Jesus
tritt zunächst als jüdischer Reformator und als Prophet eines
ausschließlich guten Gottes auf. Damit rettet er den bedrohten
religiösen Zusammenhang. In dieser Beziehung erweist er sich in der
Tat als σωτήρ (Retter). Er bewahrt die
Menschheit vor dem Verluste der Gottesgemeinschaft und dem
Verlorengehen ins bloße Bewusstsein und dessen »Vernünftigkeit«.
Das hätte so viel wie eine Dissoziation zwischen dem Bewusstsein und
dem Unbewussten bedeutet, also einen unnatürlichen bzw.
pathologischen Zustand, einen sog. »Seelenverlust«, von dem der
Mensch seit Urzeit immer wieder bedroht ist. Immer wieder und in
steigendem Maße gerät er in die Gefahr, die irrationalen
Gegebenheiten und Notwendigkeiten seiner Psyche zu übersehen und
sich einzubilden, mit Willen und Vernunft alles zu beherrschen, und
damit die Rechnung ohne den Wirt zu machen, was am deutlichsten bei
den großen sozialpolitischen Bestrebungen, wie Sozialismus und
Kommunismus zu sehen ist: unter ersterem leidet der Staat und unter
letzterem der Mensch.
Jesus
hat, wie ersichtlich, die vorhandene Tradition in seine persönliche
Wirklichkeit übersetzt und verkündet die frohe Botschaft: »Gott
hat ein Wohlgefallen an der Menschheit. Er ist ein liebender Vater
und liebt euch, so wie ich euch liebe, und hat mich als seinen Sohn
gesandt, euch von der alten Schuld loszukaufen.« Er selber bietet
sich als das Sühnopfer an, welches die Versöhnung mit Gott
herbeiführen soll. Je wünschenswerter nun ein wirkliches
Vertrauensverhältnis zwischen Gott und Mensch ist, desto mehr muss
die Rachsucht und Unversöhnlichkeit Jahwes gegenüber seinen
Kreaturen auffallen. Von Gott als dem guten Vater, der die Liebe
selber ist, dürfte man verstehende Verzeihung erwarten. Dass aber
der suprem (Anm.: machtvollkommene) Gute diesen Gnadenakt sich durch
ein Menschenopfer und zwar durch die Tötung seines eigenen Sohnes
abkaufen lässt, kommt als unerwarteter Schock. Anscheinend hat
Christus diese
Antiklimax
(rhetorisches Mittel, bei der
ein Ausdruck stufenweise abgeschwächt wird) übersehen,
jedenfalls haben alle folgenden Jahrhunderte sie ohne Widerspruch
hingenommen. Man muss sich vor Augen halten: der Gott des Guten ist
dermaßen unversöhnlich, dass er sich nur durch ein Menschenopfer
beschwichtigen lässt!
Das ist eine Unerträglichkeit, die man heutzutage nicht mehr ohne
weiteres schlucken kann, denn man muss schon blind sein, wenn man das
grelle Licht, das von hier auf den göttlichen Charakter fällt und
das Gerede von Liebe und Summum Bonum Lügen straft, nicht sieht.
-- Was heißt hier Licht auf den göttlichen Charakter? Dies ist
alles nichts anderes als das real Menschliche, das seiner
Widersprüchlichkeit Sinn zu geben versucht. --
Christus
erweist sich in doppelter Hinsicht als Mittler: er hilft dem Menschen
gegenüber Gott und beschwichtigt die Angst, die man vor diesem Wesen
empfindet. Er nimmt eine wichtige Mittelstellung zwischen den zwei
schwer vereinbaren Extremen Gott und Mensch ein. Sichtlich verschiebt
sich der Focus des göttlichen Dramas auf den vermittelnden
Gottmenschen. Ihm
fehlt weder das Menschliche noch das Göttliche, deshalb ist er auch
schon früh durch ganzheitliche Symbole gekennzeichnet worden, weil
er als alles umfassend und als die Gegensätze einend verstanden
wird. Ebenso ist ihm die, ein differenziertes Bewusstsein andeutende,
Quaternität des Menschensohnes zugedacht worden (vide Kreuz und
Tetramorph). Das entspricht im allgemeinen der Vorlage bei Henoch,
aber mit einem bedeutenden
Abstrich: Ezechiel und Henoch, die beiden Träger des Titels
»Menschensohn« sind gewöhnliche Menschen, während Christus schon
durch Abstammung,,
Zeugung und
Geburt ein Heros und Halbgott in antikem Sinne ist
( Infolge der conceptio immaculata (Anm.: unbefleckte Empfängnis)
ist schon Maria von den an-deren Sterblichen verschieden, was durch
die Assumptio (Himmelfahrt) noch bekräftigt wird).
Er ist durch den Hl. Geist jungfräulich gezeugt. Er ist kein
kreatürlicher Mensch und hat daher keine Neigung zur Sünde. Die
Infektion des Bösen wurde durch die Vorbereitung der Inkarnation bei
ihm ausgeschaltet. Christus steht daher mehr auf der göttlichen als
auf der menschlichen Seite. Er inkarniert den guten Gotteswillen
ausschließlich und steht darum nicht genau in der Mitte, denn das
Essentielle des kreatürlichen Menschen, die Sünde, erreicht ihn
nicht. Die Sünde ist ursprünglich vom göttlichen Hofstaat her
durch Satan in die Schöpfung eingedrungen, worüber Jahwe sich
dermaßen erzürnte, dass schließlich sein eigener Sohn geopfert
werden musste, um ihn zu versöhnen. Seltsamerweise hat er nicht vor
allem Satan aus seiner Umgebung entfernt. Bei Henoch ist ein
besonderer Erzengel, Phanuel, damit betraut, die satanischen
Einflüsterungen von Jahwe fernzuhalten, und erst in der Endzeit soll
Satan als Stern
gefesselt
in den Abgrund geworfen und vernichtet werden (nicht so in der
Apokalypse des Johannes, wo er ewig in seinem Element erhalten
bleibt). --
Lieber C.G. Jung. Das ist Unsinn vom Feinsten ---
Obschon
im allgemeinen angenommen wird, dass das einmalige Opfer Christi den
Fluch der Erbsünde gebrochen und Gott endgültig versöhnt habe, so
scheint Christus in dieser Hinsicht doch etwelche Besorgnisse
empfunden zu haben. Was wird mit dem Menschen, insbesondere mit
seinen Anhängern geschehen, wenn die Herde ihren Hirten verloren
hat, und wenn sie den vermissen, der für sie beim Vater eingetreten
ist? Er versichert zwar seine Jünger, dass er immer gegenwärtig
sein werde, ja, dass er in ihnen selber sei. Trotzdem scheint ihm
dies nicht zu genügen, sondern er verspricht ihnen darüber hinaus,
an seiner Statt einen anderen παράχλητος (Anwalt,
Rechtsbeistand), der ihnen mit Rat und Tat beistehen und ewig bei
ihnen bleiben werde, vom Vater her zu senden. Man könnte demnach
vermuten, dass die »Rechtslage« noch immer nicht über alle Zweifel
hinaus geklärt sei, bzw. noch immer ein Unsicherheitsfaktor bestehe.
Die
Sendung des Parakleten (Anm.: Geist der Wahrheit) hat aber noch einen
anderen Aspekt. Dieser Geist der Wahrheit und Erkenntnis ist der Hl.
Geist, von dem Christus gezeugt worden ist. Er ist der Geist der
physischen und geistigen Zeugung, der von nun an in den kreatürlichen
Menschen seine Wohnung aufschlagen soll. Da er die dritte Person der
Gottheit darstellt, so heißt das soviel, als dass Gott im
kreatürlichen Menschen gezeugt werde. Das bedeutet eine
gewaltige Veränderung im Status des Menschen, indem er dadurch in
gewissem Sinne zur Sohnschaft und zur Gottmenschlichkeit erhoben
wird. Damit erfüllt sich die Präfiguration bei Ezechiel und Henoch,
wo, wie wir sahen, der Titel »Menschensohn« bereits dem
kreatürlichen Menschen verliehen wird. Damit gerät aber der Mensch,
trotz seiner ihm anhaftenden Sünde, in die Stellung des Mittlers,
des Einigers von Gott und Kreatur. Christus hat diese unabsehbare
Möglichkeit wohl im Auge gehabt, als er sagte: »Wer an mich glaubt,
der wird die Werke, die ich tue, auch tun und wird größere als
diese tun«, und, als er an die Psalmstelle (82, 6) erinnert: »Wohl
habe ich gesprochen: Götter seid ihr, ihr alle seid Söhne des
Höchsten«, da fügte er bei: »Die Schrift kann nicht aufgelöst
werden.«
Die
zukünftige Einwohnung des Hl. Geistes im Menschen bedeutet soviel
als eine fortschreitende Inkarnation Gottes. Christus als der
gezeugte Gottessohn und als präexistenter Mittler ist ein Erstling
und ein göttliches Paradigma, das gefolgt wird von weiteren
Inkarnationen des Hl. Geistes im wirklichen Menschen. Dieser Mensch
aber hat Teil am Dunkel der Welt, und darum entsteht nun mit dem Tode
Christi eine kritische Situation, die wohl zu Besorgnissen Anlass
geben kann. Bei der Menschwerdung wurde ja das Dunkle und Böse
überall sorgfältig draußen gehalten. Henochs Wandlung zum
Menschensohn verläuft ganz im Lichten und noch mehr so die
Menschwerdung in Christo. Es ist keineswegs wahrscheinlich, dass die
Verbindung zwischen Gott und Mensch mit dem Tode Christi abreißt; im
Gegenteil wird die Kontinuität dieser Beziehung immer wieder betont
und durch die Sendung des Parakleten (Anm.: Geist der Wahrheit) noch
ausführlich bestätigt. Je inniger die Verbindung sich aber
gestaltet, desto mehr nähert sich der Zusammenstoß mit dem Bösen.
Aus einer schon früh bestehenden Ahnung heraus entwickelt sich nun
die Erwartung, dass auf die lichte Manifestation eine entsprechend
dunkle und auf Christus ein Antichristus folgen werde. Man sollte
eine derartige Ansicht nach der metaphysischen Sachlage eigentlich
nicht erwarten, denn die Macht des Bösen ist angeblich überwunden,
und von einem liebenden Vater kann man nicht voraussetzen, dass er
nach der ganzen umfangreichen Heilsveranstaltung in Christo, der
Versöhnung und Deklaration der Menschenliebe, seinen bösen Hofhund,
in Missachtung alles Vorausgegangenen, wieder auf seine Kinder
loslassen könnte. Warum diese enervierende Duldsamkeit gegenüber
Satan? Woher die hartnäckige Projektion des Bösen auf die Menschen,
die er ja so schwach, anfällig und dumm geschaffen hat, dass sie
seinen bösen Söhnen natürlich längst nicht gewachsen sind? Warum
das Übel nicht an der Wurzel packen?
Der
gute Gotteswille hat einen guten und hilfreichen Sohn gezeugt und das
Bild eines guten Vaters von sich geprägt; leider - wie man sagen
muss - wieder einmal ohne Berücksichtigung des Umstandes, dass ein
Wissen um eine anders lautende Wahrheit vorhanden war. Hätte er sich
Rechenschaft über sich selber gegeben, so hätte er sehen müssen,
in was für eine Dissoziation er durch seine Menschwerdung gerät. Wo
ist denn seine Dunkelheit hingekommen, vermöge welcher Satan stets
der verdienten Strafe entgeht? Glaubt er, er sei ganz gewandelt und
seine Amoralität sei von ihm abgefallen? Selbst sein lichter Sohn
hat ihm in dieser Hinsicht nicht ganz getraut. Nun sendet er gar den
»Geist der Wahrheit« zu den Menschen, und diese werden mit diesem
bald genug entdecken, was man erwarten muss, wenn Gott sich bloß in
seinem lichten Aspekt inkarniert und glaubt, das Gute selber zu sein,
oder wenigstens dafür gehalten zu werden wünscht. Man muss sich auf
eine Enantiodromie großen Stiles gefasst machen. Das ist wohl der
Sinn der Antichristerwartung, welche wir vielleicht eben gerade der
Wirksamkeit des »Geistes der Wahrheit« verdanken.
Der
Paraklet (Anm.: Geist der Wahrheit) war zwar metaphysisch von größter
Bedeutung, aber für die Organisation einer Kirche höchst
unerwünscht, denn er entzieht sich, sogar unter Berufung auf die
Schriftautorität, jeglicher Kontrolle. Im Gegensatz
dazu muss im Interesse der Kontinuität und der Kirche die
Einmaligkeit der Menschwerdung und des Erlösungswerkes ebenso
energisch betont werden, wie die fortschreitende Einwohnung des Hl.
Geistes möglichst decouragiert und ignoriert wird. Man kann keine
weiteren individualistischen Digressionen (Anm.: Abweichung,
Abschweifung) mehr dulden. Wer sich etwa zu abweichenden Meinungen
durch den Hl. Geist bewogen fühlt, wird notwendigerweise zum Ketzer,
dessen Bekämpfung und Ausrottung ganz nach dem Geschmacke Satans
ausfällt. Allerdings muss man andererseits begreifen, dass, wenn
jedermann die Intuitionen seines Hl. Geistes zur Verbesserung der
allgemeinen Lehre den anderen hätte aufdrängen wollen, das damalige
Christentum wohl in kürzester Frist in einer babylonischen
Sprachverwirrung untergegangen wäre -ein Schicksal, das bedrohlich
nahe lag.
Dem
Parakleten, dem »Geist der Wahrheit«, fallt die Aufgabe zu, in
menschlichen Individuen zu wohnen und zu wirken, um sie daran zu
erinnern, was Christus gelehrt, und um sie in die Klarheit zu führen.
Ein gutes Beispiel für diese Tätigkeit des Hl. Geistes ist Paulus,
der den Herrn nicht gekannt und sein Evangelium nicht von den
Aposteln, sondern durch Offenbarung empfangen hat. Er gehört zu
denen, deren Unbewusstes beunruhigt war und offenbarende Ekstasen
verursachte. Das Leben des Hl. Geistes zeigt sich eben darin, dass er
tätig ist und Wirkungen hat, welche nicht bloß Vorhandenes
bestätigen, sondern noch darüber hinaus führen. So gibt es auch
schon in den Äußerungen Christi Anzeichen von Ideen, die über das
traditionell »Christliche« hinausgehen, z. B. das Gleichnis vom
ungetreuen Haushalter, dessen Moral mit dem Logion des Codex Bezae zu
Luc. VI, 4 übereinstimmt und einen anderen ethischen Standpunkt, als
den erwarteten, verrät. Das moralische Kriterium bildet hier die
Bewusstheit, und nicht Gesetz und Konvention.
Man könnte hier auch die eigenartige Tatsache anführen, dass
Christus gerade den Petrus, der wenig Selbstbeherrschung und einen
wankelmütigen Charakter besitzt, zum Felsen und Fundament seiner
Kirche machen will. Dies scheinen mir Züge zu sein, die auf eine
Einbeziehung des Bösen in eine moralisch differenzierende
Betrachtungsweise hindeuten. Z. B. gut ist, wenn das Böse
vernünftigerweise verhüllt wird; böse ist die Unbewusstheit des
Handelns. Man könnte fast vermuten, dass solche Ansichten bereits
eine Zeit ins Auge fassen, wo neben dem Guten auch das Böse in
Betracht fällt, bzw. nicht mehr a limine unterdrückt wird unter der
zweifelhaften Annahme, man wisse jeweils ganz genau, was böse ist.
Auch
die Antichristuserwartung scheint eine weiterführende Offenbarung
oder Entdeckung zu sein, ebenso die bemerkenswerte Feststellung, dass
der Teufel trotz Sturz und Exil doch immerhin noch der »Herr dieser
Welt« bleibt und in der allumgebenden Luft beheimatet ist. Trotz
seinen Missetaten und trotz dem göttlichen Rettungswerk zugunsten
der Menschheit hat er doch noch eine beträchtliche Machtposition
inne, in deren Bereich die gesamte sublunare Kreatur fällt. Eine
derartige Situation kann man nicht anders als kritisch bezeichnen,
jedenfalls entspricht sie nicht dem, was man nach dem Inhalt der
frohen Botschaft vernünftigerweise hätte erwarten können. Der Böse
ist keineswegs angekettet, auch wenn die Tage seiner Herrschaft
gezählt sind. Noch immer zögert Gott, dem Satan Gewalt anzutun. Man
muss annehmen, dass er offenbar noch immer nicht darum weiß, wie
seine eigene dunkle Seite den bösen Engel begünstigt. Dem »Geist
der Wahrheit«, der im Menschen seine Wohnung genommen hat, kann
diese Sachlage auf die Dauer natürlich nicht verborgen bleiben. Er
stört darum das Unbewusste des Menschen und verursacht noch in der
christlichen Urzeit eine weitere große Offenbarung, die, um ihrer
Dunkelheit willen, in der Folgezeit zu vielen Deutungen und
Missdeutungen Anlass gab. Es ist die
Offenbarung Johannis.
--
Es ist grandios. Jung unterstellt dem aus zahllosen Schriften durch
Entscheidung von kirchlichen Kommissionen komponierten Neuen
Testament eine übergeordnete, bzw. innewohnende, offenbarte
Wahrheit. Für den Christen Jung mag das noch angehen. Es ist sein
Glaube und wird darum von mir auch akzeptiert. Solches aber mit dem
nicht direkt ausgesprochenen, aber überall vorhandenen Anspruch von
Wissenschaftlichkeit zu verbrämen, ist ziemlich starker Tabak. Damit
ist Jung jener Typ von Wissenschaftler, der allein durch die Tatsache
seines Forschen für sich selbst Irrtümer ausschließt und sich
damit gottähnlichen Status anmaßt. Damit kommt aber durch die
Hintertür der Wissenschaft wiederum so etwas wie religiöser
Absolutismus in das Leben der Menschen. Jeder Zweifel wird dadurch in
den Status einer Sünde gebracht, die auch noch rational begründet
wird, obwohl doch Wahrheit niemals etwas anderes als die innere Logik
eine Systems ist. Jung ist dafür ein beredtes Zeugnis.---
Man
könnte sich unter dem Johannes der Apokalypse wohl kaum eine
geeignetere Persönlichkeit vorstellen, als den Verfasser der
Johannesbriefe: dieser bekennt, dass Gott Licht und »keine
Finsternis in ihm ist«. (Wer sprach denn davon, dass in Gott etwas
Finsteres sei?) Immerhin weiß er, dass, wenn wir sündigen, wir bei
Gott einen Fürsprecher brauchen, nämlich Christus, das Sühnopfer,
obschon uns die Sünden um seinetwillen bereits vergeben sind. (Warum
brauchen wir dann einen Rechtsbeistand?) Der Vater hat uns seine
große Liebe geschenkt (wo sie ihm doch durch ein Menschenopfer
abgekauft werden musste!), und wir sind die Kinder Gottes. Wer aus
Gott gezeugt ist, begeht keine Sünde. (Wer begeht keine
Sünde?) Er predigt die Botschaft der Liebe. Gott selbst ist die
Liebe. Vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Aber er muss vor
falschen Propheten und Irrlehrern warnen, und er ist es, der das
Kommen des Antichristus ankündigt. Seine bewusste Einstellung ist
orthodox, aber ihm ahnt Böses. Er könnte leicht böse Träume
haben, die nicht auf seinem bewussten Programm angemerkt sind. Er
spricht so, wie wenn er nicht nur einen sündlosen Zustand, sondern
auch eine vollkommene Liebe kennte, unähnlich Paulus, dem es nicht
an der nötigen Selbstreflexion fehlt. Johannes ist etwas zu sicher
und darum riskiert er eine Dissoziation. Unter solchen Umständen
nämlich entsteht im Unbewussten eine Gegenposition, die einmal in
Gestalt einer Offenbarung ins Bewusstsein durchbrechen kann. Die
Offenbarung wird, wenn sie erfolgt, die Form eines mehr oder weniger
subjektiven Mythus haben, weil sie unter anderem die Einseitigkeit
eines individuellen Bewusstseins kompensiert; dies im Gegensatz zur
Vision eines Ezechiel oder Henoch, deren Bewusstseinslage
hauptsächlich durch (unverschuldete) Unwissenheit gekennzeichnet ist
und darum durch eine mehr oder weniger objektive und allgemeingültige
Gestaltung des archetypischen Materials kompensiert wird.
Diesen
Bedingungen entspricht die Apokalypse, soweit wir dies festzustellen
vermögen. Schon in der Eingangsvision tritt eine furchterregende
Gestalt auf: Christus
verschmolzen mit dem »Hochbetagten«, dem Menschen und
Menschensohnähnlichen. Aus seinem Munde geht ein »scharfes
zweischneidiges Schwert«, das zu Kampf und Blutvergießen tauglicher
erscheint als zur Bekundung brüderlicher Liebe.
Da Christus ihm sagt: »Fürchte dich nicht«, muss man wohl
annehmen, dass Johannes nicht von Liebe überwältigt war, als er
»wie tot« hinfiel, sondern vielmehr von Furcht.
(Wie steht es hier mit
der vollkommenen Liebe, die alle Furcht vertreibt?)
Christus
trägt ihm sieben Sendschreiben an die Gemeinden in der Provinz Asia
auf. Die Gemeinde in Ephesus wird ermahnt, Buße zu tun, ansonst sie
mit der Beraubung des Lichtes bedroht wird. Man erfährt in diesem
Schreiben auch, dass Christus die Nicolaiten »hasst«. (Wie verträgt
sich das mit der Nächstenliebe?)
Die
Gemeinde von Smyrna kommt besser weg. Ihre Gegner sind angeblich
Juden, bilden aber »eine Synagoge des Satan«, was nicht gerade
freundlich klingt.
Pergamus
wird getadelt, weil sich dort ein Irrlehrer bemerkbar macht. Ebenso
gibt es dort Nicolaiten. Also soll die Gemeinde Buße tun, »sonst
komme ich schnell über dich«, was man wohl als Drohung verstehen
muss.
Thyatira
lässt die falsche Prophetin Isebel gewähren. Er wird »sie aufs
Siechbett werfen« und »ihre Kinder will ich des Todes sterben
lassen«. Wer aber bei ihm verharrt, »dem will ich Macht über die
Heiden geben, und ,er wird sie mit eisernem Stabe weiden, wie die
irdenen Gefäße zerschlagen werden, wie auch ich (solche Macht) von
meinem Vater empfangen habe - und ich will ihm den Morgenstern
geben«. Christus lehrt wie bekannt: »Liebet eure Feinde«, hier
droht er aber mit bethlehemitischem Kindermord!
Die
Werke der Gemeinde von Sardes sind nicht vollkommen vor Gott. Darum
»tut Buße«! Sonst wird er wie ein Dieb zu unerwarteter Stunde über
sie kommen - eine nicht gerade wohlwollende Warnung.
An
Philadelphia ist nichts zu tadeln. Laodicea aber will er wegen ihrer
Lauheit »ausspeien« aus seinem Munde. Sie soll Buße tun.
Bezeichnend ist die Erklärung: »Ich strafe und züchtige alle, die
ich lieb habe.« Es wäre begreiflich, wenn sich jemand nicht zu viel
von dieser »Liebe« wünschte.
Fünf
von den sieben Gemeinden erhalten schlechte Zensuren. Dieser
apokalyptische »Christus« benimmt sich eher wie ein übelgelaunter,
machtbewusster »Boss«, der durchaus dem »Schatten« eines die
Liebe predigenden Bischofs gleicht.
Wie
zur Bestätigung des Gesagten folgt eine Gottesvision im Stile
Ezechiels. Aber der, der auf dem Throne sitzt, sieht nicht gerade
einem Menschen ähnlich, sondern »war seinem Ansehen nach gleich
einem Jaspis und Karneolstein«. Vor ihm war ein »gläsernes Meer,
gleich Kristall«. Um den Thron stehen die vier »Wesen« (ξώα,
animalia), welche überall,
vorne und hinten, außen und innen mit Augen bedeckt sind. Das Symbol
des Ezechiel ist in seltsamer Weise modifiziert: Stein, Glas,
Kristall, lauter tote und starre Dinge charakterisieren die Gottheit,
Stoffe, die dem anorganischen Reiche entstammen. Man denkt
unwillkürlich an die Präokkupation der nachfolgenden Zeiten, wo der
geheimnisvolle »Mensch«, der »homo altus«
als
λιδος ού λιδος
(lidos oy lidos: Stein kein Stein) bezeichnet wurde, und wo im Meere
des Unbewussten die vielen »Augen« aufleuchteten
(Dies ist eine Anspielung auf die »Luminosität« der Archetypen.).
Jedenfalls kommt hier
johanneische Psychologie herein, welche Witterung von einem Jenseits
des christlichen Kosmos erhalten hat.
Hierauf
folgt die Eröffnung des mit sieben Siegeln verschlossenen Buches
durch das »Lamm«. Letzteres hat die menschlichen Züge des
»Hochbetagten« abgelegt und erscheint in rein theriomorpher, aber
monströser Form, wie eines der vielen anderen gehörnten Tiere der
Apokalypse: es hat sieben Augen und sieben Hörner, ist darum nicht
lamm-, sondern widderähnlich und muss überhaupt ziemlich übel
ausgesehen haben. Obschon es als »wie geschlachtet« dargestellt
wird, so benimmt es sich in der Folge doch keineswegs als
unschuldiges Opfer, sondern recht lebhaft. Aus den vier ersten
Siegeln entlässt es die vier unheilvollen apokalyptischen Reiter.
Beim fünften Siegel hört man das Rachegeschrei der Märtyrer (»Wie
lange, heiliger und wahrhaftiger Herr, richtest du nicht und rächst
unser Blut nicht an denen, die auf Erden wohnen? «) Das sechste
Siegel bringt eine kosmische Katastrophe, und alles verbirgt sich
»vor dem Zorn des Lammes. Denn gekommen ist der
große Tag seines Zorns ...«
Man erkennt das sanfte Lamm, das sich ohne Widerstand zur
Schlachtbank führen lässt, nicht wieder, wohl aber den streit- und
reizbaren Widder, dessen Wut nun endlich loslegen kann. Ich sehe
darin weniger ein metaphysisches Geheimnis, als zunächst einmal den
Ausbruch längst aufgestauter negativer Gefühle, die man bei
Vollkommen-sein-Wollenden häufig beobachtet. Man darf es bei dem
Verfasser der johanneischen Briefe als selbstverständlich
voraussetzen, dass er sich alle Mühe gibt, das, was er den
Mitchristen predigt, auch bei sich vorbildlich wahrzumachen. Zu
diesem Zwecke muss er alle negativen Gefühle ausschalten, und
infolge eines hilfreichen Mangels an Selbstreflexion kann er sie
vergessen. Sie sind zwar von der Bildfläche des Bewusstseins
verschwunden, wuchern aber unter der Decke weiter und erzeugen mit
der Zeit ein ausgedehntes Gespinst von Ressentiments und
Rachegedanken, die dann einmal offenbarungsweise über das
Bewusstsein hereinbrechen. Daraus entsteht ein schreckenerregendes
Gemälde, das allen Vorstellungen von christlicher Demut,
Duldsamkeit, Nächsten- und Feindesliebe, von einem liebenden Vater
im Himmel und einem menschenrettenden Sohn und Heiland ins Gesicht
schlägt. Eine wahre Orgie von Hass, Zorn, Rache und blinder
Zerstörungswut, die sich an phantastischen Schreckgebilden nicht
genugtun kann, bricht aus und überschwemmt mit Blut und Feuer eine
Welt, die man eben noch zu dem ursprünglichen Status der Unschuld
und der Liebesgemeinschaft mit Gott zu erlösen sich bemüht hat.
Die
Eröffnung des siebenten Siegels bringt natürlich eine neue Flut von
Miseren, welche die unheilige Phantasie des Johannes zu erschöpfen
drohen. Wie zur Stärkung muss er nun ein Büchlein verschlingen, um
weiter »prophezeien« zu können.
Als
der siebente Engel endlich ausgeblasen hat, erscheint am Himmel, nach
der Zerstörung Jerusalems, das Sonnenweib, das den
Mond unter den Füßen und einen Kranz von zwölf Sternen auf seinem
Haupte hat. Es ist in Geburtsnöten, und vor ihm liegt der feuerrote
Drache, der sein Kind verschlingen will.
Diese
Vision fällt aus der Reihe. Während man bei den bisherigen Bildern
sich nur schwer dem Eindruck, dass sie einer nachträglichen,
ordnenden und ausschmückenden Bearbeitung unterzogen wurden,
entziehen kann, hat man bei diesem Stück das Gefühl, dass es
ursprünglich und auf keinen erzieherischen Zweck ausgerichtet sei.
Die Vision ist eingeleitet durch die Eröffnung des Tempels im Himmel
und das Sichtbarwerden der Bundeslade.
Dies ist wohl ein Vorspiel zum Herabkommen der himmlischen Braut
Jerusalem, eines Äquivalents der Sophia, denn es handelt sich hier
um ein Stück des himmlischen Hierosgamos, dessen Frucht ein
göttlicher Knabe ist. Hier müssen wir für einen Augenblick bei der
Gestalt der Mutter verweilen. Sie ist »ein Weib, angetan mit der
Sonne«. Man beachte die einfache Konstatierung »ein Weib«, eine
Frau schlechthin, keine Göttin und keine ewige Jungfrau, die
unbefleckt empfangen wurde. Es sind keinerlei Maßnahmen bemerkbar,
welche sie ihrer vollständigen Weiblichkeit entheben würden,
allerdings mit der Ausnahme der ihr beigegebenen kosmisch-naturhaften
Attribute, die sie zu einer anima mundi (Weltseele), dem kosmischen
Urmenschen ebenbürtig, stempeln. Sie ist der weibliche Urmensch, das
Gegenstück des Urmännlichen, wozu sich das Motiv der heidnischen
Leto vorzüglich eignet, denn in der griechischen Mythologie mischt
sich noch gleichwertig Matriarchales mit Patriarchalem. Oben die
Sterne, unten der Mond, in der Mitte die Sonne, der Horus des
Aufganges und der Osiris des Unterganges, rings umgeben von der
mütterlichen Nacht, ούρανός
άνω, ούρανός χάτω
– (oyranos ano,
oyranos xato: Himmel oben,
Himmel unten) dieses Symbol
enthüllt das ganze Geheimnis des »Weibes«: sie enthält in ihrem
Dunkel die Sonne des »männlichen« Bewusstseins, die als Kind dem
Nachtmeer des Unbewussten entsteigt und als Greis darein versinkt.
Sie fügt zum Hellen das Dunkle, sie bedeutet den Hierosgamos der
Gegensätze und versöhnt die Natur mit dem Geiste.
Der
Sohn, der dieser himmlischen Hochzeit entspringt, ist
notwendigerweise eine complexio oppositorum (Anm.: Vereinigung der
Gegensätze), ein vereinigendes Symbol, eine Ganzheit des Lebens.
Gewiss nicht ohne Grund macht hier das Unbewusste des Johannes eine
Anleihe bei der griechischen Mythologie, um das eigenartige
eschatologische Erlebnis zu schildern: es soll nämlich nicht mit der
Geburt des Christusknaben, die, unter ganz anderen Umständen, schon
längst zuvor erfolgt war, verwechselt werden. Der neugeborene Knabe
wird zwar, in offenkundiger Anlehnung an das »zornige« Lamm, d. h.
an den apokalyptischen Christus, als ein Duplikat desselben, nämlich
als einer, der »die Heiden mit eisernem Stabe weiden« soll,
charakterisiert. Er wird also an die vorherrschenden Hass- und
Rachegefühle assimiliert, so dass es den Anschein hat, als ob er,
überflüssigerweise, das Strafgericht noch in einer fernen Zukunft
fortsetzen würde. Das passt insofern nicht, als das Lamm bereits mit
dieser Aufgabe betraut ist und letztere, im Verlaufe der Offenbarung,
auch zu Ende führt, ohne dass der neugeborene Knabe irgendwann eine
Gelegenheit zu eigenem Handeln hätte. Er kehrt nirgends wieder. Ich
bin deshalb geneigt anzunehmen, dass, wenn dessen Charakterisierung
als Rachesohn keine deutende Interpolation sein sollte, sie dem
Apokalyptiker als geläufige Phrase und zugleich als ihm naheliegende
Deutung in die Feder geflossen ist. Dies ist umso wahrscheinlicher,
als unter den damaligen Umständen dieses Intermezzo kaum irgendwie
anders hätte verstanden werden können, obschon die Deutung völlig
sinnlos ist. Wie ich oben schon bemerkte, bildet die
Sonnenweibepisode einen Fremdkörper im Flusse der Visionen. Es
dürfte daher nicht abwegig sein, zu vermuten, dass schon der
Verfasser der Apokalypse und, wenn nicht dieser, dann ein perplexer
Abschreiber das Bedürfnis empfand, diese offenkundige
Christusparallele irgendwie zu deuten, bzw. dem Gesamttext
anzugleichen. Das konnte leicht mit dem geläufigen Bilde vom Hirten
mit dem eisernen Stabe geschehen. Ein anderer Zweck dieser
Assoziation wäre mir unerfindlich.
Der
Knabe wird zu Gott, seinem offenkundigen Vater, entrückt, und die
Mutter wird in der Wüste verborgen, womit wohl angedeutet sein soll,
dass es sich um eine vorderhand auf unbestimmte Zeit latente Gestalt
handelt, deren spätere Wirksamkeit noch vorbehalten ist. Die
Hagargeschichte dürfte hier präfigurierend sein. Die relative
Ähnlichkeit dieser Geschichte mit der Geburtslegende Christi will
offenbar nur bedeuten, dass die neuere Geburt ein analoges Ereignis
dazu darstellt und zwar vermutlich in derselben Weise, wie die zuvor
geschilderte Inthronisierung des Lammes in seiner metaphysischen
Herrlichkeit, wobei dieser Akt schon längst, nämlich zur Zeit der
Himmelfahrt, stattgefunden haben muss. In gleicher Weise ist
geschildert, wie der Drache, d. h. der Teufel, auf die Erde geworfen
wird, wo doch Christus den Satanssturz ebenfalls schon viel früher
beobachtet hat. Diese merkwürdige Wiederholung oder Verdoppelung der
für das Christusleben charakteristischen Ereignisse lassen die
Vermutung aufkommen, dass ein zweiter, endzeitlicher Messias zu
erwarten sei. Es kann sich dabei nicht um ein Wiederkommen von
Christus selber handeln, denn er würde ja »in den Wolken des
Himmels« kommen, nicht aber ein zweites Mal geboren
werden, und dazu noch
aus einer Sonne-Mondkonjunktion. Der endzeitlichen Epiphanie (Anm.:
Erscheinung des Herrn) entspricht vielmehr der Inhalt von Apok. I
oder XIX, II ff. Die Tatsache, dass Johannes bei der
Geburtsschilderung den Apollo-Letomythus benützt, dürfte ein
Fingerzeig sein: im Gegensatz zur christlichen Tradition handelt es
sich bei der Vision um ein Produkt des Unbewussten
(Man kann es zwar für wahrscheinlich halten, dass Johannes den
Letomythus kannte und dieser ihm daher bewusst war. Unbewusst und
unerwartet aber war ihm wohl die Möglichkeit, dass sein Unbewusstes
diesen heidnischen Mythus zur Charakterisierung der Geburt des
zweiten Messias benützen würde).
Im Unbewussten aber ist alles vorhanden, was im Bewusstsein verworfen
wird, und je christlicher das Bewusstsein ist, desto heidnischer
gebärdet sich das Unbewusste, wenn nämlich im verworfenen Heidentum
noch lebenswichtige Werte stecken, d. h. wenn das Kind (wie es so
häufig geschieht) mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Das Unbewusste
isoliert und differenziert seine Objekte nicht, wie das Bewusstsein
es tut. Es denkt nicht abstrakt oder abgesehen vom Subjekt: die
Person des Ekstatikers und Visionärs ist stets einbezogen und
einbegriffen. In diesem Falle ist es Johannes selber, dessen
unbewusste Persönlichkeit mit Christus annähernd identifiziert ist,
d. h. er wird ähnlich geboren wie dieser, und zu ähnlicher
Bestimmung. Johannes ist vom Archetypus des göttlichen Sohnes
ergriffen und sieht daher dessen Wirken im Unbewussten oder, mit
anderen Worten, wie Gott im (zum Teil heidnischen) Unbewussten
wiederum gehören wird, ununterscheidbar vom Selbst des Johannes,
indem das »göttliche Kind« Symbol des einen wie des anderen ist,
gleicherweise wie Christus. Das Bewusstsein eines Johannes war
allerdings fern davon, Christum als Symbol aufzufassen. Für den
gläubigen Christen stellt dieser alles dar, nur kein Symbol,
d. h. einen
Ausdruck für etwas Unerkenn- bzw. noch nicht Erkennbares.
Und doch ist dem
natürlicherweise so. Christus hätte seinen Gläubigen keinen
Eindruck gemacht, wenn er nicht zugleich etwas, das in ihrem
Unbewussten lebte und am Werke war, ausgedrückt hätte. Das
Christentum selber hätte sich in der antiken Welt nicht mit dieser
erstaunlichen Schnelligkeit ausgebreitet, wenn seiner
Vorstellungswelt nicht eine analoge psychische Bereitschaft entgegen
gekommen wäre. --
Diese Begründung spiegelt nur eine völlige Missachtung der
historischen Ereignisse. Bis zum römischen Kaiser Konstantin war
Christentum ein absolutes Minderheitenprogramm. Erst dessen Ausnutzen
des Christentums für seine politischen Zwecke machte das Christentum
zur Staatsreligion und damit zur Staatsdoktrin, die auch mit Gewalt
durchgesetzt wurde. Auch die weitere Verbreitung des Christentums ist
vor allem eine Geschichte der Zwangsmissionierung. -- Diese
Tatsache ist es, die auch die Aussage ermöglicht, dass wer an
Christus glaubt, nicht nur in ihm enthalten ist, sondern Christus
wohnt dann auch im Gläubigen als der gottebenbildliche, vollkommene
Mensch, der Adam secundus. Es handelt sich dabei psychologisch um
dasselbe Verhältnis, welches in der indischen Anschauung die
Beziehung von Purusha-Atman zum menschlichen Ich-Bewusstsein
darstellt. Es ist die Überordnung des »vollkommenen« (CELELOS),
d. h. ganzheitlichen
Menschen, der aus der Totalität der Psyche, also aus Bewusstsein und
Unbewusstem, besteht, über das Ich, welches nur das Bewusstsein und
dessen Inhalte repräsentiert, das Unbewusste aber nicht kennt,
obschon es davon in mannigfacher Hinsicht abhängt und sehr oft
entscheidend beeinflusst wird. Es ist die Beziehung vom Selbst zum
Ich, das sich in der Relation Christus-Mensch widerspiegelt. Daher
stammen die unverkennbaren Analogien zwischen gewissen indischen und
christlichen Anschauungen, die Anlass zur Vermutung von indischen
Einflüssen auf das Christentum gegeben haben.
Dieser
in Johannes bisher latente Parallelismus bricht in Gestalt einer
Vision in das Bewusstsein ein. Dass dieser Einbruch authentisch ist,
sieht man an der, für einen damaligen Christen höchst
unwahrscheinlichen, Benützung heidnischen Mythenmaterials, bei dem
sogar astrologische Einflüsse wahrscheinlich sind. Daraus dürfte
sich auch die durchaus »heidnische« Bemerkung »und die Erde half
dem Weibe« erklären. Wenn schon das damalige Bewusstsein
ausschließlich von christlichen Vorstellungen erfüllt war, so lagen
doch die früheren bzw. zeitgenössischen heidnischen Inhalte gleich
unter der Schwelle, wie dies z. B. auch bei S. Perpetua der Fall war.
Bei einem Judenchristen - ein
solcher war wohl der Verfasser der Apokalypse -
kommt als Vorlage noch die
kosmische Sophia in Betracht, auf welche Johannes sich einige Male
bezieht. Sie könnte unschwer als Mutter des göttlichen
Kindes
(Der Sohn würde dann dem filius sapientiae des Mittelalters
entsprechen)
gelten, da sie offenbar ein
Weib im Himmel ist, d. h. eine Göttin und Gefährtin eines Gottes.
Sophia entspricht dieser Definition, ebenso die erhöhte Maria. Wäre
unsere Vision ein moderner Traum, so würde man nicht zögern, die
Geburt des göttlichen Kindes als das Bewusstwerden
des Selbst zu deuten. Im
Falle des Johannes hat die Glaubenseinstellung des Bewusstseins eine
Rezeption des Christusbildes in das Material des Unbewussten bewirkt,
den Archetypus der göttlichen Jungfrau-Mutter und der Geburt ihres
Sohn-Geliebten belebt und mit dem christlichen Bewusstsein zur
Konfrontation gebracht. Damit wird Johannes persönlich in das
göttliche Geschehen einbezogen.
Sein
von negativen Gefühlen getrübtes Christusbild ist allerdings zu dem
eines grausamen Rächers geworden, der eigentlich mit einem Erlöser
gar nichts mehr zu tun hat. Man ist nicht allzu sicher, ob nicht am
Ende diese Christusgestalt mehr vom Menschen Johannes mit dessen
kompensierendem Schatten an sich hat, als vom göttlichen Erlöser,
der als lumen de lumine »keine Finsternis« in sich enthält. Schon
die groteske Paradoxie des »zornigen« Lammes hätte uns auf diesen
Verdacht bringen können. Man kann es drehen und wenden wie man will,
im Lichte des Evangeliums der Liebe gesehen ist und bleibt der Rächer
und Richter eine finstere Gestalt. Man darf auch
vermuten, dass hierin der Grund liegt, der Johannes mag bewogen
haben, den neugeborenen Knaben an die Rächergestalt zu assimilieren
und damit dessen mythologischen Charakter als den eines lieblichen
und liebenswerten Götterjünglings, wie er uns in der Gestalt eines
Tammuz, Adonis oder Balders entgegentritt, zu verwischen. Die
bezaubernde frühlingshafte Schönheit des göttlichen Knaben stellt
eben einen jener antiken Werte dar, welche das Christentum und
insbesondere die düstere Welt des Apokalyptikers so sehr vermissen
lassen, den unbeschreiblichen Morgenglanz eines Frühlingstages, der
nach des Winters Totenstarre die Erde grünen und blühen und des
Menschen Herz froh sein und an einen liebenden gütigen Gott glauben
lässt.
Als
Ganzheit ist das Selbst per definitionem immer eine complexio
oppositorum (Anm. Vereinigung der Gegensätze), und seine
Erscheinungsweise ist umso dunkler und drohender, je mehr das
Bewusstsein sich Lichtnatur vindiziert (Anm.: rechtssprachlich: als
Eigentümer vom Besitzer einer Sache die Aushändigung fordern) und
daher auf moralische Autorität Anspruch erhebt. Man darf bei
Johannes derartiges annehmen, denn er war ein Hirt seiner Herde und
obendrein auch ein Mensch und darum fehlbar. Wäre die Apokalypse
eine sozusagen persönliche Angelegenheit des Johannes, und daher
nichts als ein Ausbruch persönlichen Ressentiments, so hätte die
Gestalt des zornigen Lammes diesem vollends Genüge getan. Rebus sic
stantibus (Anm.: bei so bewandten Umständen) hätte der neugeborene
Knabe einen wahrnehmbar positiven Aspekt haben müssen, denn er
hätte, seiner ganzen symbolischen Natur nach, die unleidliche
Verwüstung, welche der Ausbruch zurückgedrängter Leidenschaften
angerichtet hatte, kompensiert; war er doch das Kind der conjunctio
oppositorum, der sonnerfüllten Tag und der lunaren Nachtwelt. Er
hätte als Mediator zwischen dem liebevollen und dem rachsüchtigen
Johannes vermittelt und wäre damit ein wohltätig ausgleichender
Erlöser gewesen. Dieser positive Aspekt muss Johannes aber entgangen
sein, sonst hätte er das Kind nicht als mit dem rächenden Christus
auf einer Linie stehend auffassen können.
Das
Problem des Johannes ist aber kein persönliches. Es handelt sich
nicht um sein persönliches Unbewusstes und um einen launenhaften
Ausbruch, sondern um Gesichte, die einer größeren und umfassenderen
Tiefe entsteigen, nämlich dem kollektiven Unbewussten. Die
Problematik des Johannes drückt sich zu viel in kollektiven und
archetypischen Formen aus, als dass es erlaubt wäre, sie auf eine
bloß persönliche Situation zu reduzieren. Das wäre nicht nur zu
billig, sondern auch praktisch wie theoretisch unrichtig. Johannes
war als Christ ergriffen von einem kollektiven, archetypischen
Geschehen und muss daher vor allem und in erster Linie aus diesem
erklärt werden. Gewiss hatte er auch seine persönliche Psychologie,
in die wir, 'wenn wir den Verfasser der Briefe und den Apokalyptiker
für eine und dieselbe Person halten dürfen, sogar einigen Einblick
haben. Dass die imitatio Christi im Unbewussten einen entsprechenden
Schatten erzeugt, dafür haben wir genügend Beweise. Die Tatsache,
dass Johannes überhaupt Visionen hatte, ist schon ein Beweis für
eine ungewöhnliche Gegensatzspannung zwischen dem Bewusstsein und
dem Unbewussten. Wenn er identisch ist mit dem Verfasser der Briefe,
so muss er bei der Abfassung der Apokalypse schon in höchstem Alter
gestanden haben. In confinio mortis (Anm.: an der Grenzscheide des
Todes) und am Abend eines langen, inhaltsreichen Lebens eröffnet
sich der Blick oft in ungeahnte Fernen. Ein solcher Mann lebt nicht
mehr in den Interessen des Alltags und den Peripetien
(Als Peripetie, - von altgr.:
περιπέτεια, peripeteia, plötzlicher Umschlag, unerwartetes
Unglück/Glück; im Drama: durch plötzlichen Umschlag bewirkte
Lösung des Knotens- bezeichnet man ein Umschlagen des
Glücks/Unglücks oder den entscheidenden Wendepunkt im Schicksal
eines Menschen) persönlicher
Beziehungen, sondern in der Schau über weite Zeiträume und in der
saecularen Bewegung der Ideen. Das Auge des Johannes dringt in die
ferne Zukunft des christlichen Aeons und in die dunkle Tiefe jener
Mächte, denen sein Christentum die Waage hält. Was in ihm
aufbricht, ist der Sturm der Zeiten, die Ahnung einer ungeheuerlichen
Enantiodromie, die er nicht anders verstehen kann, denn als eine
endgültige Vernichtung jener Finsternis, die das Licht, das in
Christo erschienen war, nicht begriffen hatte. Er sah aber nicht,
dass die Macht der Zerstörung und Rache eben gerade jene Finsternis
ist, von welcher sich der menschgewordene Gott abgespalten hatte. Er
konnte darum auch nicht verstehen, was jenes Sonne-Mondkind
bedeutete, welches er nur als eine weitere Rachefigur zu begreifen
vermochte. Die Leidenschaft, die in seiner Offenbarung durchbricht,
lässt nichts ahnen von der Mattigkeit oder Abgeklärtheit des hohen
Alters, denn sie ist unendlich viel mehr als persönliches
Ressentiment; sie ist der Geist Gottes selber, der durch die schwache
sterbliche Hülle dringt und wiederum die Furcht
der Menschen vor der
unabsehbaren Gottheit fordert. --
Warum wohl erscheinen Christen immer christliche Glaubensinhalte,
Buddhisten buddhistische, Hinduisten eine deren zahllose Gottheiten,
etc., etc. und nicht einem Christen z.B. die Göttin Kali und einem
Buddhisten Christus? Weil dies alles zutiefst menschliche
Vorstellungen sind, die von der persönlichen Inkulturation bestimmt
werden. D.h., sie werden "mit der Muttermilch und dem
Vatergeschwätz eingesogen". ---
Der
Strom negativer Gefühle scheint unerschöpflich zu sein und die
schlimmen Ereignisse nehmen ihren Fortgang. Aus dem Meere kommen
»gehörnte« (mit Macht begabte) Ungeheuer als weitere Ausgeburten
der Tiefe. Dieser Übermacht von Finsternis und Zerstörung gegenüber
wird es begreiflich, wenn das verängstigte menschliche Bewusstsein
nach einem Berge der Rettung, einem Punkte der Ruhe und Sicherheit
Ausschau hält. Johannes flicht daher passenderweise eine Vision des
Lammes auf dem Berge Zion ein (Kap. XIV), wo die 144000 Erwählten
und Geretteten um das Lamm versammelt
sind.
Es
sind παρδένοι,
(pardenoi) die
Jungfräulichen, »die sich nie mit Frauen befleckt haben«. Es sind
die, welche, in der Nachfolge des frühsterbenden Gottessohnes, nie
zu ganzen Menschen geworden sind, sondern der Teilnahme am
menschlichen Schicksal freiwillig entsagt und damit zur Fortsetzung
der Existenz auf der Erde Nein gesagt
haben
(Sie gehören eigentlich in den Kult der großen Mutter, indem sie
den entmannten Galloi derselben entsprechen. Vgl. dazu die seltsame
Stelle Matth. XIX, 12, wo von Eunuchen die Rede ist, die sich .um des
Himmelsreiches willens selber kastriert haben, wie die
Kybelepriester, die in der Nachfolge ihres Sohngottes Attis sich
selbst zu entmannen pflegten).
Könnten sich alle zu diesem Standpunkt bekehren, so wäre die
Kreatur Mensch in wenigen Jahrzehnten ausgerottet. Der
Vorausbestimmten sind aber relativ wenige. Johannes glaubt an die
Prädestination in Übereinstimmung mit höherer Autorität. Das ist
ungeschminkter Pessimismus.
»Denn
alles was entsteht
Ist
wert, dass es zugrunde geht«,
sagt
Mephisto.
Die
nur einigermaßen tröstliche Aussicht wird sofort wieder von den
warnenden Engeln unterbrochen. Der erste verkündet ein »ewiges
Evangelium«, dessen Quintessenz lautet: »Fürchtet Gott!« Von der
Liebe Gottes ist nicht mehr die Rede. Gefürchtet wird nur das
Furchtbare.
Der
Menschensohn hält in den Händen eine scharfe Sichel und hat einen
Helfer, der ebenfalls eine Sichel handhabt.
Die Weinernte aber besteht in einem Blutbad sondergleichen: »Es
floss Blut aus der Kelter (in welcher die Menschen eingestampft
werden) bis an die Zügel der Pferde, sechzehnhundert Stadien weit.«
Aus
dem himmlischen Tempel treten die sieben Engel mit den Zornschalen,
die sie nunmehr über die Welt ausschütten. Das Hauptstück bildet
die Vernichtung der großen Buhlerin Babylon, des Gegenstückes zur
himmlischen Jerusalem. Babylon bildet die chthonische Entsprechung
zum Sonnenweibe Sophia, allerdings mit Umkehrung des moralischen
Vorzeichens. Wenn sich die Erwählten zu Ehren der großen Mutter
Sophia in »Jungfrauen« verwandeln, so wird im Unbewussten zur
Kompensation eine greuliche Unzuchtsphantasie erzeugt. Die
Vernichtung der Babylon bedeutet daher nicht nur die Ausrottung der
Unzucht, sondern die Aufhebung der Lebenslust überhaupt, wie aus
Apok. XVIII, 22 zu ersehen ist: »Und ein Ton von Harfenspielern und
Musikern und Flötenspielern und Trompetenbläsern wird nicht mehr in
dir gehört werden, und kein Künstler in irgend einer Kunst wird
mehr in dir gefunden werden . . .und das Licht der Lampe wird nicht
mehr in dir scheinen, und die Stimme des Bräutigams wird nicht mehr
in dir vernommen werden ...« Da wir gegenwärtig in der Endzeit des
christlichen Aeons der Fische leben, so kann man nicht umhin des
Verhängnisses, das unsere moderne Kunst erreicht hat, zu gedenken.
Symbole
wie Jerusalem, Babylon etc. sind natürlich stets überdeterminiert,
d. h. sie haben mehrere Bedeutungsaspekte und können daher nach
verschiedenen Richtungen gedeutet werden. Ich beschränke mich auf
den psychologischen Aspekt. Die möglichen Beziehungen zur damaligen
Zeitgeschichte will ich nicht beurteilen.
Der
Untergang aller Schönheit und Lebensfreude, das unvorstellbare Leid
der ganzen Kreatur, die einstmals aus der Hand eines
verschwenderischen Schöpfers hervorgegangen war, gäbe wohl einem
fühlenden Herzen Anlass zu tiefster Melancholie. Johannes aber
schreibt: »Frohlocke über sie, du Himmel und ihr Heiligen und ihr
Apostel und ihr Propheten; denn Gott hat euch an ihr (der Babylon)
gerächt«, woraus zu ersehen ist, wie weit die Rachsucht und
Zerstörungslust geht, und was der »Pfahl im Fleische« ist.
Christus
als der Heerführer der Engel ist es, der »die Kelter des Zornweins
des Grimms des allmächtigen Gottes« tritt. Sein Gewand ist »in
Blut getaucht«. Er reitet auf einem weißen
Pferde
(Hier könnte ebenfalls astrologische Spekulation über die zweite
Hälfte des christlichen Aeons in Frage kommen, nämlich Pegasus als
Paranatellon des Aquarius)
und mit dem Schwerte, das
aus seinem Munde geht, tötet er das Tierund mit ihm den »falschen
Propheten«, vermutlich seine oder des Johannes dunkle
Widerspiegelung oder Entsprechung, d. h. also den Schatten.
Der Satan wird in die
Unterwelt eingeschlossen auf 1000
Jahre und ebensolange
wird Christus herrschen. »Nachher
aber muss er (Satan) auf kurze Zeit losgelassen werden.« Die 1000
Jahre entsprechen
astrologisch der ersten Hälfte des Fischaeons. Die Freilassung des
Satan nach dieser Zeit, wofür man sich wirklich keinen anderen Grund
ersinnen könnte, entspricht der Enantiodromie des christlichen
Aeons, d. h. dem Antichristus, dessen Kommen aus astrologischen
Gründen vorausgesagt werden konnte. Nach Ablauf einer nicht näher
angegebenen Frist wird der Teufel schließlich auf ewig in den
Feuersee geworfen (aber nicht völlig vernichtet, wie bei Henoch),
und die ganze ursprüngliche Schöpfung verschwindet.
Nun
kann der schon XIX, 7 angekündigte Hierosgamos, die Hochzeit des
Lammes mit »seinem Weibe«, stattfinden. Die Braut ist das vom
Himmel herabkommende neue Jerusalem. »Ihre Leuchte ist gleich dem
kostbarsten Edelstein, wie ein kristallheller Jaspis.« Die Stadt
bildet ein gleichseitiges Viereck und besteht aus Goldglas, ebenso
ihre Straße. Gott selber und das Lamm sind der Tempel in ihr und die
Quelle unaufhörlichen Lichtes. Es gibt keine Nacht mehr, und
Unreines kann nicht in die Stadt eindringen. (Diese nochmalige
Versicherung beschwichtigt einen noch immer nicht ganz zur Ruhe
gekommenen Zweifel!) Vom Throne der Gottheit fließt die Quelle des
Lebenswassers, und dabei stehen die Lebensbäume, womit auf das
Paradies und die pleromatische Präexistenz hingewiesen ist.
Diese
Schlussvision, die, wie bekannt, auf das Verhältnis der Kirche zu
Christus gedeutet wird, hat die Bedeutung eines »vereinigenden
Symbols« und stellt darum Vollkommenheit und Ganzheit dar; daher die
Quaternität, die sich in der Stadt als Quadratur, beim Paradies in
den vier Strömen, bei Christus in den vier Evangelisten, und bei
Gott in den vier Lebewesen ausdrückt. Während der Kreis die Rundung
des Himmels und das allumfassende Wesen der (pneumatischen) Gottheit
bedeutet, bezieht sich das Quadrat auf
die Erde
(In China ist Himmel =rund und Erde =viereckig).
Der Himmel ist männlich,
die Erde aber weiblich. Daher thront Gott im Himmel, die Weisheit
aber auf der Erde, wie sie bei Jesus Sirach (XXIV, 11)
sagt: »In der Stadt, die
er liebt, wie mich, ließ ich mich nieder und in Jerusalem übte ich
meine Macht aus.« Sie ist die »Mutter der edeln Liebe“ und wenn
Johannes Jerusalem als die Braut darstellt, so lehnt er sich wohl an
Jesus Sirach an. Die Stadt ist die Sophia, die vor aller Zeit schon
bei Gott war und in der Endzeit durch die heilige Hochzeit Gott
wieder verbunden wird. Sophia koinzidiert (Anm.: zusammenfallen,
-treffen) als das Weibliche mit der Erde, von der, wie ein
Kirchenvater sagt, Christus entsprungen ist, daher mit der
Quaternität der Gotteserscheinung bei Ezechiel, nämlich den vier
lebendigen Wesen. Ahnlich wie die Sophia die Selbstreflexion Gottes
bedeutet, so stellen die vier Seraphim das Bewusstsein Gottes mit
seinen vier funktionellen Aspekten dar. Darauf weisen auch die vielen
wahrnehmenden Augen, welche in den Vier zusammengefasst sind. Es
handelt sich um eine vierteilige Synthese der unbewussten
Luminositäten, entsprechend der Tetramerie des lapis philosophorum,
an welchen die Schilderung der himmlischen Stadt erinnert: alles
funkelt von Edelstein, Kristall und Glas, ganz entsprechend der oben
erwähnten Gottesvision. Wie der Hierosgamos Jahwe und Sophia (in der
Kabbala =Schechinah) vereinigt und damit den pleromatischen
Anfangszustand wiederherstellt, so weist auch die parallele
Schilderung von Gott und Stadt auf ihre gemeinsame Natur hin: sie
sind ursprünglich eines; ein hermaphroditisches Urwesen, ein
Archetypus von größter Universalität.
Zweifellos
soll dieses Ende eine endgültige Lösung des furchtbaren Konfliktes
der Existenz überhaupt bedeuten. Die Lösung besteht aber nicht in
der Versöhnung der Gegensätze, sondern in deren endgültiger
Auseinanderreißung, wobei die Menschen, die dazu bestimmt sind, sich
dadurch retten können, dass sie sich mit der lichten pneumatischen
Seite Gottes identifizieren. Eine unerlässliche Bedingung scheint
die Verweigerung der Fortpflanzung und des Geschlechtslebens
überhaupt zu sein.
--
C.G.Jung ist (war) Christ und das sei ihm unbenommen. Dazu gibt es
von mir nichts zu sagen, da die religiöse Überzeugung eines jeden
Menschen für mich dessen ureigenste Angelegenheit ist, die ich
solange nicht zu kommentieren habe, als dieser mich nicht in meinem
Lebensvollzug durch eben diese Überzeugung tangiert. Trotzdem muss
ich festhalten, dass die in diesem Kapitel skizzierten Gedanken ganz
offenbar die Lebensrealität von Jung sind und darum auch ihn
benötigen, um real zu sein. So wie meine Gedanken mich benötigen,
um real zu sein. Für mich ist das alles nichts als Spekulation, die
ganz offensichtlich aus der Zusammenschau von Jungs ungeheurem
Detailwissen über die verschiedensten Mythologien entsteht, weil er
annimmt, dass alles was zahllose Generationen vor uns aufgeschrieben
haben auch bedeutsam ist. Ich gehe hingegen davon aus, dass sehr
vieles davon nur Treibsand ist, weil Menschen einfach überleben
wollen und ihnen dazu jedes auch noch so anrüchige Mittel recht ist.
Dies war sicherlich die Lebensrealität dieser Menschen, ist aber für
uns heutige bestenfalls als Beispiel für die zahllosen möglichen
Irrungen von Menschen dienlich.--
Die
Apokalypse ist einerseits so persönlich und andererseits so
archetypisch und kollektiv, dass man wohl beide Aspekte in Betracht
ziehen muss. Das moderne Interesse würde sich gewiss der Person des
Johannes zunächst zuwenden. Wie bereits angedeutet, ist es nicht
unmöglich, dass Johannes, der Verfasser der Briefe, mit dem
Apokalyptiker identisch ist. Der psychologische Befund spricht
zugunsten dieser Annahme. Die »Offenbarung« wurde von einem frühen
Christen erlebt, der vermutlich als Autorität ein vorbildliches
Leben führen und einer Gemeinde die christlichen Tugenden des
richtigen Glaubens, der Demut, Geduld, Hingebung, der selbstlosen
Liebe und der Entsagung aller Weltlüste demonstrieren musste. Das
kann auf die Dauer auch dem Besten zuviel werden. Reizbarkeit, üble
Launen und Affektausbrüche stellen die klassischen Symptome der
chronischen Tugendhaftigkeit
dar
(Christus gab dem Apostel Johannes nicht mit Unrecht den Zunamen:
»Sohn des Donners«).
In Bezug auf seine
christliche Einstellung erleuchten uns wohl am besten seine eigenen
Worte: »Geliebte, lasset uns einander lieben, denn die Liebe ist aus
Gott, und jeder, der liebt, ist aus Gott gezeugt und erkennt Gott.
Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe ...
Darin besteht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern
dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühneopfer
für unsere Sünden gesandt hat. Geliebte, wenn Gott uns so geliebt
hat, sind auch wir verpflichtet, einander zu lieben ... Und wir haben
erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist Liebe,
und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in
ihm ...Furcht ist nicht in der Liebe .. . Wer sich aber fürchtet,
ist nicht zur Vollkommenheit in der Liebe gelangt ... Wenn jemand
sagt: Ich liebe Gott und doch seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner
. . . Und dieses Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, auch
seinen Bruder lieben soll.« Wer aber hasst die Nicolaiten? Wer ist
rachsüchtig und will die Isebel sogar aufs Siechbett werfen und ihre
Kinder des Todes sterben lassen? Wer kann sich nicht genug tun an
blutrünstigen Phantasien? Seien wir aber psychologisch genau: es ist
nicht das Bewusstsein des Johannes, das solche Phantasien ersinnt,
sondern sie stoßen ihm in gewalttätiger »Offenbarung« zu; sie
überfallen ihn mit ungewollter und unerwarteter Vehemenz und mit
einer Intensität, welche, wie bereits angedeutet, alles
überschreitet, was wir als Kompensation einer etwas einseitigen
Bewusstseinseinstellung normalerweise erwarten könnten.
Ich
habe viele kompensierende Träume gläubiger Christen gesehen, die
sich über ihre wirkliche seelische Beschaffenheit täuschten und
sich in einer anderen Verfassung wähnten, als es der Wirklichkeit
entsprach. Aber ich habe nichts gesehen, das auch nur im
Entferntesten mit der brutalen Gegensätzlichkeit der johanneischen
Offenbarung verglichen werden könnte. Es sei denn, dass es sich um
eine schwere Psychose handelte. Zu einer derartigen Diagnose gibt
aber Johannes keinen Anlass. -- Diese
Feststellung ist eine typische Jung'sche Anmaßung. Er stellt den
Gesundheitszustand einer Person fest, die nahezu 1900 Jahre vor ihm
gestorben ist. So wie er auch in anderen Schriften psychologische
Diagnosen über Künstler und deren Werke abgibt, Ferndiagnosen, die
aus der maßlosen Überheblichkeit eines Menschen resultiert, der
glaubt, mit einigen zumindest
hinterfragbaren Erkenntnissen die Welt erklären zu können, eine
Charaktereigenschaft, die er bei aller sonstigen Verschiedenheit mit
Freud teilt. -- Dazu ist die Apokalypse nicht verworren genug,
zu konsequent, nicht subjektiv und skurril genug. Ihre Affekte sind,
in Ansehung ihres Gegenstandes, adäquat. Ihr Verfasser braucht kein
unbalancierter Psychopath zu sein. Es genügt, dass er ein
leidenschaftlich religiöser Mensch mit einer im übrigen geordneten
Psyche ist. Er muss aber ein intensives Verhältnis zu Gott haben,
das ihn für einen alles Persönliche weit überschreitenden Einbruch
offen legt. Der wirklich religiöse Mensch, dem zugleich die
Möglichkeit einer ungewöhnlichen Bewusstseinsausweitung in die
Wiege gelegt ist, muss solche Gefahren gewärtigen.
Der
Zweck der apokalyptischen Visionen besteht ja nicht darin, den
gewöhnlichen Menschen Johannes wissen zu lassen, wie viel Schatten
er unter seiner Lichtnatur birgt, sondern dem Seher den Blick für
die Unermesslichkeit Gottes aufzutun, denn wer liebt, wird Gott
erkennen. Man kann sagen, eben weil Johannes Gott liebte und sein
Möglichstes tat, auch seine Mitmenschen zu lieben, sei ihm die
»Gnosis«, die Gotteserkenntnis, zugestoßen und er hat, wie Hiob,
die wilde Furchtbarkeit Jahwes geschaut, darum sein Evangelium der
Liebe als einseitig erlebt und durch das der Furcht ergänzt: Gott
kann geliebt und muss gefürchtet werden.
Damit
weitet sich das Gesichtsfeld des Sehers weit über die erste Hälfte
des christlichen Aeons hinaus: er ahnt, dass nach 1000 Jahren der
antichristliche Zeitabschnitt beginnen wird, ein deutliches Anzeichen
dafür, dass Christus nicht unbedingter Sieger ist. Johannes
antizipiert die Alchemisten und Jacob Boehme; er fühlt vielleicht
seine persönliche Implikation im göttlichen Drama, indem er die
Möglichkeit der Gottesgeburt im Menschen, welche die Alchemisten,
Meister Eckhart und Angelus Silesius ahnten, vorwegnahm. Er umriss
damit das Programm des gesamten Fischaeons mit dessen dramatischer
Enantiodromie und dessen dunklem Ende, das wir noch nicht erlebt
haben, und vor dessen wahrhaft und unübertrieben apokalyptischen
Möglichkeiten die Menschheit schaudert: die vier unheimlichen
Reiter, die drohenden Posaunenstöße und die auszuschüttenden
Zornschalen warten schon oder noch: die Atombombe hängt über uns
wie ein Damoklesschwert, und dahinter lauern die unvergleichlich
furchtbareren Möglichkeiten des chemischen Luftkrieges, der selbst
die Gräuel der Apokalypse in den Schatten stellen könnte -Luciferi
vires accendit Aquarius acres. Wer möchte im Ernste behaupten, dass
Johannes wenigstens die Möglichkeiten, die in der Endzeit des
christlichen Aeons unsere Welt unmittelbar bedrohen, nicht richtig
vorausgesehen habe? Er weiß auch, dass im göttlichen Pleroma das
Feuer, in welchem der Teufel gepeinigt wird, auf ewig besteht: Gott
hat einen furchtbaren Doppelaspekt: ein Meer der Gnade stößt an
einen glühenden Feuersee, und das Licht der Liebe überstrahlt eine
dunkle Glut, von der es heißt: ardet non lucet (Anm.: brennt aber
leuchtet nicht). Das ist das ewige Evangelium (im Gegensatz zum
zeitlichen): man kann Gott lieben und muss ihn fürchten.
--
Die Apokalypse ist eine religiöse Schrift, die man glauben kann oder
auch nicht. Sie mit politischen Wirren der Gegenwart zu kombinieren,
die eigenen Ängste hinzu zu mischen und auch noch den ganzen Wust
ausschließlich selbstreferenziellen mythologischen Wissens dazu zu
werfen gerät leicht ins Lächerliche. Jung erweist sich hier einen
Bärendienst. ---
Die
Apokalypse, die mit Recht am Ende des Neuen Testamentes steht, greift
über dieses hinaus in eine Zukunft, die mit allen apokalyptischen
Schrecken in greifbarer Nähe steht. Der Entschluss eines
unbesonnenen Momentes in einem herostratischen (Anm.: ruhmsüchtig zu
Verbrechen bereit) Kopfe kann genügen, um die Weltkatastrophe
auszulösen. Der Faden, an dem unser Schicksal hängt, ist dünn
geworden. Nicht die Natur, sondern der »Genius der Menschheit« hat
sich den fatalen Strick geknüpft, mit dem er sich jederzeit
exekutieren kann. Es ist dies nur eine andere facon de parler (Anm.:
Sprechweise), als wenn Johannes vom »Zorn Gottes« spricht. --
Jung hat Angst, nach der Erfahrung, zwei Weltkriege dank seines
Schweizertums unbeschadet überstanden zu haben, dass dies im Falle
eines nicht von der Hand zu weisenden atomaren Supergaus nicht mehr
möglich sein könnte. Er übersieht aus Mangel an Empathie, dass
zahllose Menschen diese Weltkatastrophe als persönliche Erfahrung
zum Tode hin in diesen beiden Kriegen in allen nur denkbaren
grässlichen Varianten durchlitten haben.
Diese Menschen können uns nicht mehr berichten, weil sie tot sind.
Wir können nur jenen Menschen zuhören, die durch "glückliche(???)
Zufälle" dieses Grauen zwar vielleicht körperlich halbwegs
heil aber zumeist so traumatisiert überlebt haben, dass sie erst
Jahrzehnte später in die Lage kommen, darüber sprechen zu können.
--
Leider
haben wir kein Mittel, uns zu vergegenwärtigen, wie sich Johannes,
falls er, wie ich vermute, mit dem Verfasser der Briefe identisch
ist, mit dem Doppelaspekt Gottes auseinandergesetzt haben würde. Es
ist wohl ebenso gut möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass ihm kein
Gegensatz auffiel. Es ist überhaupt erstaunlich, wie wenig man sich
mit numinosen Gegenständen auseinandersetzt, und wie mühsam die
Auseinandersetzung ist, wenn man sich einmal daran wagt. Die
Numinosität des Gegenstandes erschwert dessen denkerische
Behandlung, indem die Affektivität immer mit in Frage kommt. Man ist
pro et Contra beteiligt und »absolute Objektivität« ist hier noch
seltener zu erreichen als anderswo. Hat man positive religiöse
Überzeugungen, d. h. »glaubt« man, so empfindet man den Zweifel
als sehr unangenehm und fürchtet ihn auch. Aus diesem Grunde
analysiert man den Gegenstand des Glaubens lieber nicht. Hat man
keine religiösen Anschauungen, so gibt man sich das Gefühl des
Defizites nicht gerne zu, sondern pocht vernehmlich auf seine
Aufgeklärtheit oder deutet wenigstens den edlen Freimut seines
Agnostizismus an. Von diesem Standpunkt aus kann man die Numinosität
des religiösen Gegenstandes kaum zugeben und lässt sich von ihr
nicht weniger am kritischen Denken verhindern, denn es könnte
unangenehmerweise die Möglichkeit eintreten, dass man im Glauben an
die Aufklärung oder an den Agnostizismus erschüttert würde. Beide
fühlen ja, ohne es zu wissen, das Ungenügende ihres Argumentes. Die
Aufklärung operiert mit einem inadäquaten rationalistischen
Wahrheitsbegriff und weist z. B. darauf hin, dass Behauptungen wie
Jungfraugeburt, Gottessohnschaft, Totenauferstehung,
Transsubstantiation etc. Unsinn seien. Der Agnostizismus behauptet,
keine Gottes noch irgendwelche andere metaphysische Erkenntnis zu
besitzen und übersieht, dass man eine metaphysische Überzeugung
niemals besitzt, sondern dass man von ihr
besessen ist. Beide sind von der Vernunft besessen,
welche den indiskutabeln supremen Arbiter (Anm.: Richter, nicht im
Sinne von Justiz, sondern ausrichten) darstellt. Wer aber ist die
»Vernunft«? Warum soll sie suprem sein? Bedeutet nicht das, was
ist und west, eine dem vernünftigen Urteil
überlegene Instanz, wofür die Geistesgeschichte ja so viele
Beispiele aufweist? Unglücklicherweise operieren auch die
Verteidiger des »Glaubens« mit denselben futilen (Anm.: unsicher,
durchlässig; nichtig) Argumenten, nur in umgekehrter Richtung.
Unzweifelhaft ist nur die Tatsache, dass es metaphysische Aussagen
gibt, welche eben um ihrer Numinosität willen affektvoll behauptet
und bestritten werden. Diese Tatsache bildet die sichere empirische
Grundlage, von der man auszugehen hat. Sie ist
objektiv real als psychisches Phänomen. In dieser Konstatierung sind
natürlich schlechthin alle, auch die widerstreitendsten
Behauptungen, die jemals numinos waren oder es noch sind,
einbegriffen. Man wird die Gesamtheit aller religiösen Aussagen zu
berücksichtigen haben.
--
Es gibt Gott und Religion, weil es den Menschen gibt. Ohne Menschen
gibt es weder Gott noch Religion.
Warum?
Unsere
Vernunft ist nicht in der Lage, ohne haarspalterische Verrenkungen
unserm Anfang und Ende einen Sinn beizumessen, weil die Frage nach
diesem Sinn eine Eigenschaft dieser Vernunft ist und darum auch ohne
diese nicht vorhanden ist. Dies ist durchaus vergleichbar den immer
noch vorhandenen nicht auflösbaren diversen mathematischen
Problemen, die nicht a priori da sind sondern eine Eigenschaft des
mathematischen Systems, das ungeachtet seiner Tauglichkeit zu
Beschreibung der Welt in unserem geistigen Koordinatensystem keine
Eigenschaft der Welt sondern unserer Vernunft ist.
Unsere
Vernunft ist auch nicht in der Lage, adäquat mit unserem
Gefühlsleben umzugehen. Es wird allzuoft als Gegenspieler der
Vernunft erlebt. Ihm wird spätestens seit Freud und Jung ein
Eigenleben unterstellt. In der Vergangenheit war dieses Gefühlsleben
allzuoft in Verbindung mit religiösen Vorstellungen vor allem
negativ besetzt.
Da
dieses Gefühlsleben nach heutigen Erkenntnissen zumindest eine
Eigenschaft aller Säugetiere ist, ist davon auszugehen, dass dieses
auch schon vor der Entwicklung unserer Vernunft vorhanden war und
diese nur ein Ersatz (?) für unsere großteils verlorenen gegangenen
Instinkte ist, ein Prozess der sicherlich ein kontinuierlicher war
und auch noch immer ist.
Diese
Gleichzeitigkeit aus nicht hinreichender Vernunft und einem
gefürchteten Gefühlsleben bei gleichzeitigen Verlust der Sicherheit
der Instinkte erzwingt religiöse Vorstellungen, um eine über uns
selbst hinausreichende Sicherheit imaginieren zu können. Das kann
man natürlich als Numinosität bezeichnen oder als metaphysische
Überzeugung. --
Kehren
wir wieder zurück zu der Frage der Auseinandersetzung mit dem durch
den Inhalt der Apokalypse bloßgelegten paradoxen Gottesbegriff ! Das
strikt evangelische Christentum braucht sich nicht damit
auseinanderzusetzen, denn es hat ja als wesentlichen Lehrinhalt einen
Gottesbegriff gebracht, der, im Gegensatz zu Jahwe, mit dem Inbegriff
des Guten koinzidiert (Anm.: zusammenfallen, -treffen). Ein anderes
wäre es allerdings gewesen, wenn der Johannes der Briefe mit dem der
Offenbarung sich hätte auseinandersetzen können oder müssen. Für
die Späteren konnte der dunkle Inhalt der Apokalypse in dieser
Beziehung leicht außer Betracht fallen, denn die spezifisch
christliche Errungenschaft durfte nicht leichtsinnig gefährdet
werden. Für den Menschen der Gegenwart liegt der Fall allerdings
anders. Wir haben Dinge erlebt, so unerhört und erschütternd, dass
die Frage, ob sich solches mit der Idee eines gütigen Gottes noch
irgendwie vereinen lasse, brennend wurde. Es handelt sich dabei nicht
mehr um ein theologisch-fachwissenschaftliches Problem, sondern um
einen allgemein-menschlichen, religiösen Alptraum, zu dessen
Behandlung auch ein theologischer Laie, der ich bin, ein Wort
beitragen kann oder vielleicht auch muss.
Ich
habe im obigen dargelegt, zu was für unvermeidlichen Schlüssen man,
wie mir scheint, gelangen muss, wenn man die Tradition mit kritischem
Commonsense betrachtet. Wenn man nun solchermaßen mit einem
paradoxen Gottesbegriff konfrontiert ist, und zugleich als religiöser
Mensch die ganze Tragweite des Problems ermisst, so befindet man sich
in der Situation des Apokalyptikers, von dem wir voraussetzen dürfen,
dass er ein überzeugter Christ war. Seine mögliche Identität mit
dem Johannes der Briefe enthüllt die ganze Schärfe des
Widerspruchs: In welchem Verhältnis steht dieser Mensch zu Gott? Wie
erträgt er den unerträglichen Widerspruch im Wesen der Gottheit?
Obschon wir nichts von seiner Bewusstseinsentscheidung wissen, so
glauben wir doch in der Vision des gebärenden Sonnenweibes einen
Anhaltspunkt zu finden. -- Hier tritt für Jung
genau das Problem auf, dass auch die Mathematik mit ihren nicht
lösbaren Fragestellungen hat. Es ist ein Problem des Systems, das
außerhalb nicht existiert. Das heißt nichts anderes, als dass diese
Widersprüche menschengemacht sind. Jung ist als Christ nicht in der
Lage, den von ihm zitierten Widerspruch aufzulösen, ohne sich von
seinem Christsein zu lösen. Bei Jung kommt aber noch erschwerend
hinzu, dass seine exzessive Beschäftigung mit mythologischen Texten
auch zweifelhaftester Herkunft, die er über weite Strecken völlig
unhinterfragt für seine Theorien verwendet, da sie seine
Vorstellungen (sic!) von menschlicher Psyche bestätigen und ihn
außerstande setzen, die eigenen Gedankengebäude zu hinterfragen.--
Die
Paradoxie Gottes zerreißt auch den Menschen in Gegensätze und
liefert ihn einem anscheinend unlösbaren Konflikt aus. Was geschieht
nun in einem derartigen Zustand? Hier müssen wir der Psychologie das
Wort lassen, denn sie stellt die Summe aller Beobachtungen und
Erkenntnisse dar, welche sie aus der Empirie schwerer
Konfliktzustände gesammelt hat. Es gibt z. B. Pflichtenkollisionen,
von denen niemand weiß, wie sie zu lösen wären. Das Bewusstsein
weiß nur:
tertium non datur!
(Tertium non datur, ein Drittes ist nicht vorhanden, lautet der
Grundsatz vom ausgeschlossenen Dritten (Principium exclusi tertii seu
medii inter duo contradictoria), nach welchem Urteile, die bei
gleichem Subjekte kontradiktorisch einander entgegengesetzte
Prädikate haben (z.B. A = B, A ist nicht = B), nicht beide falsch
sein können und nicht die Wahrheit eines dritten Urteils zulassen,
so daß eins von beiden wahr sein muß. Aus der Falschheit des einen
folgt daher die Wahrheit des anderen. Denn die Falschheit der
Bejahung ist gleichbedeutend mit der Abweichung der
Vorstellungskombination von der Wirklichkeit, folglich mit der
Wahrheit der Verneinung. Der obige Satz gilt übrigens nur von
kontradiktorischen, nicht von konträren Prädikaten gleicher
Subjekte; diese können beide falsch oder beide richtig sein. Die
Einsicht in dieses Denkgesetz ist Aristoteles (384-322) gerade durch
seine Opposition gegen ein drittes Mittleres aufgegangen, nämlich
gegen Platons sinnliche Dinge, die ein Mittleres zwischen Idee und
Materie sein und auch nicht sein sollten). Der
Arzt rät darum seinen Patienten, abzuwarten, ob nicht das Unbewusste
einen Traum erzeugt, welcher ein irrationales und deshalb
unvorhergesehenes und unerwartetes Drittes zur Lösung vorschlägt.
Wie die Erfahrung zeigt, tauchen in den Träumen tatsächlich Symbole
vereinigender Natur auf,
worunter das Motiv des Heldenkindes und der Quadratur des Zirkels, d.
h. die Vereinigung der Gegensätze, zu den häufigsten gehören. Wem
die spezifisch ärztlichen Erfahrungen nicht zugänglich sind, der
kann sich seinen Anschauungsunterricht aus den Märchen und in
besonderem Maße aus der Alchemie holen. --
Totaler Schmarrn-- Der
eigentliche Gegenstand der hermetischen Philosophie ist ja die
coniunctio oppositorum. Sie bezeichnet ihr »Kind« einerseits als
Stein (z. B. als Karfunkel), andererseits als homunculus -oder als
filius sapientiae oder gar als homo
altus. Eben dieser
Gestalt begegnen wir in der Apokalypse als dem Sohne der Sonnenfrau,
dessen Geburtsgeschichte eine Paraphrase der Christusgeburt
darstellt; eine Paraphrase, die von den Alchemisten in abgewandelter
Form oftmals wiederholt wurde; setzen sie doch ihren »Stein« als
mit Christus parallel (dies, bis auf eine Ausnahme, ohne Beziehung
auf die Apokalypse). Wiederum ohne Zusammenhang mit der Alchemie
tritt in den Träumen der modernen Menschen dieses Motiv in
entsprechender Form und in den entsprechenden Situationen auf, und
immer handelt es sich dabei um die Zusammensetzung des Hellen und des
Dunkeln, wie wenn sie so gut wie die Alchemisten ahnten, was für ein
Problem durch die Apokalypse der Zukunft gestellt wurde. Diese Frage
ist es, um welche sich die Alchemisten während beinahe 1700 Jahren
gemüht haben, und es ist dieselbe Frage, die auch den heutigen
Menschen bedrückt. Er weiß zwar in der einen Hinsicht mehr, aber in
der anderen weniger als die Alchemisten. Das Problem ist für ihn
nicht mehr auf den Stoff verschoben, wie für erstere. Dagegen ist es
ihm psychologisch akut geworden und deshalb hat in dieser
Angelegenheit der psychologische Arzt das Wort, mehr als der
Theologe, der seiner altertümlichen, figürlichen Sprache verhaftet
geblieben ist. --
Das ist Geschwafel übelster Natur. Das kann sich nur der erlauben,
der innerhalb einer treuen Anhängergemeinde wie die neuzeitlichen
Sektenführer über jeden Zweifel erhaben ist. --
Der Arzt ist durch die Probleme
der Neurosentherapie, oft sehr gegen seinen eigenen Willen, gezwungen
worden, das religiöse Problem sich genauer anzusehen. Ich selber bin
nicht ohne Grund 76 Jahre alt geworden, bis ich mich daran gewagt
habe, mir wirkliche Rechenschaft über die Natur jener
»Obervorstellungen« abzulegen, welche unser, für das praktische
Leben so unendlich wichtiges, ethisches Verhalten entscheiden. Sie
sind in letzter Linie die Prinzipien, die laut oder leise die
moralischen Entscheidungen, von denen das Wohl und Wehe unserer
Existenz abhängt, determinieren. Alle diese Dominanten gipfeln im
positiven oder negativen Gottesbegriff
(Psychologisch fällt unter den Gottesbegriff jede Idee von etwas
Letzthinigem, Erstem oder Letztem, Oberstem oder Unterstem. Der
jeweilige Name tut nichts zur Sache).
--
Die Wortwahl sagt alles: Sich Rechenschaft
über.... ablegen. Dies ist ganz einfach die Frucht seiner
protestantisch-christlichen Erziehung. Dabei ist es doch ganz
einfach. Alle sozialen Gemeinschaften entwickeln
während ihrer Wachstumsphase
Regeln für den Umgang miteinander,
die vor allem dem Wohl der Gemeinschaft, bzw. der dominierenden
Kräfte innnerhalb der Gemeinschaft dienen. Religiöse Gemeinschaften
heben diese Regeln sehr oft in den Stand der Moral und machen damit
sehr oft den größten Unsinn sakrosankt. Bestes Beispiel ist die nur
als neurotisch zu bezeichnende Leibfeindlichkeit des "großen"
Kirchenlehrers Augustinus, von der sich die nicht nur katholische
Kirche bis zum heutigen Tag nicht lösen kann.--
Seit
Johannes, der Apokalyptiker, erstmals (vielleicht unbewusst) jenen
Konflikt, in den das Christentum direkt hineinführt, erfahren hat,
ist die Menschheit mit diesem belastet: Gott wollte und will Mensch
werden. Darum wohl hat Johannes in der Vision eine zweite
Sohnesgeburt aus der Mutter Sophia, die durch eine coniunctio
oppositorum gekennzeichnet ist, erlebt, eine Gottesgeburt, die den
filius sapientiae, den Inbegriff eines Individuationsprozesses
vorwegnimmt. Das ist die Wirkung des Christentums in einem Christen
der Urzeit, der lange und entschieden genug gelebt hatte, um einen
Blick in die ferne Zukunft tun zu können. Die Vermittlung der
Gegensätze ist schon im Symbolismus des Christusschicksals
angedeutet, nämlich in der Kreuzigungsszene, wo der Mittler zwischen
den Schächern hängt, von denen der eine ins Paradies, der andere in
die Hölle fährt. Wie nicht anders möglich, musste der Gegensatz in
der christlichen Schau zwischen Gott und Mensch liegen, und letzterer
lief Gefahr, mit der dunkeln Seite identifiziert zu werden. Dies und
die prädestinatianischen Andeutungen des Herrn haben Johannes stark
beeinflusst: nur wenige seit Ewigkeit Vorbestimmte werden gerettet,
während die große Masse der Menschheit in der Endkatastrophe
untergeht. Der Gegensatz zwischen Gott und Mensch in der christlichen
Auffassung dürfte eine jahwistische Erbschaft aus jener Frühzeit
sein, in der das metaphysische Problem ausschließlich im Verhältnis
Jahwes zu seinem Volke bestand. Die Furcht vor Jahwe war noch zu
groß, als dass man es -trotz der Gnosis Hiobs -gewagt hätte, die
Antinomie in die Gottheit selber zu verlegen. Wenn man aber den
Gegensatz zwischen Gott und Mensch belässt, so gelangt man
schließlich - nolens volens - zum christlichen Schluss: omne bonum a
Deo, omne malum ab homine, womit die Kreatur absurderweise in
Gegensatz zu ihrem Schöpfer gestellt und dem Menschen eine geradezu
kosmische oder dämonische Größe im Bösen imputiert wird. Der
furchtbare Zerstörungswille, der in der Ekstase des Johannes
aufbricht, gibt eine Idee davon, was es bedeutet, wenn man den
Menschen zu dem Gott des Guten in Gegensatz stellt: man belastet ihn
mit der dunklen Gottesseite, die bei Hiob noch an der richtigen
Stelle ist. In beiden Fällen aber wird der Mensch mit dem Bösen
identifiziert, das eine Mal mit der Wirkung, dass er sich gegen das
Gute stellt, das andere Mal, dass er sich so vollkommen zu sein
bestrebt, wie sein Vater im Himmel.
Der
Entschluss Jahwes, Mensch zu werden, ist ein Symbol für jene
Entwicklung, die einsetzen muss, wenn es dem Menschen bewusst wird,
mit was für einem Gottesbild er konfrontiert
ist
(Der Gottesbegriff als die Idee einer allumfassenden Ganzheit
schließt auch das Unbewusste ein, also, im Gegensatz zum
Bewusstsein, auch die objektive Psyche, welche Absicht und Willen des
Bewusstseins so oft durchkreuzt. Das Gebet z. B. verstärkt das
Potential des Unbewussten, daher die oft unerwarteten Wirkungen des
Gebetes).
Der Gott wirkt aus dem
Unbewussten des Menschen und zwingt diesen dazu, die beständigen
gegensätzlichen Einflüsse, denen sein Bewusstsein von Seiten des
Unbewussten ausgesetzt ist, zu harmonisieren und zu vereinen. Das
Unbewusste will ja beides, trennen und vereinigen. Bei seinen
Einigungsversuchen darf der Mensch daher immer auf die Hilfe eines
metaphysischen Anwaltes rechnen, wie schon Hiob dies klar erkannt
hat. Das Unbewusste will ins Bewusstsein einfließen, um zum Lichte
zu gelangen und zugleich hindert es sich selber daran, da es lieber
unbewusst bleiben möchte, d. h. Gott will Mensch werden, aber nicht
ganz. Der Konflikt in seiner Natur ist so groß, dass die
Menschwerdung nur durch das sühnende Selbstopfer gegenüber dem Zorn
der dunklen Gottesseite erkauft werden kann.
Gott
hat zuerst das Gute inkarniert, um damit, wie man vermuten darf, für
die spätere Assimilation der anderen Seite eine möglichst
widerstandsfähige Grundlage zu schaffen. Aus der Verheißung des
Parakleten (Anm.: Geist der Wahrheit) dürfen wir den Schluss ziehen,
dass Gott ganz Mensch werden, d. h. in seiner eigenen dunklen
Kreatur
(D. h. in dem von der Erbsünde nicht befreiten Menschen)
sich wiedererzeugen und
gebären will. Der Apokalyptiker hat uns ein Zeugnis für das
Weiterwirken des Hl. Geistes im Sinne der fortschreitenden
Menschwerdung hinterlassen. Er ist ein kreatürlicher Mensch, in
welchen der dunkle Gott des Zorns und der Rache, ein ventus urens,
einbricht. (Dieser Johannes war vielleicht der Lieblingsjünger, dem
in hohem Alter die Ahnung der zukünftigen Entwicklung zustieß.)
Dieser verwirrende Einbruch erzeugt in ihm das Bild des göttlichen
Knaben, eines zukünftigen Heilbringers, geboren von der göttlichen
Gefährtin, deren Abbild in jedem Manne wohnt; des Kindes, das auch
Meister Eckhart in der Vision erblickte. Er war es, der wusste, dass
Gott in seiner Gottheit allein nicht selig ist, sondern in der Seele
des Menschen geboren werden muss. Die Inkarnation in Christo ist das
Vorbild, das durch den Hl. Geist fortschreitend in die Kreatur
übertragen wird.
Da
sich unser Lebenswandel mit dem des Urchristen Johannes kaum
vergleichen lässt, so kann bei uns neben dem Bösen noch allerhand
Gutes einbrechen, namentlich in Hinsicht der Liebe. Einen so reinen
Zerstörungswillen, wie bei Johannes können wir bei uns deshalb
nicht erwarten. In meiner Erfahrung habe ich derartiges nie
beobachtet, gewisse schwere Psychosen und kriminelle Besessenheiten
ausgenommen. Vermöge der geistigen Differenzierung in der
Reformation, insbesondere der Entwicklung der Wissenschaften (die ja
ursprünglich von den gefallenen Engeln gelehrt wurden) sind wir
schon ansehnlich mit Dunkel gemischt und könnten uns neben der
Reinheit der urzeitlichen (und auch noch späteren) Heiligen nicht
mit Vorteil sehen lassen. Unsere relative Schwärze nützt uns
natürlich nichts. Sie mildert zwar den Anprall böser Mächte, macht
uns aber andererseits dafür anfällig und . relativ
widerstandsunfähig. Wir brauchen darum doch mehr Licht, Güte und
moralische Kraft und müssen die unhygienische Schwärze, so gut es
geht und soviel es möglich ist, abwaschen, sonst gelingt es nicht,
den dunkeln Gott, der auch Mensch werden will, aufzunehmen und
zugleich auszuhalten, ohne zugrunde zu gehen. Dazu braucht es aller
christlichen Tugenden und nicht nur dieser -denn das Problem ist
nicht nur moralisch -, sondern auch der Weisheit, die schon Hiob
suchte. Sie war aber damals noch bei Jahwe verborgen, bzw. von ihm
noch nicht wieder erinnert. Vom »unbekannten« Vater gezeugt und von
der Sapientia geboren ist jener höhere und vollständige (τέλειος:
teleios) Mensch, der unsere Bewusstseins transzendente Ganzheit
in der Gestalt des puer aeternus -vultu mutabilis albus et ater
-darstellt. In diesen Knaben musste sich Faust aus seiner
aufgeblasenen Einseitigkeit, die den Teufel nur außen sah,
herausverwandeln. Präfigurierend sagt Christus: »So ihr nicht
werdet wie die Kinder ...«, in denen die Gegensätze nahe beisammen
liegen; nämlich der Knabe, der aus der Reife des Mannesalters
geboren wird, nicht das unbewusste Kind, das man bleiben möchte.
Vorausschauend hat Christus auch, wie oben erwähnt, das Prinzip
einer Moral des Bösen angedeutet.
Fremd,
unvermittelt, wie nicht hineingehörend erscheint das Sonnenweib mit
seinem Kinde im Strome der apokalyptischen Visionen. Es gehört einer
anderen, zukünftigen Welt an. Deshalb ist der Knabe, wie der
jüdische Messias, vorderhand zu Gott entrückt, und seine Mutter
muss sich auf lange Zeit in der Wüste verborgen halten, wo sie aber
von Gott ernährt wird. Denn das unmittelbar vorliegende Problem
bedeutet noch längst nicht die Vereinigung der Gegensätze, sondern
es handelt sich vielmehr um die Inkarnation des Lichten und Guten, um
die Bändigung der concupiscentia (der Weltlust) und um die Festigung
der civitas Dei im Hinblick auf den nach 1000Jahren erfolgenden
Advent des Antichristen, der seinerseits die Schrecken der Endzeit,
nämlich die Epiphanie des zornigen und rächenden Gottes, ankündigt.
Das in einen dämonischen Widder verwandelte Lamm eröffnet ein
neues, das Evangelium Aeternum, welches, über die Liebe zu Gott
hinaus, die Gottesfurcht
zum Inhalt hat. Aus
diesem Grunde schließt die Apokalypse, wie der klassische
Individuationsprozess, mit dem Symbol des Hierosgamos, der Hochzeit
des Sohnes mit der Mutter-Braut. Die Hochzeit aber findet im Himmel
statt, wo »nichts Unreines« eindringt, jenseits der verwüsteten
Welt. Licht gesellt sich zu Licht. Das ist das Programm des
christlichen Aeons, das erfüllt werden muss, bevor Gott im
kreatürlichen Menschen sich inkarnieren kann. Erst in der Endzeit
wird sich die Vision vom Sonnenweibe erfüllen. In Anerkennung dieser
Wahrheit und offensichtlich bewogen vom Wirken des Hl. Geistes hat
der Papst, sehr zum Erstaunen aller Rationalisten, das Dogma der
Assumtio Mariae
(Anm.: Aufnahme Marias in den Himmel) verkündet:
Maria ist als die Braut mit dem Sohne und als Sophia mit der Gottheit
im himmlischen Brautgemach vereinigt36.
Dieses Dogma ist in jeder Hinsicht zeitgemäß. Es erfüllt erstens
figürlicherweise die Vision des Johannes37,
spielt zweitens auf die
endzeitliche Hochzeit des Lammes an und wiederholt drittens die
alttestamentliche Anamnesis der Sophia. Diese drei Beziehungen sagen
die Menschwerdung Gottes voraus; die zweite und dritte die
Inkarnation in
Christo
(Wie Hochzeit des Lammes wiederholt die annunciatio et obumbratio
Mariae),
die erste aber die im
kreatürlichen Menschen.
--
Das ist alles ziemlich schwarzer Tobak. Jung hat einfach zuviel von
dem ganzen Zeugs (mythologische Literatur) gelesen und das hat ganz
einfach seinen Verstand benebelt. Er findet Zusammenhänge, weil
sie seinen Vorstellungen entsprechen und verkündet sie als
Erkenntnisse und ist doch einfach nur unfähig, die eigenen
Vorstellungen kritisch zu hinterfragen. Vielleicht hat seine Stellung
innerhalb seiner Anhängerschar es völlig verunmöglicht, seine
Vorstellungen einem Zweifel zu unterziehen. --
Auf
den Menschen kommt es nun an: ungeheure Macht der Zerstörung ist in
seine Hand gegeben, und die Frage ist, ob er dem Willen, sie zu
gebrauchen, widerstehen und ihn mit dem Geiste der Liebe und Weisheit
bändigen kann. Aus eigener Kraft allein wird er dazu kaum fähig
sein. Er bedarf dazu eines »Anwaltes« im Himmel, eben des zu Gott
entrückten Knaben, welcher die »Heilung« und Ganzmachung des
bisher fragmentarischen Menschen bewirkt. Was immer das Ganze des
Menschen, das Selbst, an sich bedeuten mag, so ist es empirisch ein
vom Unbewussten spontan hervorgebrachtes Bild des Lebenszieles,
jenseits der Wünsche und Befürchtungen des Bewusstseins. Es stellt
das Ziel des ganzen Menschen dar, nämlich das Wirklichwerden seiner
Ganzheit und Individualität mit oder gegen seinen Willen. Die
Dynamis dieses Prozesses ist der Instinkt, der dafür sorgt, dass
alles, was in ein individuelles Leben hineingehört, auch
hineinkommt, ob das Subjekt dazu Ja sagt oder nicht, oder ob es ihm
bewusst wird, was geschieht, oder nicht. Es macht natürlich
subjektiv einen großen Unterschied, ob man weiß, was man lebt, ob
man versteht, was man tut und ob man sich für das, was man
beabsichtigt oder getan hat, verantwortlich erklärt oder nicht. Was
die Bewusstheit oder das Fehlen derselben ausmacht, hat ein Wort
Christi umfassend formuliert: »Wenn du weißt, was du tust, so bist
du selig, wenn du aber nicht weißt, was du tust, so bist du
verflucht und ein Übertreter des
Gesetzes.«
Unbewusstheit gilt vor
dem Richterstuhl der Natur und des Schicksals nie als Entschuldigung;
im Gegenteil stehen hohe Strafen auf ihr, denn alle unbewusste Natur
sehnt sich nach dem Lichte des Bewusstseins, dem sie doch so sehr
widerstrebt.
Gewiss
konfrontiert uns die Bewusstmachung des Verborgenen und
Geheimgehaltenen mit einem unlösbaren Konflikt; so wenigstens
erscheint es dem Bewusstsein. Aber die aus dem Unbewussten in Träumen
hervortretenden Symbole weisen auf die Konfrontation der Gegensätze
hin und die Bilder des Zieles stellen deren geglückte Vereinigung
dar. Hier kommt uns eine empirisch feststellbare Hilfe von Seiten
unserer unbewussten Natur entgegen. Es ist die Aufgabe des
Bewusstseins, diese Andeutungen zu verstehen. Wenn dies aber nicht
geschieht, so geht der Individuationsprozess dennoch weiter; nur
werden wir ihm zum Opfer fallen und vom Schicksal zu jenem
unvermeidlichen Ziele geschleppt, das wir aufrechten Ganges hätten
erreichen können, hätten wir nur zu Zeiten Mühe und Geduld darauf
verwendet, die numina des Schicksalsweges zu begreifen. Es kommt
jetzt nur noch darauf an, ob der Mensch eine höhere moralische
Stufe, d. h. ein höheres Niveau des Bewusstseins zu erklimmen
vermag, um der übermenschlichen Macht, die ihm die gefallenen Engel
zugespielt haben, gewachsen zu sein. Er kann aber mit sich selber
nicht weiterkommen, wenn er über seine eigene Natur
nicht besser Bescheid weiß. In dieser Hinsicht herrscht
leider eine erschreckende Ignoranz und eine nicht minder große
Abneigung dagegen, das Wissen um das eigene Wesen zu mehren. Immerhin
können sich heutzutage die unerwartetsten Köpfe nicht mehr der
Einsicht verschließen, dass etwas mit dem Menschen in
psychologischer Hinsicht geschehen sollte. Leider
verrät das Wörtchen »sollte«, dass man nicht weiß, was tun, und
den Weg nicht kennt, der zum Ziel führt. Man kann zwar auf die
unverdiente Gnade Gottes, der unsere Gebete erhört, hoffen. Aber
Gott, der unsere Gebete nicht erhört, will auch
Mensch werden und dazu hat er sich durch den HI. Geist den
kreatürlichen Menschen mit dessen Dunkelheit ausersehen; den
natürlichen Menschen, den die Erbsünde befleckt, und den die
gefallenen Engel die göttlichen Wissenschaften und Künste gelehrt
haben. Der schuldige Mensch ist geeignet und darum ausersehen, zur
Geburtsstätte der fortschreitenden Inkarnation zu werden, nicht der
unschuldige, der sich der Welt vorenthält und den Tribut ans Leben
verweigert, denn in diesem fände der dunkle Gott keinen Raum. --
Hier verbindet Jung Moral, Religion und Psychologie auf
schlimmtstmögliche Weise. Jung weiß, wie es sein muss und der
unvollkommene Jünger kann sich hier nur in einem Phantasma verirren,
dessen Schöpfer einzig und allein Jung ist. Jung ist nichts anderes
als ein verirrter Guru --
Seit
der Apokalypse wissen wir wieder, dass Gott nicht nur zu lieben,
sondern auch zu fürchten ist. Er erfüllt uns mit Gutem und mit
Bösem, sonst wäre er ja nicht zu fürchten, und
weil er Mensch werden will, muss die Einigung seiner Antinomie im
Menschen stattfinden. Das bedeutet für den Menschen eine neue
Verantwortlichkeit. Er kann sich jetzt nicht mehr mit seiner
Kleinheit und Nichtigkeit ausreden, denn der dunkle Gott hat ihm die
Atombombe und die chemischen Kampfstoffe in die Hand gedrückt und
ihm damit die Macht gegeben, die apokalyptischen Zornschalen über
seine Mitmenschen auszugießen. Da ihm sozusagen göttliche Macht
geworden, kann er nicht mehr blind und unbewusst bleiben. Er muss um
die Natur Gottes und um das, was in der Metaphysik vorgeht, wissen,
damit er sich selbst verstehe und dadurch Gott erkenne.
--
So ein Unsinn. Der Mensch der Gegenwart ist genauso wenig und genauso
viel unbewusst, wie der vor 100 Jahren. Der amerikanische Präsident
Kennedy, dem zwar heute manchmal ein Heiligenschein umgehängt wird
und der im Konflikt mit der UDSSR einen Atomkrieg riskiert hat, war
nichts als ein sexsüchtiger Weiberheld und in seiner Entwicklung zum
Politiker von seinem Vater fremdbestimmt, wie seine Brüder auch. Es
war schlichtweg Glück, dass die UDSSR und deren Machtpolitiker
wahrscheinlich auch nur überleben wollten, was im Falle eines
Atomkrieges nicht gesichert gewesen wäre. Das hat überhaupt nichts
mit Wissen um die Natur Gottes oder Gotteserkenntnis zu tun, sondern
ist ausschließlich Selbsterhaltungstrieb, der letzte möglicherweise
noch funktionierende Trieb des Menschen. Jung wirft hier Kraut und
Rüben durcheinander. --
Die
Verkündung des neuen Dogmas hätte Anlass zur Untersuchung der
psychologischen Hintergründe geben können. Es war interessant zu
sehen, dass unter den vielen Artikeln, die anlässlich der
Deklaration von katholischer wie protestantischer Seite publiziert
wurden, sich, soviel ich sah, nicht einer fand, der das unzweifelhaft
mächtige Motiv, nämlich die populäre Bewegung und deren
psychisches Bedürfnis irgendwie gebührend hervorgehoben hätte. Man
hat sich im Wesentlichen mit gelehrten dogmatisch-historischen
Konsiderationen, die mit dem lebendigen religiösen Geschehen gar
nichts zu tun haben, begnügt. Wer aber die in den letzten
Jahrzehnten sich häufenden Marienerscheinungen aufmerksam verfolgte
und sich über deren psychologische Bedeutung Rechenschaft gab, der
konnte wissen, was im Tun war. Namentlich die Tatsache, dass es
vielfach Kinder waren, welche die Visionen hatten, konnte zu denken
geben, denn in derartigen Fällen ist immer das kollektive Unbewusste
am Werke. --
So ein Unsinn. Warum frägt sich Jung nicht, warum nur Christen
Marienvisionen haben und nur Hindus solche von Shiva oder anderen
ihrer Götter. Für solchen Unsinn auch noch das kollektive
Unbewusste zu bemühen, ist der Intelligenz des C.G. Jung unwürdig.
-- Übrigens soll auch
der Papst selber anlässlich der Deklaration mehrere Visionen der
Gottesmutter gehabt haben. --
Welche denn sonst? --
Man konnte schon seit geraumer Zeit wissen, dass ein tiefer Wunsch
durch die Massen ging, die Fürbitterin und Mediatrix möge endlich
ihren Platz bei der Hl. Trinität einnehmen und »als Himmelskönigin
und Braut am himmlischen Hofe« aufgenommen werden. Dass die
Gottesmutter dort weile, galt zwar schon seit mehr als 1000
Jahren als ausgemacht, und
dass Sophia schon vor der Schöpfung bei Gott war, wissen wir aus dem
Alten Testament. Dass der Gott durch eine menschliche Mutter Mensch
werden will, ist uns aus der altägyptischen Königstheologie
bekannt, und dass das göttliche Urwesen Männliches und Weibliches
umfasst, ist eine schon prähistorische Erkenntnis. Aber in der Zeit
ereignet sich eine derartige Wahrheit erst, wenn sie feierlich
verkündet oder wiederentdeckt wird. Es ist für unsere Tage
psychologisch bedeutsam, dass im Jahre 1950 die himmlische Braut mit
dem Bräutigam vereinigt wurde. Für die Deutung dieses Ereignisses
kommt natürlich nicht nur das in Betracht, was die Bulle an
Argumenten heranzieht, sondern auch die Präfiguration in der
apokalyptischen Hochzeit des Lammes und in der alttestamentlichen
Anamnesis der Sophia. Die hochzeitliche Vereinigung im
Thalamus
(Der Thalamus - von griech.
δάλαμος thálamos „Schlafgemach“, „Kammer“- bildet den
größten Teil des Zwischenhirns. Er setzt sich aus vielen
Kerngebieten zusammen, die eine besonders starke Verbindung zur
gesamten Großhirnrinde aufweisen. Bei den meisten Menschen sind
beide Thalami entwicklungsbedingt über eine dünne
Bindegewebsbrücke, die Adhaesio interthalamica -auch Massa
intermedia- verwachsen. Diese enthält jedoch nur in Ausnahmefällen
kreuzende Fasern -Kommissuren) bedeutet
den Hierosgamos und dieser wiederum bildet die Vorstufe zur
Inkarnation, d. h. zur Geburt jenes Heilbringers, der seit der Antike
als filius solis et lunae, als filius sapientiae und als Entsprechung
Christi galt. Wenn also ein Sehnen nach der Erhöhung der
Gottesmutter durch das Volk geht, so bedeutet diese Tendenz, wenn zu
Ende gedacht, den Wunsch, es möge ein Heilbringer, ein
Friedenstifter, ein »mediater pacem faciens inter inimicos« geboren
werden. Obschon er im Pleroma immer schon geboren ist, kann seine
Geburt in der Zeit nur dadurch zustande kommen, dass sie vom Menschen
wahrgenommen, erkannt und erklärt (declaratur) wird. --
Hier verirrt sich Jung endgültig in seinen Phantsien.--
Motiv
und Inhalt der populären Bewegung, welche den Entschluss des Papstes
zu der folgenschweren declaratio solemnis (Anm.: feierliche
Erklärung) des neuen Dogmas veranlasst hat, besteht nicht in einer
neuen Gottesgeburt, sondern in der fortschreitenden Inkarnation
Gottes, welche mit Christus angehoben hat. Mit historisch-kritischen
Argumenten wird man dem Dogma nicht gerecht; man trifft sogar
beklagenswert daneben, wie auch mit jenen unsachlichen Befürchtungen,
denen die englischen Erzbischöfe Ausdruck verliehen haben: erstens
ist durch die Deklaration des Dogmas prinzipiell nichts an der seit
über tausend Jahren bestehenden katholischen Auffassung geändert,
und zweitens ist die Verkennung der Tatsache, dass Gott ewig Mensch
werden will und darum durch den Hl. Geist sich in der Zeit
fortschreitend inkarniert, sehr bedenklich und kann nichts anderes
besagen, als dass der protestantische Standpunkt, der sich in solchen
Erklärungen äußert, ins Hintertreffen geraten ist, indem er die
Zeichen der Zeit nicht versteht und das fortschreitende Wirken des
Hl. Geistes außer acht lässt. Er hat offenbar die Fühlung mit den
gewaltigen archetypischen Entwicklungen in der Seele des Einzelnen
wie der Masse und mit jenen Symbolen,
welche die wahrhaft apokalyptische Weltlage zu kompensieren bestimmt
sind, verloren (Die päpstliche
Ablehnung des psychologischen Symbolismus dürfte sich daraus
erklären, dass es dem Papste in erster Linie daran liegt, die
Wirklichkeit des metaphysischen Geschehens zu betonen. Durch die
allgemein vorherrschende Unterschätzung der Psyche wird nämlich
jeder Versuch zu einem adaequaten psychologischen Verstehen von
vornherein des Psychologismus verdächtigt. Vor dieser Gefahr muss
verständlicherweise das Dogma geschützt werden. Wenn man in der
Physik das Licht zu erklären versucht, so erwartet niemand, dass es
dann kein Licht mehr gäbe. Von der Psychologie glaubt man aber, dass
alles das, was sie erklärt, damit wegerklärt sei. Ich kann
natürlich nicht erwarten, dass irgendeinem zuständigen Collegium
mein besonderer, abweichender Standpunkt bekannt sei).
Er scheint einem rationalistischen Historismus verfallen zu sein und
das Verständnis für den Hl. Geist, der im Verborgenen der Seele
wirkt, eingebüßt zu haben. Er kann daher eine weitere Offenbarung
des göttlichen Dramas weder begreifen noch zugeben. --
Jung ist völlig außerstande aus seinem eurozentrisch-christlichen
Weltbild herauszutreten und zu sehen, dass der größere Teil der
Welt anders beschaffen ist.
--
Dieser
Umstand hat mir, einem Laien in theologicis, Anlass gegeben, zur
Feder zu greifen, um meine Auffassung dieser dunklen Dinge
darzustellen. Mein Versuch wird unterstützt durch die psychologische
Erfahrung, welche ich auf einem langen Lebenswege geerntet habe. Ich
unterschätze die Seele in keinerlei Hinsicht und bilde mir vor allem
nicht ein, dass das psychische Geschehen durch Erklärung in eitel
Dunst aufgelöst sei. Der Psychologismus stellt noch primitives
magisches Denken dar, mit dem man hofft, die Wirklichkeit der Psyche
wegzaubern zu können, etwa in der Art des Proktophantasmisten: »Ihr
seid noch immer da! Nein, das ist unerhört. Verschwindet doch! Wir
haben ja aufgeklärt.« Man wäre übel beraten, wollte man mich mit
diesem kindischen Standpunkt identifizieren. Man hat mich aber so oft
gefragt, ob ich an die Existenz Gottes glaube oder nicht, dass ich
einigermaßen besorgt bin, man könne mich, viel allgemeiner als ich
ahne, für einen »Psychologisten« halten. Was die Leute meist
übersehen oder nicht verstehen können, ist der Umstand, dass ich
die Psyche für wirklich halte. Man glaubt eben nur an physische
Tatsachen und muss damit zum Schluss kommen, dass entweder das Uran
selber oder wenigstens die Laboratoriumsapparate die Bombe
zusammengesetzt haben. Das ist ebenso absurd wie die Annahme, dass
eine nichtwirkliche Psyche hierfür verantwortlich sei. Gott ist eine
offenkundige psychische und nichtphysische Tatsache, d. h. sie ist
nur psychisch, nicht aber physisch feststellbar. Ebenso ist diesen
Leuten noch nicht eingegangen, dass Religionspsychologie in zwei
scharf zu trennende Gebiete zerfällt, nämlich erstens in die
Psychologie des religiösen Menschen und zweitens in die Psychologie
der Religion bzw. der religiösen Inhalte.
Es
sind hauptsächlich die Erfahrungen auf letzterem Gebiete, welche mir
mit den Mut gegeben haben, mich in die Diskussion der religiösen
Frage und insbesondere in das pro et Contra des Assumptionsdogmas zu
mischen, welches ich, beiläufig gesagt, für das wichtigste
religiöse Ereignis seit der Reformation halte. Es ist eine petra
scandali (Stein des Anstoßes) für den unpsychologischen Verstand:
Wie kann eine derart unbeglaubigte Behauptung, wie die körperliche
Aufnahme der Jungfrau in den Himmel als glaubwürdig hingestellt
werden? Die Methode der päpstlichen Beweisführung ist aber für den
psychologischen Verstand durchaus einleuchtend, denn sie stützt sich
erstens auf die unerlässlichen Präfigurationen und zweitens auf
eine mehr als tausendjährige Aussagetradition. --
Jung vergisst dass tausendjährige Traditionen überhaupt keinen
besonderen Anspruch auf Wahrheit - auch im psychologischen Sinn -
haben, sondern zumeist - die katholische Kirche ist ein warnendes
Beispiel - aus der Ansammlung von hostorischem Müll bestehen. -- Das
Beweismaterial für das Vorhandensein des psychischen Phänomens ist
daher mehr als ausreichend. Dass eine physisch unmögliche Tatsache
behauptet wird, tut überhaupt nichts zur Sache, denn alle religiösen
Behauptungen sind physische Unmöglichkeiten. Wären sie es nicht, so
müssten sie, wie gesagt, in der Naturwissenschaft abgehandelt
werden. Sie betreffen aber allesamt die Wirklichkeit der Seele
und nicht die der Physis. Was aber den protestantischen
Standpunkt in Sonderheit kränkt, ist die unendliche Approximation
der Deipara (Gottesgebärerin) an die Gottheit und die dadurch
gefährdete Suprematie Christi, auf die sich der Protestantismus
festgelegt hat, ohne sich dabei Rechenschaft darüber zu geben, dass
die protestantische Hymnologie voll ist von Anspielungen auf den
»himmlischen Bräutigame, der nun auf einmal keine gleichberechtigte
Braut haben soll. Oder hat man etwa den »Bräutigam« in
psychologistischer Weise als bloße Metapher aufgefasst?
Die
Konsequenz der päpstlichen Deklaration ist nicht zu überbieten und
überlässt den protestantischen Standpunkt dem Odium einer bloßen
Männerreligion, die keine metaphysische
Repräsentation der Frau kennt; ähnlich dem Mithraismus, welchem
dieses Präjudiz sehr zum Nachteil gereicht hat. Der Protestantismus
hat offenbar die Zeichen der Zeit, die auf die Gleichberechtigung der
Frau hinweisen, nicht genügend beachtet. Die Gleichberechtigung
verlangt nämlich ihre metaphysische Verankerung in der Gestalt einer
»göttlichen« Frau, der Braut Christi. Wie man die Person Christi
nicht durch eine Organisation ersetzen kann, so auch nicht die Braut
durch die Kirche. Das Weibliche verlangt eine ebenso personhafte
Vertretung, wie das Männliche.
Durch
die Dogmatisierung der Assumptio hat Maria allerdings den Status
einer Göttin nach dogmatischer Ansicht nicht erreicht, obschon sie
als Herrscherin des Himmels (im Gegensatz zum Fürsten des sublunaren
Luftreiches, Satan) und Mediatrix Christo, dem König und Mittler,
funktionell so gut wie gleichwertig ist. Jedenfalls genügt ihre
Stellung dem Bedürfnis des Archetypus. Das neue Dogma bedeutet eine
erneuerte Hoffnung auf Erfüllung der die Seele im Tiefsten
bewegenden Sehnsucht nach Frieden und Ausgleich der drohend
angespannten Gegensätze. An dieser Spannung hat jeder Anteil und
jeder erfährt sie in der individuellen Form seiner Unrast, und dies
umso mehr, je weniger er eine Möglichkeit sieht, sie mit rationalen
Mitteln zu beheben. Es ist daher kein Wunder, wenn in der Tiefe des
kollektiven Unbewussten und zugleich in den Massen sich die Hoffnung,
ja Erwartung einer göttlichen Intervention erhebt. Dieser Sehnsucht
hat die päpstliche Deklaration tröstlichen Ausdruck verliehen. --
Das ist eine völlig verrückte Interpretation eines Geschehens, das
bestenfalls für eine verschwindende Minderheit selbst der
katholischen Kirche Bedeutung hatte. Wenn dies für Jung Bedeutung hatte, so
sei ihm das zugestanden. Hier von einem kollektiven Unbewussten zu
sprechen, ist blanker Unsinn. -- Wie konnte der
protestantische Standpunkt daran vorbeisehen? Man kann dieses
Unverständnis nur dadurch erklären, dass die dogmatischen Symbole
und hermeneutischen Allegoriae (Anm.: Texterklärungsmodelle) ihren
Sinn für den protestantischen Rationalismus verloren haben. Dies
gilt auch in gewissem Maße für die innerhalb der katholischen
Kirche bestehende Opposition gegen das neue Dogma, resp. gegen die
Dogmatisierung der bisherigen Doktrin. Ein gewisser Rationalismus
steht allerdings dem Protestantismus besser an als der katholischen
Einstellung. Letztere lässt dem saecularen Entwicklungsprozess des
archetypischen Symbols freien Raum und setzt dieses in seiner
ursprünglichen Gestalt durch, unbekümmert um Schwierigkeiten des
Verständnisses und kritische Einwendungen. Hierin erweist die
katholische Kirche ihren mütterlichen Charakter, indem sie den aus
ihrer Matrix wachsenden Baum sich nach dem ihm eigentümlichen Gesetz
entwickeln lässt. Der einem väterlichen Geiste verpflichtete
Protestantismus dagegen hat sich nicht nur anfänglich aus einer
Auseinandersetzung mit dem weltlichen Zeitgeiste herausgebildet,
sondern setzt auch die Diskussion mit den jeweiligen geistigen
Zeitströmungen fort, denn das Pneuma ist, seiner ursprünglichen
Windnatur gemäß, schmiegsam und stets in lebendigem Fluss, bald dem
Wasser, bald dem Feuer vergleichbar. Es kann sich von seiner
ursprünglichen Stätte entfernen, sich sogar verlaufen und
verlieren, wenn es vom Zeitgeist allzu sehr überwältigt wird. Der
protestantische Geist muss, um der Erfüllung seiner Aufgabe zu
genügen, unruhvoll und bisweilen unbequem, ja revolutionär sein, um
der Tradition den Einfluss auf die Umwälzungen der weltlichen
Anschauungen zu sichern. Die Erschütterungen, die er bei dieser
Auseinandersetzung erleidet, verändern und beleben zugleich die
Tradition, welche in ihrem langsamen, saecularen Prozess ohne diese
Störungen schließlich zur völligen Erstarrung und damit zur
Unwirksamkeit gelangen müsste. Aus bloßer Kritik an und Opposition
gegen gewisse Entwicklungen im katholischen Christentum gewinnt aber
der Protestantismus nur ein kümmerliches Leben, wenn er nicht,
eingedenk der Tatsache, dass die Christenheit aus zwei getrennten
Lagern, oder - besser - aus einem uneinigen Geschwisterpaar besteht,
sich darauf besinnt, dass er neben der Verteidigung seiner eigenen
Existenz auch die Daseinsberechtigung des Katholizismus anerkennen
muss. Ein Bruder, welcher der älteren Schwester den Lebensfaden aus
theologischen Gründen abschneiden möchte, müsste mit Recht
unmenschlich genannt werden -von Christlichkeit ganz zu schweigen -et
vice-versa. Eine bloß negative Kritik ist nicht konstruktiv. Sie ist
nur in dem Maße berechtigt, als sie schöpferisch ist. Es schiene
mir darum nützlich, wenn der Protestantismus z. B. zugäbe, dass er
vom neuen Dogma nicht nur darum schockiert ist, weil es die Kluft
zwischen den beiden Geschwistern peinlich beleuchtet, sondern auch
darum, weil innerhalb des Christentums sich eine Entwicklung aus
schon lange vorhandenen Grundlagen ergeben hat, welche das
Christentum überhaupt dem Bereiche weltlichen Verständnisses noch
weiter entrückt, als dies schon bisher der Fall war. Der
Protestantismus weiß -oder könnte es wissen -, wie viel seine
Existenz der katholischen Kirche verdankt. Wie viel oder wie wenig
besitzt der Protestant noch, wenn er nicht mehr kritisieren und
protestieren kann? Angesichts des intellektuellen Skandalons, welches
das neue Dogma bedeutet, sollte sich der Protestantismus seiner
christlichen Verantwortung (»Soll ich meines Bruders Hüter sein?«)
entsinnen und allen Ernstes untersuchen, welche Gründe, laut oder
leise, für die Deklaration des neuen Dogmas maßgeblich waren. Man
möge sich dabei vor billigen Verdächtigungen hüten und täte gut
daran, anzunehmen, dass mehr und Bedeutsameres dahinter steckt, als
päpstliche Willkür. Es wäre wünschenswert, wenn der
Protestantismus begriffe, dass durch das neue Dogma ihm eine neue
Verantwortung vor dem weltlichen Zeitgeist zugewachsen ist, denn er
kann seine ihm problematische Schwester vor der Welt nicht einfach
desavouieren. Er muss ihr, auch wenn sie ihm unsympathisch ist, doch
gerecht werden, wenn er seine Selbstachtung nicht verlieren will. Er
könnte es z. B. dadurch tun, dass er sich bei dieser günstigen
Gelegenheit überhaupt einmal die Frage vorlegt, was nicht nur das
neue Dogma, sondern alle mehr oder weniger dogmatischen Behauptungen
jenseits ihres wortwörtlichen Konkretismus zu bedeuten haben. Da er
mit seiner willkürlichen und schwankenden Dogmatik sowohl wie mit
seiner losen und durch Spaltungen zerklüfteten Kirchenverfassung es
sich nicht leisten kann, gegenüber dem Zeitgeist starr und
unzugänglich zu bleiben und überdies, gemäß seiner Verpflichtung
an den Geist, darauf angewiesen ist, sich mehr mit der Welt und ihren
Gedanken auseinanderzusetzen, als mit dem lieben Gott, so wäre es
wohl angezeigt, dass er anlässlich des Einzugs der Gottesmutter ins
himmlische Brautgemach an die große Aufgabe einer neuen
Interpretation der christlichen Traditionen heranträte. Wenn es sich
um Wahrheiten handelt, die zutiefst in der Seele verankert sind,
woran niemand, der auch nur einen Schatten von Einsicht besitzt,
zweifeln kann, so muss die Lösung dieser Aufgabe möglich sein. Dazu
bedarf es der Freiheit des Geistes, die, wie wir wissen, nur im
Protestantismus gewährleistet ist. Die Assumptio bedeutet für die
historische und rationalistische Orientierung einen Schlag ins
Gesicht und würde es für alle Zeiten bleiben, wenn man sich auf
Argumente der Vernunft und der Historie versteifen sollte. Wenn je,
so liegt hier der Fall vor, der ein psychologisches Verständnis
erheischt, denn das zutagetretende Mythologem ist dermaßen
offenkundig, dass es schon absichtlicher Blindheit bedarf, um dessen
symbolische Natur, bzw. Deutbarkeit verkennen zu können. --
Jung hat also eine Lösung für das Problem der Kirchenspaltung. Dass
die Gründe für deren Aufrechterhaltung wesentlich profaner sind als
Jungs Phantasien, wird diese Spaltung wohl dauerhaft bewahren. Es
lässt sich nämlich über nichts trefflicher diskutieren und
unterschiedlicher Ansicht sein als über Glaubensvorstellungen,
insbesondere wenn niemals über die tatsächlichen Beweggründe
gesprochen wird, die da Macht u.dgl. sind. ---
Durch
die Dogmatisierung der Assumptio Mariae wird auf den Hierosgamos im
Pleroma hingewiesen, und dieser seinerseits bedeutet, wie gesagt, die
zukünftige Geburt des göttlichen Kindes, welches, entsprechend der
göttlichen Tendenz zur Inkarnation, den empirischen Menschen zur
Geburtsstätte erwählen wird. Dieser metaphysische Vorgang ist der
Psychologie des Unbewussten als Individuationsprozess bekannt.
Insofern letzterer in der Regel unbewusst verläuft, wie er dies
schon immer getan hat, will er nicht mehr bedeuten, als dass eine
Eichel zur Eiche und ein Kalb zur Kuh und ein Kind zum Erwachsenen
wird. Wird aber der Individuationsprozess bewusst gemacht, so muss zu
diesem Zwecke das Bewusstsein mit dem Unbewussten konfrontiert und
ein Ausgleich zwischen den Gegensätzen gefunden werden. Da dies
logisch nicht möglich ist, so ist man auf Symbole, welche die
irrationale Vereinigung der Gegensätze ermöglichen, angewiesen. Sie
werden vom Unbewussten spontan hervorgebracht und vom Bewusstsein
amplifiziert
(Unter Amplifikation versteht man eine von Carl Gustav Jung
entwickelte Methode der Psychoanalyse. Die Amplifikation stellt eine
Erweiterung der Traumdeutung Sigmund Freuds dar. Während bei Freuds
Methode der freien Assoziation der Therapeut nicht in die
Traumschilderung des Klienten eingreift, richtet der Therapeut bei
der Amplifikation die Aufmerksamkeit auf bestimmte Traumelemente und
reichert sie durch assoziatives und analoges Material (beispielsweise
aus Mythologie und Symbolkunde) an. Dadurch können dunkle Erlebnisse
des Klienten, die allein aus dem Kontext der Biografie nicht erklärt
werden können, erhellt werden. Die Methode der Amplifikation lässt
sich auch auf den Umgang mit religiösen und mythologischen Aussagen
anwenden, da diese (nach Jungs Theorie des Archetypus) ebenfalls als
Äußerungen des Unbewussten aufgefasst werden müssen).
Die zentralen Symbole dieses Prozesses beschreiben das Selbst,
nämlich die Ganzheit des Menschen, der einerseits aus dem, was ihm
bewusst ist, und andererseits aus den Inhalten des Unbewussten
besteht. Das Selbst ist der τέλειος
άνδρωπος (teleios andropos), der
vollständige Mensch, dessen Symbole das göttliche Kind oder dessen
Synonyme sind. Dieser hier nur summarisch skizzierte Prozess lässt
sich beim modernen Menschen jederzeit beobachten, oder man kann
darüber in den Dokumenten der hermetischen Philosophie des
Mittelalters nachlesen und wird über den Parallelismus der Symbole
erstaunt sein, wenn man beides kennt, die Psychologie des Unbewussten
und die Alchemie. --
Ja, ja. Jung hat sich viel Mittelalter zu Gemüte geführt und das
hat ihm offenbar nicht gut getan. --
Der
Unterschied zwischen dem natürlichen, unbewusst verlaufenden und dem
bewusst gemachten Individuationsprozess ist gewaltig. In ersterem
Falle greift das Bewusstsein nirgends ein; das Ende bleibt daher so
dunkel wie der Anfang. In letzterem Falle dagegen kommt so viel
Dunkles ans Licht, dass einerseits die Persönlichkeit durchleuchtet
wird, andererseits das Bewusstsein unvermeidlich an Umfang und
Einsicht gewinnt. Die Auseinandersetzung zwischen Bewusstsein und
Unbewusstem hat dafür zu sorgen, dass das Licht, das in die
Finsternis scheint, nicht nur von der Finsternis begriffen wird,
sondern auch letztere begreift. Der filius solis et lunae ist
ebensowohl Symbol wie Möglichkeit der Gegensatzvereinigung. Er ist
das Α und Ω des Prozesses, der Mediator
und Intermedius. »Habet mille nominae, sagen die Alchemisten und
deuten damit an, dass das, woraus der Individuationsprozess kausal
hervorgeht und worauf er hinzielt, ein namenloses Ineffabile (Anm.:
nicht zu fassen, unbegreiflich) ist.
Dass
die Gottheit auf uns wirkt, können wir nur mittels der Psyche
feststellen, wobei wir aber nicht zu unterscheiden vermögen, ob
diese Wirkungen von Gott oder vom Unbewussten kommen, d. h. es kann
nicht ausgemacht werden, ob die Gottheit und das Unbewusste zwei
verschiedene Größen seien. Beide sind Grenzbegriffe für
transzendentale Inhalte. Es lässt sich aber empirisch mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass im Unbewussten ein
Archetypus der Ganzheit vorkommt, welcher sich spontan in Träumen
etc. manifestiert, und dass eine vom bewussten Willen unabhängige
Tendenz besteht, andere Archetypen auf dieses Zentrum zu beziehen. Es
erscheint daher nicht unwahrscheinlich, dass ersterer auch an sich
eine gewisse zentrale Position besitzt, welche ihn dem Gottesbild
annähert. Die Ähnlichkeit wird noch insbesondere dadurch
unterstützt, dass der Archetypus eine Symbolik hervorbringt, welche
von jeher schon die Gottheit charakterisierte und versinnbildlichte.
Diese Tatsachen ermöglichen eine gewisse Einschränkung unseres
obigen Satzes von der Ununterscheidbarkeit des Gottesbegriffes und
des Unbewussten: das Gottesbild koinzidiert (Anm.: zusammenfallen,
-treffen), genau gesprochen, nicht mit dem Unbewussten schlechthin,
sondern mit einem besonderen Inhalt desselben, nämlich mit dem
Archetypus des Selbst. Dieser ist es, von dem wir empirisch das
Gottesbild nicht mehr zu trennen vermögen. Man kann zwar arbiträr
eine Verschiedenheit dieser beiden Größen postulieren. Das nützt
uns aber gar nichts, im Gegenteil hilft es nur dazu, Mensch und Gott
zu trennen, wodurch die Menschwerdung Gottes verhindert wird. Gewiss
hat der Glaube recht, wenn er dem Menschen die Unermesslichkeit und
Unerreichbarkeit Gottes vor Augen und zu Gemüte führt; aber er
lehrt auch die Nähe, ja Unmittelbarkeit Gottes, und es ist gerade
die Nähe, die empirisch sein muss, soll sie nicht völlig
bedeutungslos sein. Nur das, was auf mich wirkt, erkenne ich als
wirklich. Was aber nicht auf mich wirkt, kann ebensogut nicht
existieren. Das religiöse Bedürfnis verlangt nach Ganzheit und
ergreift darum die vom Unbewussten dargebotenen Ganzheitsbilder, die,
unabhängig vom Bewusstsein, aus den Tiefen der seelischen Natur
aufsteigen. --
Siehe oben, Ende XVI--
Es
ist dem Leser wohl deutlich geworden, dass die im Vorausgegangenen
dargestellte Entwicklung symbolischer Größen einem
Differenzierungsprozess des menschlichen Bewusstseins entspricht. Da
wir es aber bei den Archetypen, wie eingangs gezeigt, nicht nur mit
bloßen Objekten der Vorstellung, sondern auch mit autonomen
Faktoren, d. h. mit lebendigen Subjekten zu tun haben, so lässt sich
die Bewusstseinsdifferenzierung als die Wirkung der Intervention
seitens transzendental bedingter Dynamismen verstehen. In diesem Fall
wären es dann die Archetypen, welche die primäre Wandlung
vollziehen. Da es nun aber in unserer Erfahrung keine psychischen
Zustände gibt, welche man introspektiv außerhalb
eines Menschen zu beobachten vermöchte, so kann das Verhalten der
Archetypen ohne Einwirkung des beobachtenden Bewusstseins überhaupt
nicht erforscht werden, und darum kann auch die Frage, ob der Prozess
beim Bewusstsein oder beim Archetypus anfängt, nie beantwortet
werden; es sei denn, dass man entweder, im Widerspruch zur Erfahrung,
den Archetypus seiner Autonomie berauben, oder das Bewusstsein zur
bloßen Maschine erniedrigen will. Man befindet sich aber mit der
psychologischen Erfahrung in bester Übereinstimmung, wenn man dem
Archetypus ein bestimmtes Maß an Selbständigkeit und dem
Bewusstsein eine dessen Grad entsprechende schöpferische Freiheit
zugesteht. Daraus entsteht dann allerdings jene Wechselwirkung
zwischen zwei relativ autonomen Faktoren, welche uns zwingt, in der
Beschreibung und Erklärung der Vorgänge bald den einen, bald den
anderen Faktor als handelndes Subjekt auftreten zu lassen, und zwar
selbst dann, wenn Gott Mensch wird. Dieser Schwierigkeit ist die
bisherige Lösung dadurch entgangen, dass sie nur den einen
Gottmenschen, Christum, anerkannte. Durch die Einwohnung der dritten
göttlichen Person im Menschen, nämlich des Hl. Geistes, entsteht
eine Christifikation Vieler, und dann erhebt sich das Problem, ob
diese Vielen lauter totale Gottmenschen seien. Eine derartige
Wandlung würde aber zu unleidlichen Kollisionen führen, ganz
abgesehen von der unvermeidlichen Inflation, welcher die
gewöhnlichen, von der Erbsünde nicht befreiten Sterblichen sofort
erliegen würden. In diesem Falle tut man wohl gut daran, sich an
Paulus und dessen Bewusstseinsspaltung zu erinnern: einerseits fühlt
er sich als von Gott unmittelbar berufenen und erleuchteten Apostel,
andererseits als sündigen Menschen, der den »Pfahl im Fleisch« und
den ihn plagenden Satansengel nicht loszuwerden vermag. Das heißt,
selbst der erleuchtete Mensch bleibt der, der er ist und ist nie mehr
als sein beschränktes Ich gegenüber dem, der ihm einwohnt, und
dessen Gestalt keine erkennbaren Grenzen hat, der ihn allseits
umfasst, tief wie die Gründe der Erde und weiträumig wie der
Himmel.
--
Abschließende Bemerkungen
1.
Antwort auf Hiob wird von der Anhängergemeinde von C.G. Jung
ausdücklich als reifes Alterswerk gelobt und dies sei dieser Gruppe
von Menschen auch ausdrücklich zugebilligt. Dies kann aber nur unter
der ausdrücklichen Randbedingung des Für-Wahr-Haltens der von Jung
postulieren Theorien gelten, die ich für einen Ausdruck eines
Glaubens bis hin auch zum Aberglauben eines hoch intellektuellen
Menschen ansehe (siehe "Erinnerungen, Träume, Gedanken"
und "Das Rote Buch"). Da aber aus meinem Verständnis kein
Glaube diskutierbar ist, eben weil er Glaube ist und damit für den
Glaubenden wahr, habe ich mich nur an den für mich abstrusesten
Stellen zu bösen Bemerkungen hinreißen lassen. Sollte ich damit
irgendjemanden in seinen Gefühlen verletzen, entschuldige ich mich,
da dies nicht meine Intention war.
2.
Insbesondere aber nicht nur im letzten Absatz dieser Schrift wird
klar, wie stark Jungs Psychologie letztlich eine Frage christlichen
Glaubens in durchaus exzentrischen Dimensionen ist, auch wenn er
insbesondere von evangelikalen Gruppen wegen seiner esoterischen
Anflüge aufs heftigste bekämpft wird (siehe u.a. "Carl Gustav
Jung der getriebene Visionär", CLV Bielefeld). Mit denen habe
ich gar nichts gemeinsam, da diese Gruppen für mich das negative
Ende der Entwicklungsmöglichkeiten von Glaubensvorstellungen sind:
bigott, abergläubisch, Menschen versklavend und zutiefst intolerant.
3.
Ich habe mir bei der Beschäftigung mit Jungs Werk immer wieder die
Frage gestellt, wie es möglich ist, dass Menschen wie er und Sigmund
Freud, dessen Werk ich in noch größerem Umfang gelesen habe als das
Jungs, trotz ihrer offensichtlichen, nicht nur persönlich, sondern
auch sachlichen Gegensätzlichkeit tatsächlich leidenden Menschen
helfen konnten. Die einzig mögliche Antwort ist die generell große
Unterschiedlichkeit der menschlichen Persönlichkeit, die ganz
unterschiedliche Umgangsweisen mit seelischen Leiden erfordert, was
sich heute auch im Unterschied zum Anfang des 20. Jahrhunderts in der
außerordentlich großen Zahl unterschiedlichster Therapieformen
widerspiegelt.
4.
Aus meiner Warte spiegelt sich sowohl bei Freud als auch bei Jung vor
allem deren Persönlichkeit in ihrer sozialen Wirklichkeit. Dass eine
Reihe Ihrer Theorien heute durchaus als Allgemeinwissen angesehen
werden können (Unbewusstes, Verdrängung, etc.), spiegelt wider,
dass es heute mehr denn je ein Bedürfnis gibt, nach Verlust so
vieler scheinbar absoluter Sicherheiten (Religion, Nation, und
sonstige Wertvorstellungen) im Verstehen von sich selbst eine
Ersatzsicherheit zu finden. Es sagt nichts über die Richtigkeit von
deren Theorien im einzelnen aus. Ganz im Gegenteil. Vieles wurde
heute schon verworfen, weil es sich als untauglich erwiesen hat.
5.
Ich stelle mir hier die Frage, warum ich denn überhaupt diese
Schrift kommentiert habe. Eigentlich sind meine Kommentare
bedeutungslos. Jung lebt längst nicht mehr und sollte jemand aus
seiner Anhängergemeinde zufälligerweise in diesem Blog landen,
werden die Kommentare ihn nicht vom Gegenteil überzeugen, was auch
nicht die Absicht ist. Die Antwort ist ziemlich einfach. Ich selbst
habe beim Lesen der Schriften von Jung sehr oft in seinen Worten
seine außerordentlich starke Persönlichkeit gespürt, aber auch
seine ungemeine Intellektualität bewundert. Es wunderte mich nicht,
dass er de facto ein Guru im Zentrum einer Glaubensgemeinde wurde und
mir ist auch klar, dass es für die ihn umgebenden Menschen ganz
schwer war, sich seiner Persönlichkeit zu entziehen. Umso mehr war
es für mich wichtig, nicht die scheinbaren Folgerichtigkeiten in
seinen Schriften unhinterfragt zu akzeptieren. Sie sind nämlich nur
innerhalb des jungschen Gedankensystems folgerichtig. Außerhalb
müssen sie geglaubt werden. Auch die Berufung Jungs auf seine
Erfahrung als Arzt macht dies nicht besser (siehe 4). Meine
Kommentare sind also lediglich ein Vorgang der Abgrenzung, um nicht
auf den "Zauberer" Jung hereinzufallen und eine im Denken
und Fühlen halbwegs autonome Person zu bleiben. Nicht alles, was
irgendwann geschrieben wurde, ist deswegen bedeutsam, ein Grundsatz
den Jung insbesondere, was die Vielzahl der von ihm gelesenen
mythologischen Schriften betrifft, beherzigen hätte sollen.
ENDE
ENDE