Williams allein auch schon aufgrund seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Buddhismus sehr kompetent über sehr viele Fragen der verschiedenen Richtungen des Buddhismus Auskunft geben kann. Umso mehr überraschen mich einige Aussagen im Interview.
Herr Prof. Williams spricht über den Buddhismus und das Christentum und müsste gerade aus seiner Befassung mit dem Thema wissen, dass es den Buddhismus und das Christentum bestenfalls im Sinne einer kommunikativen Vereinfachung geben kann, in der Realität aber tatsächlich beide Religionen in beliebig viele Haupt- und Subgruppen zersplittert sind, deren Religionsverständnis teilweise so unterschiedlich ist, dass in sehr vielen Fällen nicht mehr viel mehr als der jeweilige Namen des Religionsstifters verbindend ist. Und ich rede noch gar nicht von der Alltagsreligiosität, die ich auch hinsichtlich Buddhismus in einigen Fällen persönlich kennenlernen konnte. Die christliche Form von Alltagsreligiosität kenne ich ja in seiner Vielfältigkeit hier in Österreich.
Der zweite Punkt der mich erstaunt, ist sein Versuch, so etwas wie Kohärenz oder Wahrheit in Christentum oder Buddhismus vernünftig denkend zu finden, ohne gleich weite Teile des jeweiligen religiösen Fundus über Bord zu werfen. Und er sagt auch nicht , welche Richtung des Buddhismus oder Christentums er meint. Ich kann nur annehmen, dass er die tibetische Richtung des Buddhismus und beim Christentum aufgrund seiner Konversion die katholische Kirche meint.
Ich kann seine Stellungnahme nur so verstehen, dass er über viele Jahre im Buddhismus, bzw. dem, was er darunter versteht, Antworten auf existentielle Fragen gesucht hat, die er letztlich nicht finden konnte, weil ihm die buddhistische Sozialisation von Kindheit auf nicht gegeben war. Folgerichtig konvertierte er zum Christentum, und ich nehme an, dass es eine Rückkonversion war, da er wie alle Engländer, die nicht aus den ehemaligen Kolonien stammen, christlich sozialisiert war.
Diese Vorgehensweise von Prof. Williams ist für mich in keiner Weise verwerflich, sondern die richtige Antwort eines Menschen auf sein persönliches Suchen. Dies aber als Wahrheit oder Vernunftglaube darzustellen, ist für mich unzulässig. Außerdem klingen manche Antworten von Prof. Williams ein bisschen nach Abrechnung.
Aus meiner Warte ist jede Religiosität die Antwort von Personen (!) auf die nicht erklärbare Realität des Todes, die jeden betrifft, von der jeder weiß, das auch er ihr ausgeliefert ist, und das nach einem Leben, dessen Zeit und Ort er sich nicht aussuchen kann. Dieses alles nun vielleicht weit ausschweifend vernünftig begründen zu wollen, kann ich zwar verstehen, da natürlich insbesondere intellektuell geprägte Menschen ihre Angst und Unsicherheit gegenüber dieser Unerkärbarkeit nicht als Beweggrund für religiöse Haltungen vor allem vor sich selbst eingestehen wollen. Trotzdem bleibt es nichts als die Rationalisierung eines emotional als sinnlos empfundenen Geschehens, weswegen alle Religionen irgendeine über den Tod hinausreichende "Existenzform" und bei entsprechendem Verhalten eine dort stattfindende Erlösung kennen.
Ungeachtet der Erklärungsmuster der verschiedenen Religionsgründer, muss jeder Mensch sich selbst seine für ihn gültige Antwort geben. Vielleicht ist das der Grund, warum sich alle Religionen beliebig zersplittern, wenn nicht irgendwelche selbsternannten Wissenden mit entsprechendem Machtgehabe dies zu verhindern trachten und auf die Unteilbarkeit der Wahrheit hinweisen.
So gesehen passt das Interview mit Prof. Williams natürlich als katholischer Kontrapunkt zur derzeitigen vielfach sehr positiven Berichterstattung um den Besuch des Dalai Lama, der aus meiner Warte auch nichts anderes als ein gewöhnlicher Mensch ist. Er eignet sich aber wegen seiner exotischen Aura und seiner persönlichen Geschichte als Projektionsfläche unerfüllbarer Wünsche für viele Menschen im Westen besser als der derzeitige Papst, obwohl er weit davon entfernt ist, so etwas wie ein buddhistischer Papst zu sein, weil er selbst nur eine sehr kleinen buddhistischen Richtung angehört.